Nach dem Besuch von Sebastian Kurz in Brüssel äußerte sich EU-Kommissionspräsident Juncker positiv. Allerdings gab es Kritik an der neuen Außenministerin.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat das Regierungsprogramm der neuen österreichischen Koalition gelobt. Es "passt uns zu fast 100 Prozent", sagte Juncker nach dem Besuch von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in Brüssel. Zur FPÖ merkte er an, dass er "keine Vorverurteilungen" vornehmen wolle.
Allerdings gab es von Juncker Kritik an der neuen Außenministerin. "Ich wünsche mir nur, dass die Außenministerin ihr Bild, das sie über mich hat, in Teilen, vielleicht zur Gänze korrigiert. Sie hat gesagt, ich bin arrogant und zynisch. Wer Außenminister ist, muss sich daran gewöhnen, sich etwas diplomatischer auszudrücken", so der Kommissionspräsident. Aber er konzediere, dass die FPÖ das proeuropäische Regierungsprogramm mittrage, wobei er hinzufügte, dass die Koalition an ihren Taten gemessen werde.
Kurz unterstrich, dass sich "Österreich noch stärker in die EU einbringen" wolle. "Wir wollen einen Beitrag für eine starke Europäische Union leisten, und vor allem die Subsidiarität stärken". Seine Haltung zur Migrationsfrage sei bekannt, "wir werden gegen illegale Migration nach Europa kämpfen". Angesprochen darauf, ob er die Umverteilung akzeptiere, sagte Kurz, "natürlich akzeptieren wir die Umverteilungsentscheidung. Aber Umverteilung allein kann nicht die Antwort sein, um eine Lösung auf die Migrationskrise zu finden. Wir müssen die Außengrenzen sichern und beschließen, wer nach Europa herein darf. Das sollten nicht andere beschließen". Kurz weiter: "Nur wenn wir die illegale Migration stoppen können, wird ein Europa ohne Grenzen nach innen weiter selbstverständlich sein".
"Freundschaftliches Gespräch"
Juncker zeigte sich "hoffnungsfroh" und sprach von einer guten Zusammenarbeit mit Kurz. Die sei umso wichtiger, als Österreich im zweiten Halbjahr 2018 den Vorsitz der EU übernehme. "Das Gespräch mit Kanzler Kurz war schlüssig in der Sache und freundschaftlich in der Tonalität".
Angesprochen auf den doch deutlichen Unterschied nach der nunmehr erfolgten Regierungsbildung zwischen ÖVP und FPÖ gegenüber dem Jahr 1999/2000, als Sanktionen gegen Österreich verhängt wurden, sagte Juncker, "die EU und ihre Institutionen haben keine Sanktionen verhängt. Das waren die 14 Mitgliedsstaaten". Konkret zur Europatauglichkeit der Freiheitlichen befragt erklärte der Kommissionspräsident, "es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, die Regierung in die sie zusammensetzenden Teile zu zerlegen und sie zu kommentieren". Er sei "kein Freund von extrem rechts", dies brauche er nicht zu betonen. Aber "ich lese nur im Regierungsprogramm, das Kurz mit den FPÖ-Vertretern ausgehandelt hat, dass es stimmig ist und eine proeuropäische Tonalität in sich trägt."
Der von der ÖVP entsandte EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn zeigte sich über das Regierungsprogramm erfreut. "Die Erwartungen wurden übertroffen", meinte er.
Die Koalition verspricht, die Abgabenquote in Österreich auf 40 Prozent zu senken. Die Abschaffung der kalten Progression (automatische Anpassung der Grenzbeträge für die Progressionsstufen auf Basis der Inflation des Vorjahres) soll „geprüft“ werden. Konkret ist bisher, dass der Umsatzsteuersatz für Hotelübernachtungen von 13 auf zehn Prozent gesenkt werden soll. (c) Bruckberger
Geplant ist der Ausbau flexibler Arbeitszeitmodelle. Künftig soll die tägliche Arbeitszeit – auf betrieblicher Ebene, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat und unter bestimmten Umständen – auf zwölf Stunden und die wöchentliche auf 60 Stunden angehoben werden können. Die Höhe des Arbeitslosengeldes soll künftig sinken, je länger man arbeitslos ist. (c) imago stock&people (imago stock&people)
Versprochen sind eine Senkung der Körperschaftsteuer und der Lohnnebenkosten sowie eine Entbürokratisierung, etwa bei der Lohnverrechnung. Details sind aber noch ausständig. Kleinen und mittleren Unternehmen soll ein Ausbau der alternativen Finanzierungsmethoden zugutekommen. Auch soll Forschung stärker gefördert werden. EPA
Pro Kind soll es eine Steuergutschrift von 1500 Euro pro Jahr geben. Im Gegenzug werden der Kinderfreibetrag (440 bzw. je 300 Euro, wenn ihn beide Eltern geltend machen) und die Absetzbarkeit der Betreuungskosten (bis zu 2300 Euro) gestrichen. Der neue Kinderbonus steht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu und ist nicht negativsteuerfähig. (c) Clemens Fabry
Verbale Beurteilungen werden zurückgedrängt: Ab der ersten Klasse Volksschule soll es wieder klassische Noten von eins bis fünf geben. Schüler mit schlechten Deutschkenntnissen kommen in eigene Deutschklassen. Wer sich vom Religionsunterricht abmeldet, muss in den Ethik-Unterricht gehen. Vom 26. Oktober bis 2. November gibt es einheitliche Herbstferien. (c) Clemens Fabry
Studiengebühren in noch unbekannter Höhe („moderat“) werden eingeführt, sie sollen später steuerlich abgesetzt werden können. Studenten wird in den ersten Semestern das Erreichen einer bestimmten Zahl von ECTS-Punkten vorgeschrieben. ÖH-Mittel sollen nur für Beratung und Interessenvertretung von Studenten verwendet werden, nicht für Allgemeinpolitisches. imago/Future Image
Die Mindestpensionen für Personen, die lange Versicherungszeiten aufweisen können, werden angehoben. Gleichzeitig sollen Pensionsprivilegien im staatlichen und staatsnahen Bereich stufenweise abgeschafft werden. Wer in der Pension weiter arbeitet, spart sich die Bezahlung des Pensionsbeitrags. Bei Berufsunfähigkeit kommt eine „Teilpension“. APA/BARBARA GINDL
Wer einen Asylantrag stellt, dem wird das Bargeld abgenommen – um die Grundversorgung zu finanzieren. Auch die Handydaten sollen ausgelesen werden. Für Asylwerber soll es außerdem in Zukunft nur noch Sachleistungen geben – eine eigene Unterkunft dürfen sie sich nicht suchen. Bei einigen Verfahren werden die Beschwerdefristen verkürzt. Die Presse (Clemens Fabry)
Völlig losgelöst von den Bundesländern kann die Regierung das nicht entscheiden, aber ÖVP und FPÖ wollen ein einheitliches Modell für die Mindestsicherung. Für Familien würde es maximal 1500 Euro geben, außerdem müssten Bezieher zuletzt fünf Jahre in Österreich gelebt haben. Asylberechtigte würden 365 Euro plus 155 Euro Integrationsbonus erhalten. (c) Clemens Fabry
Die zuletzt im Vorjahr angehobenen Strafdrohungen bei Gewalt- und Sexualdelikten sollen weiter verschärft werden. Zudem will die Koalition prüfen, ob junge Erwachsene (zwischen 18 und 21 Jahren) künftig dieselbe Strafe wie ältere Täter erhalten sollen. Im Suchtmittelgesetz will man bereits den Verkauf von Hanfsamen und Hanfpflanzen verbieten. imago/Eibner
Die Koalition will kurzfristige Mieten erlauben. Die Möglichkeiten, in den Mietvertrag von Verwandten einzutreten, werden eingeschränkt (Abschaffung des „Mietadels“). Das Verbot, in Gründerzeitvierteln einen Lagezuschlag zu verrechnen, entfällt. Mieter im sozialen Wohnbau sollen mehr zahlen müssen, wenn ihr Einkommen nach dem Einzug steigt. APA/HELMUT FOHRINGER
Das laut Gesetz ab Mai 2018 geltende völlige Rauchverbot in Lokalen wird wieder gekippt. Lokale bis 75 Quadratmeter (bisher 50) sollen reine Raucherlokale sein dürfen, größere einen Nichtraucherbereich anbieten. Unter-18-Jährige dürfen nicht im Raucherteil sitzen. Wirte sollen eine monatliche Abgabe pro Verabreichungsplatz im Raucherbereich zahlen müssen. (c) Clemens Fabry
Das Regierungsprogramm lehnt eine Veräußerung einzelner ORF-Sender ab und kündigt Folgendes an: eine digitale Vermarktungsplattform für ORF und Privatmedien. Das Aus für die Verlautbarungspflicht für Unternehmen in der „Wiener Zeitung“, die wichtigste Einnahmequelle der republikseigenen Zeitung. Eine „Österreich“-Quote für Sender wie Ö3. (c) Clemens Fabry
Sowohl das Heeresnachrichtenamt und das Abwehramt im Verteidigungsministerium als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung im Innenressort sind politisch blau geführt. Auch wenn von einer erweiterten Meldepflicht die Rede ist, dürfte sich nicht viel ändern: Bereits jetzt gab es einen wöchentlichen Bericht an das Kanzleramt. (c) Bruckberger
Was das Regierungsprogramm für den einzelnen Österreicher bedeutet
Kanzler Kurz auf Blitzbesuch in Brüssel. Für EU-Kommissionschef Juncker stellt sich Österreich auch unter der neuen ÖVP-FPÖ-Koalition als verlässlicher europäischer Partner dar.
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