EU/Afghanistan: Einfachticket zum Hindukusch

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AFGHANISTAN-UNREST-SECURITY(c) APA/AFP/NOOR MOHAMMAD
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Die Europäer wollen die Abschiebung irregulärer Migranten beschleunigen und im Gegenzug der Regierung in Kabul finanziell unter die Arme greifen.

Brüssel. Mindestens 250.000 Afghanen halten sich derzeit in der EU auf und haben einen Asylantrag gestellt. Es ist eine grobe Schätzung der Nichtregierungsorganisation Statewatch, die offizielle Zahlen der EU vom Jahresbeginn hochgerechnet hat – damals hat man rund 210.000 irreguläre Migranten aus Afghanistan gezählt. Geht es nach den Vorstellungen der Europäer, soll diese Zahl möglichst rasch reduziert werden. Angesichts der katastrophalen Lage im näher gelegenen Syrien und weit verbreiteter Skepsis in den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten will die EU möglichst viele Neuankömmlinge, die für den Flüchtlingsstatus nicht infrage kommen, möglichst rasch wieder loswerden. Und die Afghanistan-Geberkonferenz, die am gestrigen Dienstag in Brüssel begonnen hat, bietet eine Gelegenheit dazu, die afghanische Regierung zur Kooperation zu bewegen.

Keine „negativen Anreize“

Bis dato war die Kooperationsbereitschaft enden wollend, wie die EU-Kommission in einem vertraulichen Dokument vom März feststellt. „Der Dialog mit den afghanischen Behörden gestaltet sich schwierig. Während Präsident Ghani und Teile der Regierung öffentlich ihre Kooperationsbereitschaft bekunden, scheinen andere Regierungsmitglieder nicht dazu bereit zu sein, die Rücknahme irregulärer Migranten zu erleichtern“, heißt es darin. Ihrer Ansicht nach sei es aber nicht zielführend, gegenüber Kabul „negative Anreize“ zu setzen – sprich mit Kürzung der Entwicklungshilfe zu drohen. „Derartige Maßnahmen könnten die sozioökonomische Lage im Land verschärfen und den Migrationsdruck erhöhen“, heißt es in dem EU-Papier.

Die Brüsseler Behörde geht in ihren Schätzungen davon aus, dass bei bis zu 40 Prozent der Afghanen in der EU keine ausreichenden Gründe für die Gewährung des Flüchtlingsstatus vorliegen. Mehr als 80.000 Personen könnten demnach trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage „in naher Zukunft zurückgeführt werden“ – sei es auf freiwilliger, sei es auf unfreiwilliger Basis. Zu Wochenbeginn wollte eine Sprecherin der Kommission diese Zahl nicht kommentieren – man werde jedenfalls darauf achten, dass jegliche Vereinbarung „vollständig in Übereinstimmung mit internationalen Standards“ des Asyl- und Flüchtlingsrechts erfolge.

Die angesprochene Vereinbarung heißt „Gemeinsamer Weg nach vorne bei Migrationsfragen“ und wurde zwei Tage vor dem Beginn der Geberkonferenz in Brüssel fixiert. Es geht im Prinzip darum, dass die Regierung in Kabul irreguläre Migranten ohne viel Aufhebens zurücknimmt, sofern die EU alle Reisekosten übernimmt und die Menschen bei der Rückkehr in ihre Heimat finanziell unterstützt – ein entsprechendes Programm wird derzeit entwickelt. Bei widerwilligen Rückkehrern hat sich die EU dazu verpflichtet, im ersten halben Jahr nach der Unterzeichnung des Abkommens (also bis Ende März 2017) nicht mehr als 50 Personen pro Flug abzuschieben. Die Abschiebungen sollen sowohl mit Linien- als auch mit Sonderflügen durchgeführt werden, die EU und Afghanistan wollen zudem prüfen, ob die Notwendigkeit besteht, auf dem Flughafen von Kabul einen gesonderten Terminal für die Rückkehrer zu bauen.

Nach EU-Lesart kommen nur jene Afghanen für Asylstatus infrage, die aus direkt vom Bürgerkrieg betroffenen Provinzen kommen, alle anderen gelten demnach als Wirtschaftsflüchtlinge. Der jüngste Angriff der radikalislamischen Taliban auf die nordafghanische Stadt Kunduz beweist allerdings, dass sich der Frontverlauf in Afghanistan rasch ändern kann. UN-Flüchtlingshelfer gehen davon aus, dass heuer rund 400.000 Afghanen im Landesinneren auf der Flucht sein werden. Von den 34 afghanischen Provinzen gelten nur drei als gewaltfrei.

AUF EINEN BLICK

Afghanistan-Konferenz. Mehr als 70 Staaten nehmen am Dienstag und Mittwoch in Brüssel an der Geberkonferenz für das krisengeschüttelte Land am Hindukusch teil. Erwartet werden Hilfszusagen bis 2020 von insgesamt rund drei Mrd. US-Dollar pro Jahr. Unabhängig davon läuft die Finanzierung des Aufbaus der afghanischen Streitkräfte – die Nato-Mitglieder haben dafür bei ihrem Treffen in Warschau im Juli bis 2020 insgesamt rund 20 Mrd. Dollar zugesagt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)

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