Vollbremsung am Brenner

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Die Ankündigung, im Ernstfall Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge am Brenner zu stationieren, hat für (zu) große Aufregung gesorgt: Kanzler Kern legte am Mittwoch den Rückwärtsgang ein.

Wien. So war es dann doch nicht geplant: Die Ankündigung von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, im Ernstfall den Brenner mit 750 Soldaten zu schützen, sorgte Anfang der Woche für internationale Aufregung. Und zwar mehr Aufregung, als die Regierung in Wien erwartet hatte: Nicht nur in Rom, auch in Bozen und Brüssel gab es einen Aufschrei gegen diese Pläne. Der Vorwurf: Österreich verhalte sich unsolidarisch und schlachte das Thema für den Wahlkampf aus. Die Republik stand am Pranger. Das Manöver, ÖVP-Chef Sebastian Kurz in der Migrationsfrage auszubremsen, endete jedoch am Pannenstreifen.

Am Mittwoch sah sich Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) nach einem Telefonat mit dem italienischen Premier Paolo Gentiloni daher gezwungen, rhetorisch abzurüsten und den Rückwärtsgang einzulegen. Um den Eindruck zu vermeiden, dass er seinen eigenen Verteidigungsminister zurückpfeift, veröffentlichte er eine gemeinsame Erklärung mit Hans Peter Doskozil. Beide relativierten die Dringlichkeit der Aktion am Brenner: Obwohl in Italien bereits mehr als 100.000 Menschen illegal eingereist seien, habe sich die Zahl der Aufgriffe in Österreich kaum verändert. „Dies zeigt die exzellente Arbeit der italienischen Behörden“, erklärten Kern und Doskozil.

Ganz wollte sich die SPÖ von der Option, die Grenze schärfer zu beobachten, aber auch nicht verabschieden; es ist ja Wahlkampf: „Die notwendigen Entscheidungen zur Einführung temporärer Grenzkontrollen könnten schnell gefasst und implementiert werden“, heißt es in der Erklärung. Unmittelbar bevor stünden diese Maßnahmen allerdings nicht. Österreich bereite sich lediglich auf den Notfall vor. Die Situation von 2015, als Hunderttausende Migranten unkontrolliert das Land durchquerten, dürfe sich nicht wiederholen.

Auch Alexander van der Bellen schaltete sich ein: Der Präsident habe im Hintergrund Kontakt mit allen Beteiligten aufgenommen, hieß es aus seiner Kanzlei etwas kryptisch. Bestätigt ist ein Telefonat mit Doskozil. Deutlicher will das Staatsoberhaupt heute bei einer Pressekonferenz mit dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter werden. Van der Bellens Haltung ist aber kein Geheimnis: Er hält die offene Brenner-Grenze für ein wesentliches Symbol des vereinten Europas.

Aufregung um gepanzerte Fahrzeuge

Für Doskozils Kabinett, das die Debatte via die „Kronenzeitung“ ausgelöst hatte, stellt sich der Fall so dar: Österreichische und internationale Medien hätten zugespitzt über mögliche Grenzkontrollen berichtet. Erst dadurch sei die Angelegenheit entglitten und auch auf diplomatischer Ebene kurzfristig eskaliert. Vor allem die Ankündigung, vier gepanzerte Pandur-Fahrzeuge im Ernstfall am Brenner zu stationieren, hatte hohe Wellen geschlagen. Italienische Medien berichteten bereits von Panzern an der Grenze. „Es sind aber gehärtete Fahrzeuge für Truppentransporte, die vorerst in einer Tiroler Kaserne geparkt sind“, heißt es in Doskozils Büro. „Sie sind unbewaffnet und speziell für Straßensperren modifiziert. Einer davon kam auch in Spielfeld zum Einsatz.“ Von Zurückrudern könne jedenfalls keine Rede sein und auch nicht davon, dass der Kanzler seinen Verteidigungsminister zurückgepfiffen habe. Kern sei schon am Wochenende in den Notfallplan eingeweiht worden.

Für Verunsicherung haben die gepanzerten Fahrzeuge in Südtirol gesorgt: „Diese Panzer stehen zwar in einer Kaserne in Tirol, aber die Botschaft ist draußen“, heißt es im Büro vom Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. „Jeder fragt sich: Was würde man damit im Ernstfall machen? Das erschließt sich uns nicht ganz.“ Deshalb sei man im ständigen Kontakt mit der Regierung in Wien und Rom. Für Kompatscher sind die Aussagen Doskozils Wahlkampfgeplänkel: „Wir wissen seit eineinhalb Jahren, dass Österreich die notwendigen Vorbereitungen für einen Grenzzaun am Brenner getroffen hat. Was ist also neu an der Meldung?“ Heute, Donnerstag, können Außenminister Sebastian Kurz und ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka die Frage direkt beantworten. Sie reisen zu einer Migrationskonferenz nach Rom.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2017)

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