Das Jahr der Reformen in einem sklerotischen Land

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner.
Christian Kern und Reinhold Mitterlehner.(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Die Regierung plant Reformen? Viel Spaß mit Sozialpartnern und Ländern! Solang ihnen das Hemd näher als der Rock ist, haben wir ein ernstes Problem.

In den nächsten Tagen werden die Herren Kern und Mitterlehner ihre Pläne für einen Neustart der Koalition kommunizieren, Hans Jörg Schelling hat 2017 schon zum „Jahr der Reformen“ erklärt.

Hören wir gern. Haben wir auch schon oft gehört. Nur: Weitergegangen ist bisher nichts. Auch diesmal dürfen wir erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit der vielen schönen Papiere anmelden, die wir in nächster Zeit sehen werden.

In der Zwischenzeit haben wir ja ausreichend beobachten können, dass der Reformwille der Regierungsspitze nichts mehr nützt. Wir haben es mit dem Phänomen einer fortgeschrittenen institutionellen Verkrustung dieser Republik zu tun. „Austrosklerose“ in lehrbuchartiger Form.
Es liegt längst nicht mehr daran, dass den Regierenden nichts mehr einfällt. Es sind die Blockadekräfte im Land so stark geworden, dass jedes Reformpflänzchen sofort radikal abrasiert wird, sobald es einen Zentimeter aus dem Boden ragt.

Man hat das im vergangenen Herbst erste Reihe fußfrei beobachten können: Christian Kern und Reinhold Mitterlehner sind mit einem sehr brauchbaren Vorschlag (Halbierung der gebundenen Gewerbe, ein einziger Gewerbeschein für freie Gewerbe) in die Verhandlungen über eine neue Gewerbeordnung mit den Sozialpartnern gegangen. Und völlig gerupft wieder herausgekommen.
Dass es nun nicht weniger Gewerbe mit erschwertem Zugang gibt, sondern mehr, ist schlimm genug. Dass das zusätzlich hinzugekommene gebundene Gewerbe ausgerechnet der Huf- und Klauenbeschlag ist (so, als ob Zugochsen noch das Rückgrat der Transportwirtschaft wären), sagt zudem alles über die Zukunftsfähigkeit der blockierenden Sozialpartner aus.

Hans Jörg Schelling wiederum hatte sich vorgenommen, den Finanzausgleich mit den Ländern endlich ein wenig brauchbarer zu gestalten und mehr „Wirkungsorientierung“ für die eingesetzten Budgetgelder zu erreichen. Herausgekommen ist das, was immer herauskommt: mehr Geld für die Länder, ohne dass sie für deren Verwendung große Rechenschaft abzulegen hätten.

Wir sehen an diesen Paradebeispielen: Sozialpartner und Länder sind derzeit die größten Reformbremsen im Land. Gegen sie sind keine Reformen möglich. Und mit ihnen auch nicht.

Das Phänomen ist seit Langem bekannt und wissenschaftlich erforscht. Der „Erfinder“ des Konzepts, der amerikanische Wissenschaftler Mancur Olson, hat die politische Krankheit namens Institutionelle Sklerose schon in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts beschrieben. Sie entsteht, wenn Lobbygruppen, die Partikularinteressen vertreten, zu mächtig werden. Die Folge ist eine institutionelle Lähmung, die Wirtschaft und Gesellschaft hemmt.

Exakt diese Situation hat sich in Österreich aufgebaut: Sozialpartner und Landeschefs haben natürlich ihre Partikularinteressen im Auge. Das ist nichts Schlechtes, dafür sind sie ja da. Das Gesamtwohl ist ihnen dagegen naturgemäß herzlich egal. Eine starke Regierung würde diese Partikularinteressen berücksichtigen, das gesamtstaatliche Interesse letztendlich aber darüberstellen.

Das Problem: Länder und Sozialpartner dominieren die Politik, nicht der Bund. Die meisten Parlamentarier sitzen auf Landeslistenplätzen, die Sozialpartner sind im Parlament in Regimentsstärke vertreten und haben „Erbpacht“ auf Ministerposten. Dass der Innenminister einmal dabei geoutet wurde, wie er per SMS in einer Ministerratssitzung bei „seinem“ Landeschef die Erlaubnis für sein Stimmverhalten eingeholt hat, passt gut ins sklerotische Bild.

In dieser Konstellation sind einschneidende Reformen nicht möglich. Die wichtigste Reform wäre also eine umfassende föderale Strukturreform samt klarer Aufgabenbegrenzung für die Länder, Zurückdrängen des Einflusses der Sozialpartner und Umbau des Landes zu einer Demokratie nach westlichem Muster mit stärkerem Einfluss der Wähler auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments. Kriegen wir das nicht auf die Reihe, dann wird uns irgendwann wohl eine externe Troika das Reformieren aus der Hand nehmen müssen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2017)

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