Nordrhein-Westfalen: Roter Albtraum im roten Herzland

Armin Laschet, 56, steht vor dem Gipfel seiner Karriere: Der CDU-Spitzenkandidat dürfte Ministerpräsident in NRW werden.
Armin Laschet, 56, steht vor dem Gipfel seiner Karriere: Der CDU-Spitzenkandidat dürfte Ministerpräsident in NRW werden.(c) APA/AFP/DPA/OLIVER BERG
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Die rot-grüne Koalition wird im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW abgewählt. Die CDU ist vorne. Schlimmer hätte es für Martin Schulz nicht kommen können.

Berlin. Als es für Martin Schulz noch besser lief, hat er einmal gesagt: „Die SPD wird stärkste Partei in NRW – und ich werde Bundeskanzler.“ Der erste Teil der Prophezeiung ist nicht eingetreten. Und der zweite Teil, der mit der Kanzlerschaft, ist nach diesem Sonntag – vorsichtig formuliert – in weite Ferne gerückt. Dafür wiegt diese Niederlage zu schwer. Die SPD von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) auf 31,2 Prozent abgestürzt (2012: 39,1). Aber vor allem fiel sie hinter die CDU, die unter Armin Laschet um rund sieben Prozentpunkte auf 33 Prozent zulegte.

Schlimmer hätte es nicht kommen können. Für Kraft. Für die SPD. Für Schulz. Seine Partei hat nun auch in seinem Heimatbundesland eine Bruchlandung hingelegt, die dritte in Serie. Die erste im CDU-geführten Saarland war noch erwartbar, die zweite in Schleswig-Holstein tat weh, ließ sich aber verkraften, weil das Bundesland nur 2,8 Millionen Einwohner zählt. Aber eine Pleite in Nordrhein-Westfalen, der selbst ernannten „Herzkammer der Sozialdemokratie“ mit ihren 17,8 Millionen Einwohnern – das trifft die Genossen vier Monate vor der Bundestagswahl ins Mark.

Vorläufiges Endergebnis

CDU: 33,0 % (
SPD: 31,2 %
FDP: 12,6 %
AfD: 7,4 %
Grüne: 6,4 %
Linke: 4,9 %

„Krachende Niederlage“

Schulz muss gestern also wieder eine Niederlage im Willy-Brandt-Haus erklären, diesmal eine „krachende“, wie er sagt. Er sieht angeschlagen aus, räuspert sich, macht ungewohnt lange Pausen. Inhaltlich meint er nur, die Partei müsse „ihr Profil“ schärfen. „Natürlich sind wir getroffen“, sagt er und erklärt, Kraft habe „gekämpft wie eine Löwin“: Seit 2010 hatte die 55-Jährige ein rot-grünes Bündnis angeführt, zuerst als Minderheitsregierung, dann, ab 2012, mit klarer Mehrheit. Die Grünen kamen damals auf 11,3 und gestern nur noch 6,4 Prozent. Die Partei hat ein Problem– in NRW und im Bund, wo die Kurve ähnlich steil nach unten zeigt. Von der AfD gibt es die übliche Meldung zu machen: Sie zieht in den nächsten Landtag ein, den 13. in Folge. Wieder ohne Glanz und Glorie: 7,4 Prozent gab es für die Rechtspopulisten unter Marcus Pretzell, Ehemann von Parteichefin Frauke Petry. „Oh, ist das schön“, grölten indes die Liberalen, als Spitzenkandidat Christian Lindner das beste Ergebnis der Parteigeschichte verkündet – 12,6 Prozent (8,6).

Weil die Linkspartei den Einzug in den Landtag knapp verpasst, reicht es für Schwarz-Gelb. In der Theorie. Die CDU erhält im neuen Düsseldorfer Landtag 72 Sitze, die SPD 69 Mandate. Die Grünen stellen 14 Abgeordnete, die FDP 28, die AfD 16. Damit hätte eine schwarz-gelbe Koalition die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Lindner zierte sich gestern wegen CDU-Angriffen im Wahlkampf. 

Jedenfalls wird Armin Laschet Ministerpräsident. Es ist das zweite Mal in 50 Jahren, dass die CDU den Landeschef in NRW stellt nach der Ära Jürgen Rüttgers (2005-2010). Damals war Laschet, ein Ex-Journalist und -EU-Parlamentarier aus Aachen, der Familienminister. Der 56-Jährige zählt nicht zu den Hardlinern, farblos, ohne Ecken und Kanten finden ihn seine Kritiker. Aber er ist ein Vertrauter der Kanzlerin. Sein Sieg ist auch ein Sieg für Angela Merkel. In ihrer zwölfjährigen Kanzlerschaft hat es die CDU nicht geschafft, ein Ministerpräsidentenamt zurückerobern. Nun gelingt es zum zweiten Mal – binnen acht Tagen. In Schleswig-Holstein dürfte CDU-Wahlsieger Daniel Günther Landeschef werden.

Aber dieser Sieg hat mehr Gewicht. Wegen der schieren Größe von NRW. Als hier 2005 die rot-grüne Landesregierung abgewählt wurde, rief Kanzler Gerhard Schröder Neuwahlen im Bund aus. Der Anfang der Merkel-Ära sozusagen. Die Wirtschaftskraft in NRW übersteigt jene der Türkei. Das Land ist ein Koloss, aber ein wankender. Die rot-grüne Bilanz ist durchwachsen. Armut, Arbeitslosigkeit und Schulden sind vergleichsweise hoch. Der zentrale Grund für die Abwahl von Rot-Grün war Befragungen zufolge die Bildungspolitik, also der Zustand der Schulen, die Unterrichtsausfälle, Fehler bei der Inklusion. Die CDU spielte das Thema auf und ab, genauso wie die innere Sicherheit: In NRW leben 22 Prozent der Deutschen, aber es gibt 38 Prozent der Einbrüche, wiederholte Laschet immer wieder. SPD-Innenminister Ralf Jäger machte keine gute Figur – weder im Fall um den Berliner Attentäter Anis Amri, einem abgelehnten Asylwerber in NRW, noch nach der Kölner Silvesternacht. Kraft selbst schwieg lange. Das passte nicht zum Bild der „Kümmerin“, die sie sein wollte.

Kraft tritt sofort zurück

Dann kam das, was man damals „Schulz“-Effekt nannte. Die Werte der Landes-SPD gingen kurz durch die Decke. Kraft wirkte wie ausgewechselt. Die Tochter eines Straßenbahners kann Wahlkampf, die Rolle der geerdeten Landesmutter aus dem Ruhrpott behagt ihr. Ein Persönlichkeitswahlkampf alleine reichte nicht. Also steht Kraft gestern auf der Bühne. Sie versucht noch, Kugeln für Schulz abzufangen. Es ging im Wahlkampf um Landespolitik, sagt sie. Darum habe sie „Berlin“, also Schulz, selbst gebeten. Ihre Landespartei brauche nun einen Neuanfang. Dann endet die Ära Kraft. Sie tritt zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2017)

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