An mehreren deutschen Elite-Schulen der Jesuiten sind Kinder von Lehrern missbraucht worden. Ein Pater hat sich nun selbst angezeigt, nachdem ihn der Orden dazu gedrängt hat.
Der Missbrauchsskandal am Berliner Gymnasium Canisius-Kolleg weitet sich aus. Mittlerweile hat ein dritter Jesuit sexuellen Missbrauch von Schülern zugegeben und sich selbst angezeigt. Schulleiter Klaus Mertes sagte dem "Tagesspiegel" vom Mittwoch, er gehe davon aus, "dass das erst die Spitze des Eisbergs" sei. Die Jesuiten befürchten, dass es auch an anderen Orten solche Übergriffe gegeben hat.
Nachdem bekannt wurde, dass sich zwei ehemalige Patres des Jesuitenordens sexueller Übergriffe auf wohl mindestens 30 Gymnasiasten in den 70er und 80er Jahren schuldig gemacht haben, offenbarte der Orden einen weiteren Fall. Provinzial Stefan Dartmann teilte mit, es gebe einen weiteren Jesuiten, "der sich zu sexuellen Übergriffen bekannt hat". Der Mann sei mit den Aussagen von drei Opfern konfrontiert worden und habe in einem Fall die Tat zugegeben.
Zur Selbstanzeige aufgefordert
Dartmann erklärte, er habe den Mann aufgefordert, sich unverzüglich bei der Polizei zu melden und gegen sich selbst Anzeige zu erstatten. "Das ist bereits geschehen." Darüber hinaus habe er "den Mitbruder" mit sofortiger Wirkung vom priesterlichen Dienst suspendiert.
Der betreffende Jesuit war den Angaben des Ordens zufolge 1970 und 1971 Religionslehrer in Berlin am Canisius-Kolleg, danach arbeitete er bis 1975 in Hannover als Jugendseelsorger. Anschließend war er bis 1981 als Lehrer und in der Jugendarbeit in Berlin tätig, bis 1983 arbeitet er in gleichen Funktionen in Hamburg. Danach war er den Angaben zufolge über zwanzig Jahre lang Projektleiter eines anerkannten Hilfswerkes. Von dieser Funktion sei er mittlerweile entbunden worden, nachdem ein Opfer den Mann angezeigt habe.
Übergriffe als Initiationsritus
Mertes sagte dem "Tagesspiegel", er habe schon vor 15 Jahren von Gerüchten über Missbrauch am Canisius-Kolleg gehört. "Seitdem versuche ich herauszufinden, was da dran ist. In den Schulakten habe ich nichts gefunden", sagte er. Er habe den ehemaligen Schülern immer wieder bei Jahrgangstreffen gesagt, dass er für das Thema offen sei. Aber erst vor vier Jahren habe sich ein ehemaliger Schüler offenbart. "Die Übergriffe hatten den Charakter von Initiationsriten, da sind wir auf der Ebene des Systems. Da musste ich an die Öffentlichkeit."
Der Skandal betrifft offenbar bundesweit Einrichtungen der Jesuiten. So wird ein ehemaliger Sportlehrer des Kollegs verdächtigt, drei Schüler in Hamburg und zwei Schüler in St. Blasien im Schwarzwald sexuell belästigt zu haben. Außerdem soll er weitere Missbräuche in Chile und Spanien eingeräumt haben. Es habe sich um "exzessive körperliche Bestrafungsrituale" gehandelt, berichtete die Rechtsanwältin Ursula Raue, die im Auftrag der Jesuiten die Vorfälle untersucht.
Bei einem als Täter verdächtigen ehemaligen Religionslehrer gibt es laut Ordensleitung Hinweise darauf, dass er nach seiner Zeit in Berlin sowohl in Mexiko als auch in Göttingen und Hildesheim Mädchen unsittlich berührt hat. Dieser Pater verließ den Orden 1985. Ein Jahr später wurde auf ihn ein Mordanschlag verübt, den er laut Dartmann leicht verletzt überlebte.
Opfer fordern Akteneinsicht
Mehrere Opfer der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Gymnasium fordern neben finanziellem Schadenersatz auch vollständige Einsicht in die Akten der Schule und des Jesuiten-Ordens. "Wir wollen Aufklärung", sagte Manuela Groll, Rechtsanwältin von drei Männern, die nach eigenen Angaben vor Jahrzehnten an der Schule missbraucht wurden. "Wir haben allerdings eine ablehnende Antwort erhalten."
Zur Forderung nach Aufklärung sagte Groll weiter: "Dazu gehören auch Antworten auf die Fragen: Wer hat wann versagt? Und wen kann man zur Rechenschaft ziehen?" Sie prüfe jetzt eine Zivilklage auf Schadenersatz gegen die Schule und den Orden als Träger der Schule.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch sexueller Missbrauch ohne Vergewaltigung verjährt in Deutschland zehn Jahre nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers. Laut einem Bericht der "Bild"-Zeitung erwägen und prüfen einige der Opfer eine Klage auf Schadenersatz.
(Ag.)