Klimapolitik in Geiselhaft

Die Bevormunder dieser Welt haben den Klimawandel zu ihrem Kampfross gemacht – das muss sich ändern.

Als entsprungene Katholikin verabscheue ich Dogmen auf jedem Gebiet“, hat die linke, grün wählende, amerikanische Kulturwissenschaftlerin Camille Paglia über die globale Erwärmung geschrieben – und für ziemlichen Wirbel gesorgt. Ihre These: Es bilde sich so etwas wie eine Glaubensgemeinschaft heraus, als ob die Menschen, „nachdem sie die organisierte Religion zu einer nichtwertenden Wohlfühltherapie abgeschliffen haben, hungrig sind nach apokalyptischen Visionen“.

Da ist was dran. Die Neigung des Menschen, sich in ein universelles ethisches System einzuordnen, das Gutes von Bösem und Gute von Bösen unterscheidbar macht, dem Erleuchteten Macht gibt und den Irrenden mit Drohungen auf den rechten Weg zurückzuführen imstande ist, ist nach dem Niedergang der Religionen nur ungenügend durch den modernen Gesundheitswahn befriedigt worden. Der bietet zwar ausreichend Autorität, sich selbst zu kasteien, aber – wenn man von der Raucherfrage absieht – nicht für das lustvolle Spiel, andere zum selben Lebensstil zu verpflichten.

Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist hingegen ein Ordnungsprinzip, das aktive Teilnahme einfordert. Er bietet damit die Legitimation, die Maßstäbe für ein Leben als „guter Bürger“ verpflichtend zu machen, Zensuren zu verteilen und überhaupt den Blockwart raushängen zu lassen. Das Ganze im Namen des Überlebens der Menschheitsfamilie. Sogar die alte Nord-Süd-Geschichte lässt sich damit moralisch neu aufmunitionieren. Denn das angejahrte Argument der Kolonialzeitsünden, die der Norden mit Geld abbüßen müsse, findet hier eine neue Schuld-und-Sühne-Linie.


Diese Faszination der Globalen-Erwärmungs-Kiste als strenges und erstmals die ganze Weltfamilie vereinendes Sittengesetz hat allerdings der Sache nicht gutgetan. So haben die leidenschaftlichen Regelaufsteller dieser Welt jenen Teil als allein selig machend postuliert, der für Anführernaturen die schönsten Möglichkeiten bietet: die Vermeidung von CO2-Emissionen. Hier kann man wunderbar mit Geboten, Verboten und Lenkungsausschüssen agieren und die Verbraucher (also Sie und mich) endlich einmal so richtig erziehen. Wissenschaftler, die den vom Menschen nicht beeinflussbaren Teil der Erderwärmung betonten, wurden als Ketzer abgedrängt. Sie hätten ja Politiker und Publizisten dazu bringen können, sich mit Strategien zur Anpassung an den unvermeidlichen Teil des Klimawandels zu verzetteln. Anpassung funktioniert ja vielfach durch Eigeninitiative – mageres Futter für Fans kollektiven Handelns, total unsexy. So wurde wertvolle Zeit verloren; in der Wissenschaft breitete sich ein Ungeist der Parteilichkeit aus – spürbar in der zugespitzten Darstellungsweise, bei der nicht selten Annahmen als Fakten und Worst-Case-Szenarien als sichere Prognosen verkauft werden.

Auf der anderen Seite hat die Vereinnahmung der Sache durch die Weltverbesserer auch noch zu einer prekären Gegenreaktion der Individualisten und Libertären geführt. Sie haben richtig die Gefahren einer neuen säkularen Heilsbewegung erkannt – aber daraus geschlossen, dass die ganze Erderwärmung nicht so heiß ist, wie uns vorgemacht wird. Aber nur, weil die Bevormunder sich draufgesetzt haben, ist der Treibhauseffekt kein Schwindel. Nur weil die Agitatoren mit dem Material der Wissenschaft ihre Gängelbänder knüpfen, ist die Wissenschaft noch nicht getürkt.


Es besteht aber Hoffnung, dass sich die ideologischen Verhärtungen der Debatte lockern. Nachdem gehackte Forscher-E-Mails ein eher unsympathisches Bild der Parteilichkeit von Wissenschaftlern gezeichnet haben, könnte dort künftig wieder mit mehr unbefangener Neugier und weniger politisch korrektem Alarmismus geforscht und diskutiert werden. Auch der harte Kern echter Leugner des menschengemachten Klimawandels ist schon klein geworden. Wenn von beiden Seiten mehr Realismus ausgeht, würde das die weltpolitischen Entscheidungsgrundlagen verbessern, die ja auf dem Vertrauen zu Prognosen und Diagnosen der Wissenschaft beruhen.

So könnte Kopenhagen vielleicht eine Wendezeit einläuten. Hin zu einer Vernunftkultur, die sich nüchterner den Herausforderungen stellt, die eine in Verlauf und Auswirkungen zwar nicht ganz klare, aber potenziell hochgefährliche Klimaentwicklung mit sich bringt. Ein Indiz für künftig größeren Pragmatismus ist, dass immer mehr Unternehmen den Klimawandel als Umsatzbringer erkennen. Wenn erst einmal die Wirtschaft die Sache vorantreibt, dann redet der Geschäftssinn mit, und der ist bei all seinen Schwächen immer noch effizienter und erträglicher als die Umerziehungslager-mentalität vieler Weltverbesserer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2009)

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