Ungarns Premier will, dass Asylwerber von der EU nach Nordafrika transferiert werden.
Eigentlich sollte es bei der Flüchtlingskonferenz in Wien ja vor allem um die sogenannte Balkanroute gehen, auf der Flüchtlinge nach Österreich oder Deutschland gelangen wollen. Doch dass zuletzt wieder immer mehr Menschen von Nordafrika aus Italien zu erreichen versuchen, wurde beim Treffen im Bundeskanzleramt ebenfalls diskutiert.
„Wir hoffen, dass die Balkanroute langfristig konsolidiert wird“, sagte Ungarns Premier, Viktor Orbán, nach den Gesprächen mit den Regierungschefs Österreichs, Deutschlands, Griechenlands und der Länder Südosteuropas bei einer Pressekonferenz in der ungarischen Botschaft. Zugleich warnte er aber vor – wie er es ausdrückte – „Migrantenmassen“, die über das Mittelmeer wollten.
Orbán forderte martialisch eine „Verteidigungslinie“ für Italien, die in Libyen verlaufen solle. Flüchtlinge müssten schon in Libyen an der Überfahrt gehindert werden. Und der ungarische Premier ging noch einen Schritt weiter: Alle, die Asyl in der EU wollen, sollten den Ausgang das Verfahren in Hotspots außerhalb des Unionsgebietes abwarten müssen, und zwar vor allem in Libyen. Orbáns Vision dafür: Die libysche Regierung solle der EU „einen Küstenabschnitt“ überlassen, an dem die Europäer ein von ihnen militärisch geschütztes Aufnahmelager für Flüchtlinge betreiben. Diese „gigantische Flüchtlingsstadt“ solle notfalls mehrere Millionen Menschen beherbergen.
Ein solches logistisch aufwendiges Projekt wäre in nächster Zeit wohl nur schwer umzusetzen. Die Situation in Libyen ist nach wie vor chaotisch. Zwar gibt es eine international anerkannte Einheitsregierung. Diese ist aber nach wie vor nicht in der Lage, das gesamte Land zu kontrollieren. Und rund um die Hafenstadt Sirte toben nach wie vor Kämpfe gegen die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS). Orbán forderte, das Waffenembargo gegen Libyen aufzuheben und die neue Regierung zu unterstützen.
Ungarns Premier sah neben Libyen aber noch eine weitere „Verteidigungslinie“ – eine, die sogar ein EU-Mitgliedsland aussperren würde: Sollte der EU-Türkei-Flüchtlingspakt scheitern, könne diese Linie dann nicht an der griechisch-türkischen Grenze verlaufen. Denn Migranten hier aufzuhalten, sei „eine Illusion“. „Es braucht dann eine andere Verteidigungslinie. Wo diese dann verlaufen soll, darauf konnten wir uns heute nicht einigen.“ Ungarns Premier hatte dafür aber bereits mehrere Vorschläge parat: „An der mazedonisch-griechischen Grenze, an der mazedonisch-serbischen Grenze oder an der ungarisch-serbischen Grenze“ – dort, wo Ungarn bereits jetzt einen Zaun errichtet hat.
REFERENDUM
Abschottung. Ungarns Premier Viktor Orbán praktiziert eine Politik der Abschottung. An den Grenzen zu Serbien und Kroatien hat Ungarn einen Zaun errichtet. Budapest lehnt die Rückübernahme von Flüchtlingen aus Österreich ab, wenn diese aus einem EU-Land nach Ungarn gekommen sind. Budapest hat gegen EU-Quoten zur Verteilung von Asylwerbern Klage erhoben. Am 2. Oktober steht darüber ein Referendum an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)