„Der Krieg hat uns aufgeweckt“

INTERVIEW. Rene Medvešek inszeniert „Szenen einer Ehe“ im Volkstheater-Salon. Der kroatische Regisseur über Voyeurismus, Aktionismus und die Dominanz des Privaten.

Die Presse: Das Volkstheater setzt neuerdings häufig Filme dramatisch um. Ihre Inszenierung von „Szenen einer Ehe“ nach Ingmar Bergman hat am Freitag Premiere. Wie geht man an solch ein Meisterwerk heran?

Rene Medvešek: Anfangs war ich schon besorgt. Ich bin relativ lange um den Text herumgegangen wie die Katze um den heißen Brei. Aus fünf Stunden Film werden zwei Stunden Vorstellung. Man muss einen eigenen Zugang und einen Rhythmus finden, den das Publikum akzeptiert. Der Stoff ist noch aktuell, aber nicht mehr revolutionär. Damals vor 40 Jahren gab es ein Aufbegehren gegen die Ehe. Ich will in meiner Inszenierung nicht dazu einladen, voyeuristisch das Scheitern einer Beziehung zu betrachten. Es geht mir vor allem um Identität. Die Partner versuchen, sich selbst zu finden.

Ist die Absage an den Voyeurismus auch die Absage an den Skandal?

Medvešek: Ich habe nicht das Bedürfnis nach einem Theaterskandal. Er löst keine Probleme, das Wichtige wird zweitrangig. Ich versuche zu verstehen, warum dieser Film für Ingmar Bergman so wichtig war.

Wie positionieren Sie sich in der Theaterlandschaft in Zagreb (Agram)?

Medvešek: Auf nationaler Ebene gibt es dort das große Volkstheater mit dem Mainstream. Ich arbeite an einem Jugendtheater, das sehr viel Experimentelles bringt und junge Autoren fördert. Oft entstehen bei uns Stücke, auch die Mehrheit meiner Stücke, aufgrund gemeinsamer Improvisation.

Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Medvešek: Mein Bruder und ich sind Schauspieler geworden, obwohl der Weg nicht vorgezeichnet war. Unsere Eltern sind Ingenieure. Wahrscheinlich wollten wir als Kinder der Siebzigerjahre einfach die Richtung wechseln und haben uns auf Kunst fixiert.

Das war im Kommunismus. Wie haben Sie das Auseinanderfallen Jugoslawiens erlebt?

Medvešek: In wirklich schlimmen Zeiten ist das Theater gezwungen, sich zurückzuziehen. Es funktioniert dann eher als Zeichen, dass man überhaupt noch lebt. Im Krieg gab es für die Theater in Zagreb Arbeitspflicht, man wollte zeigen, dass die Stadt funktioniert. Ich bin in die Schule gegangen, als die Generationen um mich einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, die Geschichte war schwarz-weiß wie in Partisanenfilmen. Wir waren schockiert, als wir erfuhren, wie viel davon Fassade gewesen ist. Die Achtzigerjahre waren apolitisch. Man hatte einen recht guten Lebensstandard, relativ offene Grenzen. Wir wussten nichts von den Schulden; vom Terror nach dem Zweiten Weltkrieg durfte nicht gesprochen werden. Der Krieg hat uns aufgeweckt. Ich war zuvor lange reserviert. Als es aber zu großen Massenmorden kam, in Vukovar etwa, als Kroatien eine ganze Armee gegen sich hatte und Europa zusah, gab es ein Bedürfnis nach Aktivität. Es war ein Defizit, dass sich so lange niemand in diesen Konflikt eingemischt hat.

Wie haben Sie das ausgedrückt?

Medvešek: Ich habe mit einer Gruppe von Künstlern Bürgeraktionen gemacht. Wir haben aus Müll einen riesigen Panzer gebaut, einen „Jugoslawischen Volksarmee-Saurier“, um westliche Medien aufzufordern, objektiv über das Ausmaß der Aggression zu berichten, damit dieses Untier gestoppt werde. Das war ein Hilferuf von Wehrlosen.

Wie haben Sie dann den Krieg bewältigt? Hat er sich später auf Ihr Theater ausgewirkt?

Medvešek: Es gab nach dem Regimewechsel ohne Zweifel persönlichen Missbrauch dieser Zeit, es gab Wendehälse, aber es gab schließlich die Hoffnung auf Demokratisierung. Wenn seither bei uns vom Krieg geredet wird, handelt es sich vor allem um den Versuch, sich mit der Verantwortung Kroatiens auseinanderzusetzen. Das ist Aktivismus, Modernismus und wird auch gefördert. Bewältigung ist das noch nicht. Dass heute Kroatien noch 1000 Leute vermisst, wird zur Seite geschoben; man versucht auch international, die Sache eher zu beruhigen als ein klares Urteil zu fällen. Ähnlich ist es mit Bosnien und Srebrenica.

Was bewegt junge Kroaten heute im Theater?

Medvešek: Sie wachsen mit dem Internet auf und unterscheiden sich nicht von Jugendlichen in Wien oder Prag. Man läuft heute im Theater dem Film nach, dem Spektakel, um das Publikum zurückzugewinnen. Das private Sprechen dominiert auf der Bühne, das öffentliche wird zurückgedrängt. So verliert Theater aber etwas Wichtiges. Man braucht auch ein Ensemble, das klassische Werke bringt, die über das Private hinausgehen.

AUF EINEN BLICK

Rene Medvešek (*1963) begann seine Karriere als Schauspieler. 1991 war er Mitbegründer der Autorengruppe MIG OKA. Er ist als Regisseur und Autor in Kroatien sehr gefragt. [z/k/m]

Premiere von „Szenen einer Ehe“ im Schwarzen Salon des Volkstheaters: heute, Freitag, um 19.30 Uhr. Weitere Termine:
23., 25. Februar sowie 9., 19. und 25. März.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2010)

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