Russland holt zum Gegenschlag aus - Kneissl bietet Vermittlung an

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Moskau will massenhaft westliche Diplomaten ausweisen und das US-Konsulat in St. Petersburg schließen. Damit reagiert die Regierung auf Strafmaßnahmen im Fall des vergifteten Spions Skripal.

Einige Tage hatte sich Moskau Zeit gelassen mit der Reaktion. Am Donnerstagabend verkündete der russische Außenminister Sergej Lawrow dann den Gegenschlag, nachdem zahlreiche westliche Länder angekündigt hatten, insgesamt mehr als 150 russische Diplomaten auszuweisen: Das US-Konsulat in St. Petersburg werde geschlossen, zusätzlich werde Moskau 60 US-Diplomaten ausweisen, teilte der Chefdiplomat mit.

„Was die anderen Länder betrifft, wird es symmetrische Maßnahmen geben, was die Zahl der Menschen angeht, die ihre diplomatischen Posten in Russland verlassen müssen“, sagte Lawrow. Mit anderen Worten: Moskau wird rund 150 westliche Vertreter des Landes verweisen. Die russische Retourkutsche ist ein weiterer Schritt in der Eskalationsspirale, in der sich Moskau und die westlichen Ländern seit der Vergiftung des früheren Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter im britischen Salisbury Ende Februar befinden. Die USA, Kanada, Australien und die meisten EU-Staaten haben ebenso wie die Ukraine, Georgien und die Nato zahlreiche russische Diplomaten des Landes verwiesen – aus Solidarität mit Großbritannien, das Moskau für den Anschlag verantwortlich macht.

Die US-Diplomaten müssen Russland bis Donnerstag kommender Woche verlassen haben. Darunter sind 58 Diplomaten in Moskau und zwei Konsulatsmitarbeiter in Jekaterinburg. Russland zitierte am Donnerstag auch den US-Botschafter in Moskau, Jon Huntsman, ins Außenministerium, wie Lawrow sagte. Washington allein hatte angekündigt, 60 russische Diplomaten auszuweisen und das russische Konsulat in Seattle zu schließen.

Österreich als Vermittler?


Die österreichischen Vertreter in Moskau werden von den russischen Vergeltungsmaßnahmen dagegen nicht betroffen sein: Wien hat sich an der Aktion nicht beteiligt, wie auch acht weitere EU-Länder, wobei die Slowakei, Malta und Slowenien ihre Botschafter aus Russland zurückbeordern wollten. Eine sanftere From des Protests. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte Österreich ganz allgemein als „Brückenbauer zwischen Ost und West“ offeriert. Wobei sich Russlands Präsident, Wladimir Putin, eine Vermittlerrolle Österreichs durchaus vorstellen kann. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow antwortete auf eine entsprechende Frage, Russland brauche „jede Stimme, die London helfen kann, zur Vernunft zu kommen“.

Außenministerin Karin Kneissl bekundete am Donnerstag dann erneut die Bereitschaft Österreichs zu vermitteln – „wenn wir gefragt werden“. Das sei bisher aber nicht der Fall gewesen. Das Außenministerium ließ auch den britischen Botschafter abblitzen, der zwei Mal eine Demarche eingebracht hatte, „um uns zu bestimmten Maßnahmen zu animieren“.

Skripal wohl in eigenem Haus vergiftet

International wachsen jedenfalls die Bedenken angesichts der weiteren Eskalation in den ohnehin sehr angespannten Beziehungen zwischen Ost und West. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte am Donnerstag eindringlich vor einer Art neuem Kalten Krieg. Die Situation besorge ihn sehr. Man brauche „Kommunikationsmechanismen und Kontrolle, um Eskalation zu verhindern und sicherzustellen, dass die Dinge nicht außer Kontrolle geraten, wenn die Spannungen zunehmen“. Diese Mechanismen seien abgebaut worden, weil „die Menschen dachten, der Kalte Krieg wäre beendet“. Lawrow kritisierte die Ausweisungen russischer Diplomaten am Donnerstag erneut als „absolut inakzeptable Handlungen“. Er warf den USA und Großbritannien vor, „groben Druck“ auf andere Länder ausgeübt zu haben, um diese auf einen „anti-russischen Kurs“ zu zwingen.

Der Vergiftungsfall des russischen Ex-Spions nahm unterdessen die nächste Wende: Britische Ermittler gehen nun davon aus, dass Skripal in seinem Haus in Salisbury vergiftet wurde. An der Tür von Skripals Haus sei die bisher höchste Konzentration des Nervengifts nachgewiesen worden, so Ermittler. Bisher wurde als Anschlagsort ein Restaurant in der Stadt vermutet, das Skripal am Tag des Attentats aufgesucht hatte – und zwar mit seiner ebenfalls vergifteten Tochter, die inzwischen jedoch, anders als ihr Vater, nicht mehr in Lebensgefahr schwebt, wie die Ärzte bekannt gaben.

Die österreichische Regierung argumentiert den Verzicht auf die Ausweisung russischer Diplomaten auch mit Verweis auf die völkerrechtliche Neutralität Österreichs. Dafür hagelt es heftige Kritik. Auch innerhalb der ÖVP. „Neutralität ist für Österreich kein Argument! Sorry!“, twitterte Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament. Österreich habe nach dem EU-Beitritt 1995 in der Verfassung klargestellt, dass es in der EU nicht neutral, sondern solidarisch sei.
Ähnlich äußerte sich Elmar Brok, Außenpolitiker der deutschen Kanzlerpartei, CDU: „Dass Österreich auf Neutralität pocht, ist absurd, schließlich geht es um Solidarität für ein EU-Land, in dem ein offensichtlich von Russland befohlener Giftanschlag verübt wurde.“ Wobei sich auch innerhalb der deutschen Koalition ein Riss andeutet: Die Ausweisung sei „nicht der Weisheit letzter Schluss“, so SPD-Vize Ralf Stegner. Er warnte vor einer Eskalationskaskade, „die uns noch sehr schaden kann“. Moskau streitet jede Beteiligung an dem Angriff ab. Der Botschafter bei der EU, Wladimir Tschischow, stellte die These in den Raum, dass ein britisches Chemiewaffenlabor die Quelle für das Nervengift sein könnte.

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