West-Touristen meiden zunehmend die Türkei, Istanbuls Stadtbild wandelt sich in ein nahöstliches.
Terror, Verhaftungen, innenpolitische Wirren, der Streit mit Europa, das aggressive Gehabe von Präsident Recep Tayyip Erdoğan und dessen türkischstämmigen Anhängern in EU-Europa ließen den westlichen Tourismus der Türkei einbrechen. Schon 2016 stürzte die Zahl westeuropäischer Urlauber um ein Drittel im Vergleich zu 2015 ab. Im ersten Quartal 2017 setzte sich der Absturz fort, um weitere 25 Prozent als im Vergleichszeitraum von 2016.
Vor allem aus EU-Staaten, mit denen sich die Türkei besonders angelegt hat, kommt statt einem Touristenstrom nur noch ein Rieseln, etwa aus Deutschland, Österreich, Holland. An den Stränden der Tourihochburg Antalya wird der Einbruch teils von einer steigenden Zahl russischer Urlauber abgefangen, die während der Eiszeit zwischen Ankara und Moskau nach dem Abschuss eines russischen Bombers durch eine türkische F-16 Ende 2015 ausgeblieben waren und nun, nach der Versöhnung von Erdoğan und Putin im Vorjahr, zurückkehren.
Anders ergeht es Istanbul, dessen Tourismussektor weniger auf Partygäste denn auf kulturell Interessierte aus dem Westen sowie Teilnehmer von Tagungen angewiesen ist. Doch ist seit einiger Zeit zu spüren, dass sich in der Stadt, die die Osmanen 1453 erobert und das christliche Byzantinische Reich zerstört hatten, eine große Wende vollzieht: vom Abendland weg in Richtung Orient.
Während über den Istiklal-Boulevard im Herzen Istanbuls früher Touristen in Turnschuhen und T-Shirts flanierten, dominiert dort heute islamische Kleidung. Wo sich noch vor zwei, drei Jahren deutsche, englische, französische, italienische Gesprächsfetzen mischten, ist außer Türkisch fast nur noch Arabisch zu hören. Touristen und Investoren aus Saudiarabien, Kuwait, Katar, Emigranten aus Libyen, dem Irak und Syrien strömen ins neue „Paris des Nahen Ostens“ und verändern das Stadtbild. Wer in Handel und Gastronomie nicht Arabisch kann, habe schlechte Chancen, klagen entlassene Mitarbeiter. Saudis und Iraker führen die Liste fremder Immobilienkäufer in der Türkei an, auch Kuwaitis und Afghanen landen mit Russen unter den Top 5.
Beschwerden über Saudis, Syrer. Die Westwendung scheint auch in der Mentalität der türkischen Masse zu vergehen. Die Chancen auf EU-Beitritt sind gering und mit der Neuausrichtung der türkischen Außenpolitik auf die islamische Welt haben sich auch soziokulturelle Akzente verschoben. Doch nicht allen Istanbulern passt der Ost-Trend: Hoteliers beschweren sich über „grauslich“ hausende Saudis, deren verhüllte Frauen die Strände besetzen, und die Tausenden Syrer, die dort lagern und in der Unterhose schwimmen gehen.
FAKTEN
Die Statistik des türkischen Tourismusamtes spricht für sich. Während die Zahl der westlichen Besucher 2016 um ein Drittel sank und weiter sinkt, steigt die Zahl der Einreisen aus dem moslemischen bzw. arabischen Raum ständig: ein Plus von 35 Prozent aus dem Irak, 37 Prozent aus Kuwait, 23 Prozent aus Bahrain, 22 Prozent aus Saudiarabien, 40 Prozent aus Usbekistan und über 105 Prozent aus Indonesien notierte das Amt im ersten Trimester dieses Jahres.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2017)