Martin Schmitt: Nostalgischer Charme des „lila Martin“

Martin Schmitt.
Martin Schmitt.(c) GEPA pictures
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Martin Schmitt, 38, sorgte einst im Skisprung-Weltcup für Furore und brachte Teenager zum Kreischen. Inzwischen fungiert er als TV-Experte – befreit und unbedrängt.

Garmisch. Früher standen Heerscharen junger Mädchen für ihn stundenlang in der Schlange. Sie drängten, schrien und weinten, wenn sie nicht in der ersten Reihe des Schanzenauslaufs ihren Platz erobert hatten. Viele wollten sogar, zumindest stand das so oft auf ihrem Pappdeckel, ein Kind von ihm. Martin Schmitt war der Auslöser dafür, dass Skispringen in Deutschland so populär, sogar jahrelang für TV-Privatsender wie RTL massentauglich und interessant wurde. Sponsoren sprangen serienweise auf, um ihn und seinen Kumpel Sven Hannawald wurde Ende der 1990er-Jahre ein Hype generiert. Der Junge aus dem Schwarzwald war das Thema, mit Martin und Sven hoben die „Bild“-Zeitung – und damit ganz Deutschland ab.

Schmitt zählte von 1998 bis 2001 zur Weltspitze, gewann 28 Weltcupspringen, war zweimal Gesamtweltcupsieger – nur die Tournee gewann er nie. Vier WM-Goldene (1999, 2001), Olympiasieg im Team (2002), alle Pokale und Medaillen glänzen, nur in der Tourneehistorie fehlt sein Name. Dass Hannawald 2002 triumphieren, als bis dato einziger Skispringer auf allen vier Stationen gewinnen konnte, imponiert Schmitt heute noch. „Das war super“, sagt der 38-Jährige, der nun als TV-Experte unterwegs ist. „Hannawald und ich, wir kennen uns seit Jahren. Es hat immer Spaß gemacht.“ Das macht es jetzt auch, beide arbeiten für Eurosport, kommentieren und analysieren. Dass die Teenager von heute kein Kind mehr von ihm wollen, dafür nach Domen Prevc oder anderen rufen, findet Schmitt nicht weiter schlimm.

Wichtiger, sagt Schmitt, sei, dass die Tournee wieder Massen anzieht. Das Skispringen lebe davon, obwohl sich alles rundherum seit seinem Karriereende 2014 verändert habe. „Das Material ist sicher auch heute noch das Wichtigste, zu meiner Zeit war es die schwierigste Frage“, sagt Schmitt, der im Breisgau lebt und mittlerweile manchmal unerkannt durch die Gassen laufen kann. Ein paar graue Haare sind ihm gewachsen, er nimmt es gelassen.

Auch blieb er ruhig bis abwartend, als alle davon sprachen, der 17-jährige Prevc würde die Tournee gewinnen. „Das habe ich von Anfang an nicht geglaubt“, sagt Schmitt zur „Presse“. Er habe bei den slowenischen Meisterschaften verloren, Fehler im System entwickelt. „Er konnte diese Form nie die ganze Saison über halten. Das geht nicht. Er hat jetzt Sprünge gezeigt, die nicht auf hohem Niveau waren.“

Horngacher soll gewinnen

Der Deutsche hatte als einer der wenigen ausschließlich auf Stefan Kraft und Kamil Stoch getippt. Vor allem dem Polen, der vor dem Bergisel-Springen die Gesamtwertung anführt und 0,8 Punkte Vorsprung auf den Salzburger hat, drücke er die Daumen, das habe nostalgische Gründe. Der rot-weiß-rote Know-how-Transfer dieses filigranen Sports beflügelt aktuell Stoch. „Österreicher haben den Sport seit einem Jahrzehnt geprägt, nun habt ihr als Cheftrainer tragende Rollen – und da will sich jeder beweisen.“ Daher freue er sich für Stefan Horngacher, der für Polen erstmals als „Chef“ auf dem Turm stehe und seine Sache „ausgezeichnet“ mache. Sein ehemaliger Privattrainer verstehe diesen Job perfekt, „ich habe lang mit ihm gearbeitet. Die Polen haben es sehr gut mit ihm.“ Zudem, Horngacher kenne die Szene, die ÖSV-Adler, natürlich auch Stoch, den er einst vor zehn Jahren bereits als Kotrainer im polnischen Team begleitet habe.

Martin Schmitt steht im Auslauf, er macht Analysen, führt Interviews. Er lacht, der „lila Martin“ von einst, der hysterisch herumgereicht wurde wie ein Popstar, ist erwachsen geworden. Er knabbert nicht mehr daran, nicht alles gewonnen zu haben. Jetzt schaue er zu, aus der besten Position. Erste Reihe fußfrei, endlich unbedrängt.

Vierschanzentournee Garmisch

1. Daniel-André Tande (NOR) 289,2 (138/142)
2. Kamil Stoch (POL) 286 (135,5/143)
3. Stefan Kraft (AUT) 282,4 (137/140)

Tourneewertung: 1. Stoch 591,2 2. Kraft 590,4 3. Tande 584,6 4. Eisenbichler (GER) 572.
Bergisel-Springen: 4. Jänner, 14 Uhr.

Zur Person

Martin Schmitt, 38, entfachte um die Jahrtausendwende gemeinsam mit Sven Hannawald einen Skisprung-Hype in Deutschland. Er gewann 28 Weltcupspringen, zweimal den Gesamtweltcup, viermal WM-Gold (1999, 2001) und einmal Team-Olympiagold (2002).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2017)

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