Den Vorwurf des "linken Ideologieträgers" nennt er aber Unsinn. Der Europäische Union empfiehlt er eine "grundsätzliche Überholung".
Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hält trotz der jüngsten Attacken des Koalitionspartners an der Zusammenarbeit mit der ÖVP fest. Sie sei "eindeutig" sein Wunschpartner für die Umsetzung seiner Vorhaben, sagte er am Samstag in der Ö1-Radioreihe "Im Journal zu Gast". Dass er ein "linker Ideologieträger" sei, wies Kern jedoch als "vollkommenen Unsinn" zurück.
Er habe die Kritik mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen, meinte der Kanzler über die ÖVP-Reaktionen auf seinen Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in dem er einen grundsätzlichen Kurswechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik und die Abkehr vom EU-Sparkurs gefordert hatte. Erwartet hätte er sich ein Gegenkonzept, so Kern, und nicht den Vorwurf, für Schuldenmacherei zu stehen.
"Da geht es ja schlicht und einfach nur darum, jemand anderen runterzumachen mit dem Hinblick darauf, dass es einem dadurch offenbar besser geht." Dies sei ein schlechter Mechanismus in der Politik und ein "besonders schlechter Mechanismus innerhalb einer Koalition". Sein Fazit: "Meine Umfragewerte haben offenbar dem einen oder anderen nicht gepasst. Da versucht man halt, irgendwie dagegen zu arbeiten, und das ist dann das Ergebnis."
Keine Neuwahlen trotz "sinnloser Diskussionen"
Von vorgezogenen Neuwahlen wollte Kern nichts wissen, auch wenn SPÖ und ÖVP sich teils in einer Phase "sinnloser Diskussionen, die nur an der Oberfläche kratzen" befänden. Man habe aber ein großes Aufgabenpaket vor sich und auch schon vieles abgearbeitet. Bei Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner ortete Kern den entsprechenden Willen dazu. "Wenn es ins Konkrete geht, sieht man, dass noch viel möglich ist."
Die EU braucht nach Ansicht von Kern eine "grundsätzliche Überholung ihrer Institutionen und Entscheidungsmechanismen". Diese sei angesichts unterschiedlicher Meinungen über die Zukunft der EU und derzeit zu lösender konkreter Probleme in Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik schwer zu erreichen. So sei die Europapolitik geprägt vom "Kampf um Fortschritte, um kleine".
Einen Tag nach dem EU-Gipfel in Bratislava räumte Kern ein, dass es in der Frage der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten keine Fortschritte gegeben hat. "Da wird man weiter Druck machen müssen", sagte der Kanzler in Richtung Visegrad-Gruppe (V4) und ging auf Distanz zu Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, die auf dem Gipfel in Bratislava ihren Konzeptvorschlag für die Zukunft der Europäischen Union vorgelegt hatten. Darin fordern sie unter anderem mehr Mitspracherechte für die nationalen Parlamente und stemmen sich gegen eine verpflichtende Flüchtlingsquote. "Die Einschätzungen der Visegrad-Staaten teile ich nicht", sagte Kern in der Reihe "Im Journal zu Gast" des Ö1-Mittagsjournals.
"Müssen wissen, wer nach Europa kommt"
Einen "großen Fortschritt" nannte der Bundeskanzler dagegen den Gipfelbeschluss zur Entsendung von 200 zusätzlichen Frontex-Kräften sowie 50 Lastwägen nach Bulgarien zum verstärkten Schutz der EU-Außengrenze mit der Türkei: "Wir müssen wissen, wer nach Europa kommt." Es sei zwar ein europäischer Binnenmarkt geschaffen worden, es sei aber verabsäumt worden, die Außengrenzen ausreichend zu schützen, nannte Kern in diesem Zusammenhang ein Beispiel für "Versäumnisse aus der Vergangenheit", welche die EU nun einholten und überholungsbedürftig machten.
Verständnis zeigte Kern für seinen Amts- und Parteikollegen Matteo Renzi aus Italien, das sich wirtschaftspolitisch und in Sachen Flüchtlingsströme besonders herausgefordert sieht. Renzi hatte sich unzufrieden mit den Ergebnissen von Bratislava gezeigt und trat danach nicht mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Francois Hollande gemeinsam auf. Kern sagte, er habe die Einschätzungen Renzis "sehr geteilt". Es dürfe nicht nur um Prozesse zur Lösung von Problemen gehen, sondern Lösungen müssten klar vorangetrieben werden. Zugleich begrüßte er aber das breite Einvernehmen auf dem Gipfel, den EU-Investitionsfonds (EFSI) auf 500 Mrd. Euro zu erhöhen und bis 2022 sogar auf mehr als 600 Mrd. Euro zu verdoppeln als Einsicht, dass "die bisherige Politik nicht aus der Krise führt".
(APA)