Ein bisschen Drohszenarien entwerfen, ein wenig Annäherung. Bundeskanzler Kern wärmt die Debatte, ob die SPÖ wirklich mit der FPÖ regieren sollte, wieder auf. FPÖ-Chef Strache hält beim "Klartext"-Duell auf Ö1 mit.
Wien. Willkommen im November 2016. Österreich steckt im Endspurt für den Bundespräsidentenwahlkampf. Die ÖVP will sich noch nicht Bewegung nennen, Peter Pilz sitzt noch hinter Eva Glawischnig im grünen Parlamentsklub – und SPÖ und Freiheitliche gehen erstmals seit langer Zeit wieder einen Schritt aufeinander zu. Konkret: Bundeskanzler Christian Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, die auf Ö1 erstmals für ein ausführliches Interview aufeinandertreffen. Dass die Parteichefs von SPÖ und FPÖ mehr oder weniger ungezwungen miteinander debattieren, war unter Kerns Vorgänger noch ein Tabu.
Für die SPÖ war klar: Will man bei der Nationalratswahl taktisch etwas gegen die ÖVP in der Hand haben, wird man sich der FPÖ öffnen müssen. Entsprechend amikal fiel das Gespräch aus.
Heute, zehn Monate später, steckt Österreich nicht nur im nächsten Wahlkampf, sondern Kern auch in einem taktischen Dilemma über den Umgang mit der FPÖ. Und das pünktlich für das nächste Gespräch mit Strache: Gestern, Mittwochabend, stand ein Treffen der beiden für Ö1-„Klartext“ auf dem Programm. Und es fiel weit an- und untergriffiger aus, als zehn Monate zuvor.
Wobei der erste Verbalschlag nicht dem jeweiligen Gegenüber, sondern einem Abwesenden galt. Es sei „schade“, dass Sebastian Kurz die Konfrontation (wegen eines Auslandstermins als Minister) abgesagt habe, meinte Strache, der für den ÖVP-Chef eingesprungen war. „Da hat man fast den Eindruck, er ist der teuerste Flüchtling Österreichs.“
Die vergangenen Jahre verliefen für die SPÖ zäh. Blickt man auf die gerade auslaufende Legislaturperiode zurück, wurde während dieser in keinem einzigen Bundesland ein prozentueller Zuwachs erreicht. Selbst erfolgsverwöhnte Landesparteien wie jene im Burgenland und in Wien mussten mit Einbußen leben. Dass man in der Bundeshauptstadt das Ergebnis trotz deutlicher Verluste bejubelte, nur weil die SPÖ recht deutlich vor der FPÖ blieb, zeigt schon die geänderten Ansprüche. (Bild: Burgenlands SPÖ-Landeschef Hans Niessl) APA/ROLAND SCHLAGER
In Vorarlberg rutschte die SPÖ 2014 erstmals in ihrer Geschichte bei einer Landtagswahl unter die 10-Prozent-Marke. Mit gerade einmal 8,8 Prozent lag man in der Wählergunst ganz im Westen nur noch auf Platz vier, weit abgehängt nun auch von Grünen und Freiheitlichen. Für die Partei insgesamt noch dramatischer ist der Absturz im wählerstarken Industrieland Oberösterreich, wo die SPÖ im September 2015 auf nur noch 18,4 Prozent kam und hinter der FPÖ landete. Dazu ging die traditionelle Hochburg Wels mittlerweile an die Freiheitlichen verloren. (Bild: Michael Ritsch, Chef der SPÖ Vorarlberg)
Für das Kuriosum der vergangenen Jahre sorgte die steirische SPÖ. Wiewohl sie trotz starker Verluste als erste aus der Landtagswahl im Mai 2015 hervorging, verzichtete der scheidende Landeshauptmann Franz Voves darauf, für seine Partei zumindest eine Halbzeitlösung in der Landeshauptmann-Frage auszuverhandeln. Seither regiert man als stimmenstärkere Partei quasi als Juniorpartner der ÖVP. (Bild: Steiermarks Vize-Landeschef Michael Schickhofer und Voves) APA/ERWIN SCHERIAU
Auch im Bund wollte es für die SPÖ seit der vergangenen Nationalratswahl nicht so wirklich laufen. Bei der EU-Wahl 2015 versuchte man sich mit einem vor allem anfangs ungeschickten Quereinsteiger aus dem ORF als Spitzenkandidat. Eugen Freund brachte schließlich mit seinen Kollegen 24,1 Prozent zusammen, ein schlankes Plus von 0,4 Prozentpunkten und Platz zwei deutlich hinter der ÖVP. Die Presse
Es sollte noch schlimmer kommen. SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer musste sich bei der Bundespräsidentenwahl im Vorjahr mit 11,3 Prozent begnügen, womit die Hofburg nach zwölf Jahren für die SPÖ verloren war. REUTERS
Dieses Debakel konnte nicht einmal der für seine Steher-Qualitäten bekannte Parteichef und Kanzler Werner Faymann politisch überleben. In einem für die österreichische Sozialdemokratie einmaligen Akt wurde der Parteivorsitzende bei der 1. Mai-Kundgebung am Wiener Rathausplatz gnadenlos ausgepfiffen. Kurz danach musste sich Faymann dem Druck der Länder beugen und schaffte gerade noch einen halb-freiwilligen Rückzug. ROLAND SCHLAGER / APA / pictured
Interessant an den damaligen Vorgängen ist auch die Machtverschiebung innerhalb der Sozialdemokratie. Nicht mehr die Wiener SPÖ diktierte das Geschehen, sondern die übrigen Länderorganisationen, die deutlich an Selbstbewusstsein gewannen, an vorderster Front der an sich zurückhaltende, aber dennoch entscheidungsfähige und populäre Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser. Die Länderspitzen waren es auch, die den damaligen ÖBB-Chef Christian Kern zum Parteivorsitzenden und Kanzler designierten, während Wiens Bürgermeister Michael Häupl Medienmanager Gerhard Zeiler bevorzugt hätte. (Bild: Christian Kern und Peter Kaiser) (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
Dass Wien nicht mehr das unumstrittene Machtzentrum der SPÖ ist, hängt auch mit dem weiter ungelösten Richtungs- und damit verbundenen Personalstreit in der Bundeshauptstadt zusammen. Häupl gelang es zuletzt nicht mehr, die Dissonanzen zwischen linkem und rechtem Flügel zu überdecken. Ob hier eine friedvolle Lösung nach Häupls Abgang kommendes Jahr möglich sein wird, bleibt abzuwarten. APA/GEORG HOCHMUTH
Noch übler sieht es freilich in Salzburg aus, wo der langjährige Stadtchef Heinz Schaden (Bild) seinen Posten nach einer erstinstanzlichen Verurteilung in der Swap-Causa räumt und der designierte Nachfolge Bernhard Auinger gleich eine schwierige Wahl zu schlagen hat. Luxusprobleme, denkt man da möglicherweise in Graz. Denn in der steirischen Hauptstadt kam die ehemalige Bürgermeister-Partei heuer nur noch auf zehn Prozent. APA/NEUMAYR
Geradezu paradiesisch ist aus SPÖ-Sicht St. Pölten. Bürgermeister Matthias Stadler (Bild) baute im Vorjahr seine absolute Mehrheit auf 59 Prozent noch aus. Zu den Gewinnern der Umwälzungen in der Sozialdemokratie gehört der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl, dessen Wort mittlerweile gehört wird, wenn auch nicht überall gerne. Seine Koalition mit den Freiheitlichen gegen einen geltenden Parteitagsbeschluss war quasi der Aufgalopp für eine grundsätzliche Entscheidung, wie es die SPÖ künftig mit der FPÖ hält. Verständigt hat man sich halbherzig auf einen Kriterienkatalog für künftige Koalitionspartner, der eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen zur Option macht. APA/HELMUT FOHRINGER
Sollte die SPÖ wie derzeit in den Umfragen prognostiziert nicht Platz eins erreichen, könnte sich die Diskussion fürs erste ohnehin erübrigen. Denn Kern hat ja die Devise ausgegeben, dass der Gang in die Opposition die Folge eines Abrutschens von der Spitze der Wählergunst wäre. Freilich ist alles andere als fix, dass er in diesem Fall überhaupt der Partei erhalten bliebe. Auch die von ihm zahlreich in Regierungsämter gehievten Quereinsteiger dürften auf einen Platz im Nationalrat eher verzichten und in ihre prestigereicheren Brotberufe zurückkehren. APA/GEORG HOCHMUTH
Leb wohl, Kanzleramt? Die SPÖ am Scheideweg
Kern fand die Situation verschmerzbar, immerhin hätte die Volkspartei der FPÖ nicht nur in der Flüchtlingspolitik „alles nachgemacht“, auch die Wirtschaftsprogramme seien so ähnlich, dass man nicht mit Sicherheit sagen könne, „wer von wem abgeschrieben hat“. Insofern bedauerte der Kanzler nicht, es nie auf ein Bier mit dem Oppositionspolitiker geschafft zu haben (das hatten sie nach dem ersten Duell erwogen), denn: „Der Herr Strache hat seither sicher ganz viele Fässer Bier mit der ÖVP getrunken.“
„Sie werden Geschichte sein“
Wie wenig man miteinander gemein haben wollte, zeigten die Kontrahenten in den nachfolgenden sechzig Minuten deutlich: So warf Kern dem „Kollegen Strache“ vor, eine „Binsenökonomie“ zu betreiben, während der Freiheitliche dem SPÖ-Chef mangelhafte Lese- wie Rechenfähigkeit und ein Dasein als Schutzpatron des „rot-schwarzen Verwaltungsspecks“ unterstellte. Auch würde dem SPÖ-Chef mehr Ehrlichkeit gut stehen, meinte Strache und verwies auf das Engagement des in Israel verhafteten Tal Silberstein als roter Berater. Kern räumte ein, dass er spät reagiert habe, das sei ein Fehler gewesen und er gebe ihn zu. Aber: „Sie und Ihre Partei haben fast Kärnten versenkt. Hat sich jemals jemand von Ihnen dafür entschuldigt?“
Zur Ansage von Kern im ORF-Sommergespräch vom Montag, beim Verlust von Platz eins in die Opposition wechseln zu wollen, führte der Kanzler aus, er beschäftige sich bis zum 15. Oktober nur mit der Frage, wie die SPÖ gewinnen könne. Strache riet ihm zu mehr Realismus: „Sollten Sie nicht Stärkster werden, dann werden sie Geschichte sein, Herr Kern.“ Ob ihm nach der Wahl eine schwarz-blaue oder rot-blaue Koalition lieber wäre, wollte der FPÖ-Chef nicht verraten: „Wir wollen uns treu bleiben“, beteuerte er. Soll heißen: „Es soll mir recht sein, wenn das die Sozialdemokratie sein sollte oder die Volkspartei“, Hauptsache, es stünden blaue Forderungen im Regierungsabkommen. Endgültig verbrannt ist die Erde zwischen SPÖ und FPÖ folglich nicht. (Verbaler) Angriff gehört eben zum Wahlkampf.
Auf einen Blick
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ließ Anfang der Woche mit einer Ansage im ORF-„Sommergespräch“ aufhorchen: Sollte die SPÖ bei der Nationalratswahl den zweiten Platz belegen, werde er in Opposition gehen. Das würde allerdings auch bedeuten, so der Kanzler, dass Österreich eine schwarz-blaue Regierung bekommen würde. Kern will damit wohl seine eigene Partei motivieren, sich stärker im Wahlkampf zu engagieren. Gleichzeitig richtet sich die Drohkulisse auch an Wähler, die keine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ wollen.
Im ersten medialen Duell zwischen SPÖ-Chef Kern und FPÖ-Obmann Strache im Nationalratswahlkampf gaben sich beide kampflustig. Gemeinsamkeiten stritt man ab - und doch gab es sie, etwa die Kritik an ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz.
Um Jobs einiger Funktionäre zu sichern, werde die SPÖ nach der Wahl sicher nicht in eine Regierung gehen, sagt der Bundeskanzler. ÖVP-Kürzungsprogramme trage er nicht mit.
Der Bundeskanzler will in die Opposition gehen, wenn ihn die Wähler nicht zur Nummer eins machen. Kern ist nicht der Erste, der hofft, einen Urnengang mit einer Ansage über sein persönliches Schicksal noch zu gewinnen. Aber kann diese Taktik erfolgreich sein?
Die Konfrontationen mit SPÖ-Beteiligung wird ORF-Moderatorin Claudia Reiterer leiten. Bei der FPÖ ist eine Vertretung für Heinz-Christian Strache nicht ausgeschlossen.
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