Zigtausend Menschen dienen als Zufallsgenerator

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Quantenphysik. Weltweit erstmals wird der Big-Bell-Test durchgeführt: Jeder kann mitmachen und eine zufällige Abfolge der Zahlen 0 und 1 ins Internet tippen, um Quantenforscher bei ihren Experimenten zu unterstützen.

Auch Albert Einstein verstand nicht alles, was im Universum vor sich geht. So nannte er ein Phänomen der Quantenmechanik „spukhafte Fernwirkung“: die Verschränkung zweier Teilchen. Quantenphysiker aus Österreich testeten diese spukhafte Fernwirkung bereits über weite Strecken, z. B. über 143 Kilometer zwischen La Palma und Teneriffa.

Die verschränkten Teilchen verhalten sich auf der einen Insel identisch wie auf der anderen. Das wäre, als ob Sie auf Teneriffa einen Würfel werfen und ein zweiter Würfel in La Palma zeigt ohne fremde Einwirkung stets dieselbe Punktezahl. Das Phänomen kann man mit klassischer Physik nicht erklären, sondern nur mit Quantenphysik. Freilich arbeiten die Forscher am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften nicht mit Würfeln. Sie messen an Lichtteilchen die Verschränkung und Fernwirkung.

„Um zu zeigen, dass die Ergebnisse tatsächlich den Grundkonzepten ,Lokalität‘ und ,Realität‘ der klassischen Physik widersprechen, müssen bestimmte Randbedingungen erfüllt sein“, sagt Thomas Scheidl vom IQOQI in Wien. Eine der Bedingungen ist, dass sich die Messanordnung völlig zufällig ändert – um sicher zu gehen, dass sich die Teilchen nicht durch sonstige „klassische“ Wirkungen so perfekt korreliert verhalten.

Der freie Wille zählt

Bisher bringt man den Zufall durch Maschinen ins Spiel: Sie bestimmen per Zufallsgenerator, welche Messanordnung verwendet wird. „Theoretisch besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Ausgabe der Zufallsgeneratoren vorprogrammiert wurde“, so Scheidl. Unter Umständen wären die perfekten Korrelationen dann innerhalb der klassischen Physik zu erklären.

Aus diesem Zweifel heraus hat sich die Wissenschaftswelt etwas ganz Neues einfallen lassen. Die Idee stammt vom nordirischen Physiker John Bell (1928–1990), der in den 1960er-Jahren vorschlug, man möge Menschen und ihren freien Willen einsetzen, um eine vollkommen zufällige Anordnung der Messbasis zu bekommen.

Am 30. November wird diese Idee erstmals weltweit in großem Maßstab umgesetzt, im Big-Bell-Test: Bis zu 30.000 Menschen sollen über ihre Computer, Handys oder Tablets im Internet eine beliebige Abfolge der Zahlen 0 und 1 eingeben. Diese zufällig generierte Zahlenfolge wird an elf Institute in Chile, Spanien, Deutschland, Italien, China, Australien und Österreich gesendet. Und dort in Signale übersetzt, die das Kommando geben, welche Messanordnung für zwei verschiedene Teilchen wie etwa Atome verwendet wird.

Im Wiener Alsergrund sind es Lichtteilchen, die entweder die eine oder andere Polarisation aufweisen können. Je nachdem, ob ein Nuller oder ein Einser aus dem Big-Bell-Test gesendet wird, wird die eine oder die andere Messbasis verwendet. Treffen durch den Zufall der Zahlenfolge zwei gleiche Messanordnungen auf die zwei Teilchen, die in dem Experiment bereitstehen, so verhalten sich diese durch die „spukhafte Fernwirkung“ identisch und zeigen dieselbe Ausrichtung ihrer Polarisation.

Die Masse an Menschen, die zugleich Einser und Nuller in das Internet tippt, ersetzt in diesem Mega-Versuch die Zufallsgeneratoren der bisher verwendeten Geräte.

Interessierte können bereits jetzt auf der Homepage des Big-Bell-Tests Nuller und Einser eintippen, die Abfolgen werden gespeichert und am 30. November an die internationalen Institute geschickt, um herauszufinden: Was ist Ursache, was ist Wirkung bei dem perfekt korrelierten Verhalten von verschränkten Teilchen. (vers)

LEXIKON

Der Big-Bell-Test findet weltweit am 30. November statt: Mindestens 30.000 Personen sollen eine zufällige Abfolge der Zahlen 0 und 1 eintippen, die als Messbasis genutzt werden.

Mehr:www.thebigbelltest.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2016)

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