Keine Party für Clinton: „Die Welt wird sich noch wundern“

Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta schickt die Clinton-Anhänger in New York nach Hause.
Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta schickt die Clinton-Anhänger in New York nach Hause.APA/AFP/ANGELA WEISS
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Die Stimmung bei der erhofften Siegesfeier der Demokraten im New Yorker Javits Centre verdüsterte sich stündlich. Viele Clinton-Fans überkam der blanke Zorn - eine Reportage.

"Ich dachte immer, dass wir für acht Jahre Obama bezahlen werden. Heute ist es so weit.“ Brendon, der junge afroamerikanische Wahlhelfer für Hillary Clinton, ist sicher einer der wenigen, die in dieser Nacht gegen zwei Uhr früh im Javits Centre in New York nicht überrascht sind. Bezahlen wofür? „Für die Wahl eines schwarzen Präsidenten.“ Donald Trump, die Rache des weißen Amerikas? Brendon: „Dieses Land wurde auf Rassismus aufgebaut.“ Stunden zuvor schien die Welt noch in Ordnung: Die Massen strömen durch die strengen Sicherheitsvorkehrungen in die Halle, die Stimmung ist aufgekratzt, wenn auch nicht euphorisch, denn von Beginn weg liegt Donald Trump vorn. Charles Schumer, New Yorks langjähriger Senator, gibt sich in seiner Rede in der überfüllten Veranstaltungshalle noch betont optimistisch: „Ich glaube, dass sie gewinnen wird“, ruft er in die Menge, der Satz kommt als tausendfaches Echo zurück. Eine Art Selbstbeschwörung, wie sich herausstellt.

Ein Staat nach dem anderen wird aus- und Trump oder Clinton zugezählt. In der Halle wird es merklich ruhiger. Gegen 22 Uhr ist Geoff, der Geschäftsmann aus Massachusetts, „noch nicht entmutigt“. Klingt nicht gut! John, der Geschäftsmann aus Kalifornien, weiß auch, warum: „Es sollte nicht so knapp sein“, meint er beim Stand von 190 Wahlmännern für Clinton und 187 für Trump. Sollte es nicht, ist aber so. „Warum“, denkt John laut vor sich hin, „ist meine Stimme weniger wert als die in Ohio, einem der für die Wahlmännerzahl wichtigsten Staaten? Wegen des Wahlsystems? Ja, verrückt nicht?“, spricht's und geht wieder durch die Massen. Viele sitzen auf dem Boden. Die Zeit beginnt langsam zu verrinnen. Die Wahl sollte eigentlich schon entschieden sein. Für Clinton, wie die „New York Times“ noch am späten Nachmittag prophezeit hat. Vier Stunden spielt das System auch keine Rolle mehr. Trump hat schon 900.000 Stimmen mehr als Clinton.

Der Morgen kommt, der Jubel geht

New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, Pausenfüller auch er, beschwört auf den Riesenleinwänden der Halle den Geist seines toten, immens populären Vaters Mario Cuomo. Der Beifall wird schwächer. Und niemand schreit mehr „Ich glaube, sie wird gewinnen“. Da betritt Khirz Khan die Bühne, Vater eines gefallenen Soldaten. Er ist am Parteitag der Demokraten mit dem Satz berühmt geworden: „Kennen Sie die Verfassung, Mister Trump?“ In dieser Nacht glaubt er gegen 23 Uhr noch immer, dass sie eine Feier für die „Tugenden und das Gute in diesem Land“ sein wird. Wenig später glaubt das Joan, eine Sozialarbeiterin, nicht mehr. Sie verlässt die Halle gegen 23.20 Uhr. „Ist es vorbei?“ – „Ja, es geht nicht mehr. Die Zahlen geben es nicht mehr her. Wie konnte das nur passieren? Wir sind nicht mehr das Amerika der Weißen allein. Schauen Sie sich um. Wir sind doch alle so verschieden geworden. Es ist wahrscheinlich der letzte Aufschrei der weißen Männer.“

Aber ohne die Stimmen der Frauen könnte Trump nicht gewinnen. „Ja“, sagt Joan, „das ist es eben.“ Sie geht. „Die Welt wird sich noch wundern“, meint sie zum Abschied.

Die Räume vor der Halle leeren sich rasch. Dann und wann braust noch Jubel auf, wenn ein Staat, ein unwichtiger meist, an Clinton fällt. Nur mehr dann und wann. Erste Tränen rollen. Viele, so scheint es, mehr aus purer Wut auf Trump denn aus Trauer um einen Sieg, den es so nicht für Frauen, nicht für Liberale, nicht für die Politik, wie sie Amerika bisher gekannt hat, geben wird. Eine junge Latina brüllt weinend ihre Begleiter an: „Wie kann das sein? Dieser Mann wird nichts machen. Er wird keine Arbeitsplätze zurückbringen, wie denn auch?“

Wutausbrüche der Verlierer

Die Männer wollen sie beruhigen. Wenig später stampft eine junge Weiße auf, während sie weinend „Dieses chauvinistische Schwein“ ruft. Männer stehen wie versteinert herum.

Inzwischen ist es knapp vor Mitternacht und der Stand bei den Wahlmännern 228 für Trump, 209 für Clinton. David Axelrod, der Architekt des ersten Wahlsiegs von Barack Obama, kennt im Fernsehen schon die Gründe für die Niederlage: „Wenn du keine Vision hast, nützt dir die beste Wahlkampfmaschine nichts.“ Und das Team um Hillary Clinton habe keine gehabt. Deshalb könne jemand wie Trump gewinnen, ohne Erfahrung, ohne herkömmlichen Wahlkampf, einfach so.

Die Hallen sind leer geworden. Auf dem Boden liegt unglaublich viel Müll, Dosen, Essen, Papier. Jetzt dürfen die letzten Verbliebenen in die Haupthalle kommen. Da vertreiben sich die Menschen ihre Langeweile mit Tanzen zu Klängen aus den Lautsprechern. Noch fehlen sechs Staaten. Manchmal braust ein „Hillary, Hillary“ auf. Es ist zwei Uhr früh. Sie kommt nicht. Statt ihr betritt Wahlkampfleiter John Podesta die Bühne. Es sei ein langer Kampf gewesen, eine lange Nacht, da könne man noch warten. Geht heim. „Heute sagen wir nichts mehr.“ Später soll sich herausstellen, dass Clinton schon eine Stunde zuvor telefonisch Trump zum Sieg gratuliert hat. Die Menschen strömen dem Ausgang zu. Das Empire State Building ist noch immer weder rot noch blau. Kurz zuvor hat Brendon noch gemeint: „Sie wird kommen. Es haben zu viele Leute zu hart für sie gearbeitet.“ Eine Nacht, in der die Welt Kopf stand, ist zu Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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