Hat Christian Kern nun Alexander Van der Bellens Sieg verspielt? Oder nützt es ihm sogar? Über die Auswirkungen des Flirts der SPÖ mit der FPÖ auf die Präsidentenwahlen und die Bundespolitik. Wobei: So ganz neu ist das alles ja nicht.
Eineinhalb Wochen vor der Präsidentenwahl setzt sich SPÖ-Chef Christian Kern mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ins Radiokulturhaus und sagt dort – übertragen von Funk und Fernsehen – Sätze wie: „Ich respektiere es, dass es Herrn Strache auch darum geht, das Land voranzubringen.“ Freundlicheres hat schon lang kein politischer Gegner mehr, vor allem keiner von der Spitze der Bundespartei der SPÖ, zum Chef der Freiheitlichen Partei – und damit auch zu dessen Wählern – gesagt.
Wenn der Vorsitzende der SPÖ nun also so gut mit dem Oberhaupt der Blauen kann, dann kann doch auch der Kandidat der Blauen für die Hofburg nicht so schlimm sein, könnte sich nun manch unentschlossener Wähler, insbesondere aus dem Sympathisantenkreis der SPÖ, denken. Hat Christian Kern also am Mittwochabend die Siegeschancen Alexander Van der Bellens verspielt, um seine eigenen bei den kommenden Nationalratswahlen zu erhöhen? Kann durchaus sein.
Es könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein. Protestwähler könnten – besänftigt von den neuen Tönen des SPÖ-Kanzlers – davon Abstand nehmen, sich am „Establishment“ mit der Wahl Norbert Hofers zu rächen. Immerhin war die kurz davor erfolgte Kür Christian Kerns zum SPÖ-Chef im Mai wohl ein mitausschlaggebender Faktor gewesen, dass Van der Bellen die erste Stichwahl gewonnen hat. Der Ärger über das Ancien Régime unter Werner Faymann war bei so manchem verraucht, als der neue, frische Kanzler Aufbruchsstimmung vermittelte.
Die sachliche, freundliche, ja in mancher Augen fast schon amikale Diskussion zwischen Kanzler Christian Kern (SPÖ) und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kommt innerhalb der SPÖ gut an. Irritationen? Die gebe es vielleicht bei politischen Beobachtern, aber doch nicht bei den Genossen. Der Tenor: endlich wieder eine sachliche Auseinandersetzung. Der Auftritt des Parteichefs sei professionell und richtig gewesen. Über eine mögliche Zusammenarbeit mit der FPÖ auf Bundesebene hält man sich aber weiter bedeckt. Nur in Wiens linkem SPÖ-Flügel ist man kritischer: Rot-Blau sei schwer bis gar nicht vorstellbar, neuer Ton hin oder her. Von Dietmar Neuwirth, Martin Fritzl und Bernadette Bayrhammer (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
SPÖ-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek lobt die ruhige und sachliche Debatte zwischen den Parteichefs von SPÖ und FPÖ, die „sehr respektvoll“ miteinander umgegangen seien. Das sei der Diskussionsstil, den sie von Kern kenne, Strache habe sie dagegen schon ganz anders erlebt. Ob das einen neuen Umgang der Sozialdemokraten mit den Freiheitlichen markiert? „Das war kein Wechsel im Verhältnis zur FPÖ, sondern ein Wechsel in der Diskussionskultur.“ Und da sei eben herausgekommen, dass es in manchen sachlichen Bereichen inhaltliche Übereinstimmungen gibt. Das gelte beispielsweise für die Arbeitsmarktpolitik. In anderen sei eine Übereinstimmung aber in weiter Ferne. Ob nicht das Zugeständnis, dass es Gemeinsamkeiten gebe, schon ein neuer Ansatz im Verhältnis zur FPÖ ist? Heinisch-Hosek merkt an, dass es da in letzter Zeit wohl an Gelegenheit gefehlt habe. „Es hat länger schon keine sachliche Diskussion dieser Art gegeben.“ Als Vorspiel für eine rot-blaue Koalition sieht sie das Gespräch der beiden Parteichefs nicht. Dafür sei jene Gruppe in der SPÖ zuständig, die derzeit den Kriterienkatalog für Koalitionen erarbeitet. (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
„Es gibt Veränderungen in der politischen Landschaft und es gibt neue Machtverhältnisse. Dem muss Rechnung getragen werden.“ Die neue oberösterreichische SPÖ-Vorsitzende Birgit Gersthofer findet es absolut verständlich, wenn Kern auch mit Strache Gespräche führe. Und weiter: „Das wirklich Relevante ist, dass man normal miteinander reden kann, das ist wirklich positiv. Ich in froh, dass man in die Nähe einer normalen Kommunikation kommt. Man kann sich nicht immer beflegeln, um Meinungen auszutauschen.“ Denn, wie sie unter Verwendung einer Aussage Kerns meint, es gehe darum, „in diesem Land etwas voranzubringen“. Bei politischen Beobachten und Journalisten gebe es jetzt vielleicht Irritationen über das gute Gesprächsklima, das bei dem öffentlichen Auftritt zwischen Kern und Strache geherrscht habe. In ihrer Partei, der SPÖ also, sieht sie jedoch keine derartigen Irritationen. Ob nicht die Vranitzky-Doktrin (keine Zusammenarbeit mit der FPÖ) ausgedient habe? Gerstorfer: „Das weiß ich noch nicht.“ Dafür gebe es die internen Beratungen über Koalitionsbedingungen, die bis zum SPÖ-Bundesparteitag am 12./13. Mai beendet sein müssen. Ob der Auftritt Kerns mit Strache nicht eine Wahlhilfe für FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bei der Wahl des Bundespräsidenten sein könnte? „Ob das für den einen schädlich und den anderen hilfreich war, werden wir vielleicht erst am Abend des 4. Dezember sehen. Warum sollte ein derartiges Gespräch kurz vor einer Wahl aber opportun oder nicht opportun sein.“ (c) APA/FOTOKERSCHI.AT/HANNES DRAXLER (FOTOKERSCHI.AT/HANNES DRAXLER)
Tanja Wehsely, Vizechefin im Wiener SPÖ-Rathausklub: „Ich finde es o. k., wenn man die FPÖ sich nicht in einer Opferrolle gerieren lässt.“ Es sei daher in Ordnung, wenn der SPÖ-Parteichef „in normalem Ton“ auch mit dem Spitzenvertreter der FPÖ spreche. Allen sei ohnedies ganz klar, wo Christian Kern politische stehe. Hinsichtlich einer möglichen Zusammenarbeit mit der FPÖ auf Bundesebene meint sie zunächst nur, es gelte abzuwarten, was die SPÖ-internen Beratungen hinsichtlich des Kriterienkatalogs ergeben werden. Aber, schränkt Tanja Wehsely dann doch deutlich ein: „Ich bin nicht die einzige, die sagt, eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ist schwierig bis gar nicht vorstellbar.“ (c) Presse (Bruckberger)
Der steirische Vizelandeschef Michael Schickhofer hat erst am Mittwoch selbst eineinhalb Stunden lang mit dem FPÖ-Chef gesprochen, im Rahmen seiner Initiative „Ein Österreich – eine Gesetzgebung“. „Aus meiner Sicht braucht es mehr Argumentation und weniger Emotion“, sagt er. Es bringe wenig, wenn man sich wechselseitig anschreie. „Man muss sich mit der FPÖ inhaltlich und sachlich auseinandersetzen.“ Wie Kern sei er der Überzeugung, dass mit jedem geredet werden solle, sagt Schickhofer. „Das ist für mich Demokratie.“ Was eine mögliche Zusammenarbeit mit der FPÖ angeht, ist er zurückhaltend: Man müsse erst einmal den Kriterienkatalog der SPÖ abwarten. „Es liegen sicher mittlere Welten zwischen den beiden Parteien“, sagt der Steirer. Aber man wisse nie, wie sich die Freiheitlichen langfristig entwickeln würden. Wenn die FPÖ bereit sei auf einen sozialdemokratischen Kurs einzuschwenken, der den Kriterien entspreche, die nun erarbeitet werden – darunter etwa ein Aus für menschenverachtende Aussagen, ein Ja zur EU und Vermögenssteuern – müsse man darüber reden. (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
Ja, es gebe gravierende Unterschiede zwischen den Parteien, aber auch eine Kultur der Auseinandersetzung, resümierte Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser gegenüber Ö1. Auf Kaiser geht die Idee eines Kriterienkatalogs für künftige Koalitionspartner der SPÖ zurück, der gerade erarbeitet wird. (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl betonte, die Wähler der verschiedenen Parteien wohnten Tür an Tür als Nachbarn, und auch die Chefs der politischen Parteien müssten ins Gespräch kommen. Zur Frage einer rot-blauen Koalition zeigte er sich zurückhaltend: "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer." (c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
Vorspiel für Rot-Blau? "Man kann sich nicht immer beflegeln"
Keine Donnerstag-Demo
Mit der Aufbruchsstimmung in der Regierung ist es allerdings vorbei. Dafür scheint Christian Kern – Bundespräsidentenwahl hin oder her – in der SPÖ für eine solche zu sorgen, indem er taktisch das Tor zur FPÖ öffnet und solcherart neue Mehrheiten in Aussicht stellt. Die rechten Sozialdemokraten freuen sich, die linken sind auffallend ruhig. Eine Donnerstag-Demo, um Rot-Blau schon im Ansatz zu verhindern, fand gestern jedenfalls nicht statt.
Als Hans Niessl im Vorjahr auf Landesebene eine Koalition mit der FPÖ einging, hatte es noch größere Aufregung in der SPÖ gegeben. Allerdings war sie bei Weitem nicht so groß wie seinerzeit bei Schwarz-Blau in der Bundesregierung. Bei der Angelobung vor dem Eisenstädter Landesparlament fanden sich im Juli 2015 nur ein paar Demonstranten ein.
Niessl darf sich nun bestätigt fühlen. Der viel Gescholtene, nicht ernst Genommene und ins rechte Eck Gestellte war seiner Partei – nach der Flüchtlingspolitik – wieder einmal einen Schritt voraus. Der biedere Burgenländer als Avantgardist der Sozialdemokratie – wer hätte das gedacht?
Dabei kommt die rot-blaue Variante freilich nicht aus dem Nichts. 1970 hatte sich Bruno Kreisky seine Minderheitsregierung von der FPÖ Friedrich Peters tolerieren lassen. 1983 gab es – wiederum eingefädelt von Bruno Kreisky – eine offizielle rot-blaue Koalition unter Kanzler Fred Sinowatz. Der abtretende Kreisky sah den Fortbestand seines Erbes so am ehesten gewährleistet.
Auch Franz Vranitzky, der auf Sinowatz folgte, regierte dann noch mit der FPÖ weiter. Allerdings nur so lang, bis Jörg Haider Vizekanzler Norbert Steger von der Parteispitze putschte. Seither galt die „Vranitzky-Doktrin“: Keine Koalition mit der FPÖ.
Allerdings wurde diese auch nicht durchgehend eingehalten. Auf der Gemeindeebene sowieso nicht, aber auch auf Landesebene nicht. 2004 kam es in Kärnten zu einer blau-roten Koalition unter Jörg Haider und Peter Ambrozy. 2015 dann eben im Burgenland. Und nun scheint dieser „antifaschistische Schutzwall“ aus moralischen und weltanschaulichen Gründen endgültig zu bröckeln.
Faymann hielt Vranitzky-Doktrin hoch
Für Werner Faymann war dieses „Niemals mit der FPÖ“ eines seiner wenigen Assets. Der (noch) wesentlich beliebtere Christian Kern kann es sich leisten, diesen Slogan zu verräumen. Hätte Faymann dasselbe wie nun Kern getan, es hätte eine Revolte gegeben und die Partei zerrissen. Kern lässt man das durchgehen. Zur Beruhigung sagen sich viele Genossen vor, es sei ja nur aus taktischen Gründen.
Und das ist es auch: Mit der FPÖ hat die SPÖ eine Option mehr und ist nicht mehr nur der ÖVP ausgeliefert. Und wenn die SPÖ ihre früheren Wähler von der FPÖ zurückgewinnen will, dann bringt es auch wenig, deren neue politische Heimat – und damit sie selbst – zu beschimpfen. Sondern es empfiehlt sich eher, eine Brücke zu bauen, Gemeinsamkeiten zu betonen und sich als attraktivere Alternative zu präsentieren.
Genau das hat Christian Kern getan. Ob es etwas bringt, wird man sehen. Als Erster wird es Alexander Van der Bellen erfahren.
Christian Kern und Heinz-Christian Strache entdecken angebliche Gemeinsamkeiten und haben einander lieb. Das ist natürlich nur Taktik. Und nicht ohne Risiko.
Politberater Hofer sieht in der gestrigen Diskussion zwischen dem Kanzler und dem FPÖ-Chef eine "massive Abkehr" von der bisherigen SPÖ-Linie. Das habe auch Auswirkungen auf die Hofburg-Wahl.