Der "Alte" und die Medien

Alte Medien
Alte Medien(c) Harald Hofmeister
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Kreiskys Spiel mit Journalisten, die fleißig (r)apportierten. Leitartikler wollte er gern werden, in der "Arbeiter-Zeitung" oder in der "Presse". So diktierte er uns seine Sentenzen in den Notizblock.

"Büro des Bundeskanzlers. Grüße Sie. Ich verbinde!“ Wer beschreibt das selige Herzflattern, das in der Ära Kreisky jeden Redakteur befiel, wenn ihn diese berühmten sieben Worte der Chefsekretärin Margit Schmidt ereilten – abends daheim, sonntags im Dienst, tagsüber, wenn man bis über die Ohren in Arbeit steckte. Schrullig waren sie, diese Anrufe, berechnend, ausufernd, detailverliebt. Brummelndes Lob etwa über die Krawatte, die man tags zuvor im Pressefoyer trug („Werden S' sehen, die schmalen Krawatten kommen wieder. Nur net wegschmeißen!“).

Und bisweilen grotesk. Dann nämlich, wenn ihn „sein Geschwätz von gestern“ schon lang nicht mehr interessierte. 1972 plädierte er im Hohen Haus leidenschaftlich für die zweisprachigen Ortstafeln, die er schließlich per Gesetz durchboxte. Bedenken, dass die Kärntner revoltieren könnten, tat er als lächerlich ab. Als es daraufhin zu wütenden Ausschreitungen in Südkärnten kam, war plötzlich alles anders für Kreisky. Anruf in der Redaktion: „No, Herr Redakteur, jetzt hamma's. Hab i Ihnen das net immer prophezeit?“


Der Arbeitstag des „Medienkanzlers“ Kreisky war das reinste Chaos. So plastisch beschreibt es sein damaliger Kabinettschef Alfred Reiter, der ihm ab Jänner 1972 diente. „Sein Arbeitszimmer – unbeschreiblich: ein Durcheinander von Akten, manche waren Monate alt, Zeitungsausschnitte, Liebesbriefe, Drohbriefe, auf einem Dossier stand „Dringend/Sofort“, das lag schon zwei Monate dort.“

„Kreisky agierte nicht wie der Vorstandsvorsitzende eines Großunternehmens“, urteilt Reiter. „Bei ihm war Politik etwas Künstlerisches. Dazu gehörte die Inszenierung, das Stehen an der Rampe, das Verschwinden in der Kulisse. In unserem Vorzimmer schaute es immer aus wie im Wartezimmer eines Arztes. Denn jeder Termin musste nach hinten geschoben werden. Jeder österreichische Journalist wusste, dass er sofort mit Kreisky verbunden wird, da konnte die interne Sitzung noch so wichtig sein.“ Reiter war oft verzweifelt, wenn er einem hochrangigen Besucher die Wartezeit verkürzen und zuhören musste, wie der Chef drinnen mit irgendwem von einer Zeitung telefonierte: „Also, lesen S' mir amol vor, was Sie bis jetzt g'schrieben haben.“ Und dann wurde geredet und geredet, „über Dinge, die sie beide nicht ganz verstanden“ (Reiter).


Ein Genieblitz kam Kreisky – wie so oft – nächtens. Er wollte vom Gängelband der Gewerkschafter wegkommen. Eine staatliche Parteienfinanzierung gab es nicht. Aber wie konnte er die einführen, ohne alle unabhängigen Zeitungen sofort gegen sich zu haben? So schlug er parallel dazu eine staatliche Presseförderung vor. Ein genialer Trick, denn so konnten die Zeitungen schwer gegen die Parteisubventionen anschreiben.

„Mit Kreisky wurde Politik zur TV-Politik“, urteilte Günther Haller in der Vorwoche im „Spectrum“. „In diesem Medium lebte Kreisky seine geradezu erotische Beziehung zum gesprochenen Wort aus. Nahezu täglich war er in den Fernsehnachrichten zu sehen – und ging den Zusehern dennoch nicht auf die Nerven. Sein betont langsames Sprechen im tiefen Bassbariton, sein bürgerlich-intellektueller Habitus als Homme de lettres und seine leicht dozierenden Sätze wirkten souverän und bescheiden zugleich.“

Diese Gabe hatte Kreisky schon als Junger trainiert. Als gebildeter Großbürgersohn konnte er später mit Künstlern und Wissenschaftlern ebenso gut kommunizieren wie mit einfachen Fabrikarbeitern. Obwohl er alles ignorierte, was heutige Kommunikationsberater empfehlen, dominierte er jede TV-Show, weil er Politik als Unterhaltung anbot.


Das Pressefoyer. Seit dem 14.März 1972 gestaltete Kreisky das Pressefoyer nach dem Dienstag-Ministerrat zu einem Kammerspiel. Er gab den Journalisten das Gefühl, auf gleicher Höhe mit ihm zu stehen. Ein holdes Trugbild natürlich. Aber anders als seine Nachfolger vermittelte der listige alte Fuchs den eitlen Medienleuten, sie zu respektieren, sie ernst zu nehmen. Und diese verließen – nach Stunden – das Kanzleramt nicht nur mit einem „Aufmacher“ fürs Blatt, sondern auch belehrt, geehrt, erhoben.

Aber da hatte er doch übertrieben: Interviewtermin beim „Alten“ am späteren Nachmittag. Zwei „Presse“-Redakteure nicken schon zwei Stunden lang brav zu Kreiskys weit ausholendem Monolog über Nahost, die Sozialversicherung, China, die USA und Mohnnudeln. Margit Schmidt, die treue Seele, steckt den Kopf zwischen den Türspalt: „Herr Bundeskanzler“, flüstert sie, „Ihr nächster Termin...“ – „Wer is' denn?“ – „Der Herr Bundespräsident wartet.“ – „Ja, der muss jetzt warten! Ich hab da die zwei Herren von der Presse. Ja?“ – Kreisky alteriert sich absichtlich noch eine halbe Stunde über Journalisten von der Konkurrenz: „Der XY, so was von schäbig! Da kann ich nur sagen, meine Herren, pfui Teufel! Ja Sie, Sie sind nobel, anständig, da weiß man, wo Sie stehen, aber der XY...“ Wieder Margit Schmidt: „Herr Bundeskanzler, der Herr Bundespräsident hat anrufen lassen...“ – „Na, wir sind's ja eh glei!“

Als die Redakteure glücklich über den Ballhausplatz schreiten, fällt ihr Blick auf die Präsidentschaftskanzlei. Alles finster, totenstill. Ob Kreisky nur einen abgefeimten Trick angewendet hat? Frau Schmidt schweigt bis heute. Und lächelt freundlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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