Der Life Ball steht an einem Wendepunkt. Funktioniert die Neukonzeption? Findet man Sponsoren? Bleibt der Ball über sein 25-Jahr-Jubiläum hinaus relevant?
"Willkommen in der Zeit zwischen den Zeiten. Aus dem Ausatmen wird ein Durchatmen wird ein gieriges Einsaugen des Lebens. Im goldenen Zeitalter steht alles auf dem Spiel, man tanzt die Nächte durch auf dem Vulkan, mit nackten Füßen, schrill, schnell, radikal, exzessiv, exaltiert und verrucht. Das trotzige Credo der Bohème Sauvage: Jetzt erst recht."
So stand es in der "Life Bible", die Gäste in das Motto des Balls einführt, das heuer Parallelen zog zwischen dem Heute und der Zwischenkriegszeit. Eine Revue sollte der gestrige Abend werden, ein Hineinversetzen in die Goldenen Zwanzigerjahre, in denen sexuelle Tabus gesprengt wurden, ein neuer Hedonismus entstand. "Doch der Bettler bleibt unentdeckt", heißt es an anderer Stelle, "niemand sieht ihn an. Was bedeuten Freiheit und Schönheit, wenn sie sich von denen abwenden, die weder schön noch reich sind?"
Der Star des Abends war, nun ja, überlebensgroß. Jener Conférencier, der schon seit Tagen vor dem Wiener Rathaus wachte, wurde am Samstagabend beim Life Ball spektakulär mit modernster Projektionstechnik zum Leben erweckt. Wer sich an Robert Dornhelms St. Margarethener „Tosca“-Engel von 2015 erinnert fühlte, lag nicht falsch: Amra Bergmann hat da wie dort das Bühnenbild geschaffen. Wie schon damals wurde der Raum unterhalb der Figur zur sich wandelnden Kuppel, in der das Geschehen unter der Regie von Giorgio Madia über die Bühne ging. In diesem Fall: eine Revue. Text: von Teresa Schaur-Wünsch und Köksal Baltaci APA (Hans Punz)
Nach einem freiwilligen Ausfall im Vorjahr samt Nachdenkpause war die Eröffnung auf dem Rathausplatz ein in Summe rundes Comeback. Bühnenshow kann der Life Ball immer noch. „Willkommen, bienvenue, welcome“, sang Conchita und gab damit die stilistische Linie im Zeichen von „Cabaret“ vor. Conchita, sie moderierte souverän, maskulin gekleidet in Gaultier unter einer glitzernd blauen Wasserwellenfrisur - gemeinsam mit der aus dem ORF bekannten Moderatorien Verena Scheitz. APA (Hans Punz)
Scheitz kann offenbar auch ganz anders - in ihrer spielfreudigen, selbstbewussten Bühnenpräsenz in der Doppelconférence erinnerte sie an eine Barbara Schöneberger. Und sie schlug, so die Hoffnung, eine Brücke zu jenem Teil der Gesellschaft, der der Gleichstellung in Bezug auf Lebenspartnerschaften noch skeptisch gegenüberstehen mag. APA (GEORG HOCHMUTH)
„Schwule, wo sind da Schwule?“, kreischte sie entsetzt, nachdem sie zwei Schweizer für eine Liebeserklärung auf die Bühne geholt hatte. Einen ersten Heiratsantrag und eine „blöde Antwort“ hatte es da offenbar schon gegeben, nun wurde die Frage öffentlich in umgekehrter Richtung wiederholt, ein schöner Moment. APA (Hans Punz)
Ansonsten gab es Lieder von Alice Merton und Dionne Warwick, Song-Contest-Teilnehmer Nathan Trent als Fahnenträger, Thomas Schäfer Elmayers Debütanten tanzten als Pappfiguren gleichgeschaltet in Dirndl und Uniform. Reuters
In den Reden blieb der politisch mahnende Anspruch im Vergleich zur HIV-Botschaft eher im Hintergrund – abgesehen davon, dass die Zwischenkriegszeit mit ihrer Diskrepanz zwischen Ausgelassenheit und gefährlich brodelnden gesellschaftlichen Spannungen die thematische Linie vorgab. Im Bild: Die Show wurde dieses Mal in sechs Maxime unterteilt: Bewusstsein, Akzeptanz, Wissen, Liebe, Solidarität und Gesundheit. APA (Hans Punz)
Daneben wurden von Oskar Schlemmer inspirierte Schachfiguren bewegt, Tango getanzt, Kit-Kat-Girls zum Spendensammeln durch die Reihen der vorn sitzenden Cabaret-Gäste geschickt. Im Bild: Die Hure Babylon vulgo Aya Sato. APA (Hans Punz)
Von Francesco Scognamiglio gab es (doch wieder) eine kleine Modenschau. APA (Hans Punz)
Joss Stone hielt einen emphatischen kleinen Vortrag über die Arbeit von Sentebale, jener Jugendhilfsorganisation, die Prinz Harry gemeinsam mit Prinz Seeiso in Lesotho gegründet hat. APA (Hans Punz)
Von Naomi Campbell war nichts Großartiges zu erwarten, sie verlas trocken einen Brief von Elton John. APA (Hans Punz)
SP-Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner kam mit stilecht gelegter Frisur, einem HIV-Selbsttest, den es in Österreich bald geben soll, und einer starken Ansage: „Feiert verdammt noch mal das Leben.“ APA (Hans Punz)
Bundeskanzler Christian Kern hatte ein HIV-Test-Pflaster am Finger, und Bürgermeister Michael Häupl konterkarierte das Dialog einmahnende Ballmotto mit einem Querschuss in Richtung ÖVP und Sebastian Kurz gegen „zwänglerische Typen, die versuchen, sich einzukaufen“. Das hat die SPÖ dem Vernehmen nach ja vereitelt, zu sehen war von schwarzer Seite denn auch nur Johannes Hahn. APA (Hans Punz)
Daneben traf man etwa Transgender-Model Andrea Pejic oder Hollywood-Stylisten Brad Goreski, Eva Glawischnig, Maria Happel oder Wolfgang Puck. Die VIPs, im Rathaus zuletzt immer in einem Gehege im Festsaal untergebracht, wurden heuer gänzlich in einem Nebenraum abgeschottet. Der Zugang glich einem Nadelöhr, da musste sogar der Bundeskanzler mit seinen beiden Personenschützern in der Menge Schlange stehen. Er nahm es gelassen, in der Hoffnung, seine Frau wiederzufinden. „Ohne sie bin ich hilflos.“ Im Bild: Ein alter Freund des Balls, Bürgermeister Michael Häupl. Sein Dank galt Gery Keszler, weil er bei der Party nie auf die Inhalte vergisst. APA (Hans Punz)
Der Festsaal hatte diesmal in den Stunden zuvor einem exklusiven Diner im „experimentellen Rahmen“gedient. Was davon dem regulären Ballgast blieb, war eine Art lieblose Baustelle mit Gerüsten und Leintüchern. Positiv formuliert: Man hatte viel Platz zum Tanzen. APA (Hans Punz)
Wie groß das Problem ist, kann man daran ermessen, dass Keszler auf der großen Pressekonferenz selbst beklagt hat, dass viele Sponsoren ausgefallen seien. Besonders schmerzte der Verlust von Swarovski. Der global agierende Tiroler Kristallkonzern hatte seit 2005 den „Crystal of Hope“-Award gestiftet, der mit 100.000 Euro dotiert war. Dazu kam der Abgang von Mitarbeitern. Keszler selbst bedankte sich, wiederum öffentlich, emotional bei zwei verbliebenen Getreuen. APA (GEORG HOCHMUTH)
Weitere Bilder der Eröffnung: Yury Revich, er liebt nur eine, seine Stradivari. APA (Hans Punz)
Die deutsche Chansonsängerin Ute Lemper taufte den Abend mit "Sag mir, wo die Blumen sind". APA (Hans Punz)
Alice Merton trat mit ihrer Nummer "No Roots" auf. APA
ESC-Teilnehmer Nathan Trent performte "Higher Love". APA
Conchita und Verena Scheitz in Aktion. APA
Das große Finale bestritten Grammy-Gewinnerin Dionne Warwick und ihre Enkelin Cheyenne Elliott im Duett. Passend zum Abend schlossen sie - die dann doch nicht so untypische - Eröffnungsshow: "What the world needs now is love sweet love, no not just for some but for everyone". APA
Die Abschlussrevue eines gelungenen Life Ball 2017. APA
Süße Liebe für den Life Ball
Es ist einiges an Selbstkritik, die in der 24. Auflage des Life Ball zwischen Hängekleidchen und Charlestonklängen mitschwang. Und "jetzt erst recht", das könnte auch für das Spektakel gelten, das sich, zu Recht, im vergangenen Jahr die Sinnfrage gestellt hat.
Viel war spekuliert worden über die wahren Gründe, warum Organisator Gery Keszler im Herbst 2015 ein Aussetzen verkündet hatte, ja auch warum er, nach Jahrzehnten des Schützens der eigenen Privatsphäre, zuvor auf dem Ball seine eigene HIV-Infektion öffentlich gemacht hatte.
Doppeldeutigkeit, ein Bewusstsein der Brüchigkeit, der Abgründe, die man sich fürs Erste zugunsten des Feierns zu ignorieren entschlossen hat - sie waren dem Life Ball immer schon inhärent, seit man sich 1993 zum ersten Mal mehr oder weniger improvisiert im Wiener Rathaus zusammenfand, um dem Schrecken, dem Sterben, das insbesondere in der Mode- und Kreativwelt um sich griff, etwas entgegenzusetzen. Immer schon ging es um Lebensfreude angesichts ernster Themen.
Doch nun scheint der Veranstaltung endgültig die Leichtigkeit abhandengekommen sein. Und das liegt nicht nur daran, dass der Rathausplatz angesichts der latenten Terrorbedrohung erstmals streng bewacht und abgesperrt war, dass Schaulustige nur mit vorab ausgestelltem Ticket zur Eröffnung durften (wahlweise für fünf Euro nah am roten Teppich oder gratis weiter hinten). Dazu kommt auch die Last der Verantwortung. Wenn man sich schon selbst infrage stellt - wie fällt die Antwort aus? War es gar der letzte Ball, wie Einzelne in der Szene mutmaßten?
Andere Welt
Was 1993 als einmaliges Fest geplant war, wurde in Folge zu einer der spektakulärsten und erfolgreichsten Charity-Veranstaltungen der Welt. Die einzelnen Elemente wurden unter den strengen Augen und Händen des Feinmechanikers und Visagisten Gery Keszler über die Jahre immer aufwendiger, die Gäste immer prominenter, die Vernetzung mit internationalen Aids-Hilfe-Initiativen immer enger. Was davon in der breiten Öffentlichkeit ankam, war freilich eine andere Frage. Die gelüstet es nach berühmten Gästen, dabei goutiert man nicht immer, wenn als Gegenleistung entsprechende Teile des Spendenflusses in deren Töpfe fließen. Dabei hat der Ball auch stets heimische Projekte gefördert, an deren Spitze nur eben kein Bill Clinton steht.
Und die Welt ist eine andere geworden. Es gibt eingetragene Lebenspartnerschaften, HIV ist zu einer behandelbaren Krankheit geworden. Andere schrille Großveranstaltungen wie die Love Parade, die ihre Blüte in den Neunzigern hatten, sind längst Geschichte. Der Life Ball hat immer weitergemacht, dabei bewusst den einen oder anderen schwulen Gast der ersten Stunde verprellt, indem er sich bewusst der breiten Gesellschaft öffnete. Weil man deren Akzeptanz wollte - und den Inhalt ihrer Brieftaschen. Mehr und mehr wurde der Ball zur Marketingplattform. 2011 hatte er erstmals mehr als zwei Millionen Euro lukriert. Mehr ist stets das Ziel. Ein Ziel, das immer schwerer zu erreichen ist. Zumal sich Keszler dabei zunehmend selbst im Weg steht. Sponsoren verzichten auf Wiederholung ihrer Teilnahme, weil die Zusammenarbeit mit dem aufbrausenden, gern über jedes Detail selbst entscheidenden Keszler schwierig sei. Die Bedürfnisse, so hört man, würden zu wenig zählen.
Wie groß das Problem ist, kann man daran ermessen, dass Keszler auf der großen Pressekonferenz selbst beklagt hat, dass viele Sponsoren ausgefallen seien. Besonders schmerzte der Verlust von Swarovski. Der global agierende Tiroler Kristallkonzern hatte seit 2005 den "Crystal of Hope"-Award gestiftet, der mit 100.000 Euro dotiert war. Dazu kam der Abgang von Mitarbeitern. Keszler selbst bedankte sich, wiederum öffentlich, emotional bei zwei verbliebenen Getreuen.
Dass es, trotz eines Vierteljahrhunderts an Erfahrung im Planen einer Großveranstaltung, hinter den Kulissen nicht rund lief, merkte man immer wieder an Details. Dass die Gala vor dem Ball nicht mehr in der Hofburg, sondern gleich im Rathaus stattfand, erklärt man mit Logistik, es dürfte aber auch mit sinkender Spendierfreudigkeit zu tun haben. Wie viel das - geförderte und vom Roten Wien forcierte - Fest heuer einspielt, wird neuerdings übrigens nicht mehr im Anschluss bekannt gegeben. Erst zu Jahresende ziehe man Bilanz - weil man sich im Zuge der Neukonzeption als ganzjährige Aktion begreife. Ob sie greift, wird sich zeigen. Nächstes Jahr steht jedenfalls das 25-Jahr-Jubiläum an.
Seit gut 20 Jahren arbeiten die kanadischen Zwillinge Dean und Dan Caten in Mailand an ihrem Modelabel Dsquared2 – zuletzt mit beachtlicher Expansion. Ein Gespräch über ihre Herkunft aus Willowdale, Ontario, den Life Ball und ihre neue Boutique in Wien.