Neue Freie Presse

Das Weltblatt aus Wien, Fichtegasse Nummer 11

Presse Archiv
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Die Zeitung des alten Österreich. „Die Presse“ war eine Gründung von 1848, aus ihr entstand die „Neue Freie Presse“, die die Mutterzeitung bald überstrahlte. Sie wurde die Zeitung der bürgerlich-liberalen Elite des Landes.

Was war das eigentliche Zentrum des alten Österreich? Die Hofburg doch wohl, das Parlament schon weniger, es war oft geschlossen. Oder waren es die tausenden Kaffeehäuser des Landes, in denen eine bürgerliche Elite Meinungen austauschen und in den dort aufliegenden Zeitungen die Welt erleben konnte? Das bürgerliche Österreich zog es nicht in die fernen Länder des Kontinents, es begab sich auf eine Reise ins Innere, in das Kaffeehaus, und holte sich dort die Welt vom Zeitungsständer. Und dies vor allem in Form der „Neuen Freien Presse“ (NFP). Sie war unbestritten von 1864 bis 1918 das bedeutendste Blatt Österreichs.

Ihr Stern überstrahlte die „Presse“ von 1848, aus ihr ist sie hervorgegangen, die besten Journalisten wechselten in das neugegründete Konkurrenzblatt, die Mutterzeitung verblasste. Eine besondere Frechheit: Die Neue sah genauso aus wie die „Presse“, die bald nur mehr vom alternden Kaiser Franz Joseph gelesen wurde, der prinzipiell nicht viel von Innovationen hielt.

Man sollte sie nicht zum Feind haben

Max Friedländer und Michael Etienne gründeten nach einem Zerwürfnis mit Zang die "Neue Freie Presse".
Max Friedländer und Michael Etienne gründeten nach einem Zerwürfnis mit Zang die "Neue Freie Presse". Presse Archiv

Bald wurde die Zeitung mächtig, es war nicht angebracht, sie sich zum Feind zu machen. Dazu musste schon eine ordentliche Portion Masochismus gehören, wie sie nur Karl Kraus besaß. Die materielle Basis wurde in den fetten Jahren der Gründerzeit gelegt, hier passte auch die politische Situation für das liberale Blatt, das sich ein nobles Ringstraßenpalais in der Wiener Fichtegasse zulegte, einen richtigen Arbeitspalast.

So konnte sich die „Neue Freie Presse“ alles am publizistischen Markt leisten, was gut und teuer war. Die besten Auslandskorrespondenten, die besten Feuilletonisten wurden angestellt. Welcher Autor konnte es sich erlauben, nicht im Kulturteil dieser Zeitung aufzuscheinen? Welcher angesehene Bürger konnte es wagen, nicht „Abonnent der Neuen Freien Presse“ auf seiner Visitenkarte stehen zu haben? Dabei war die Auflage gar nicht so groß, kaum über 50.000. Doch die Leser gehörten zur einflussreichen bürgerlichen Schicht im Raum der gesamten Donaumonarchie und in den Hauptstädten des Auslandes. Die tägliche Zeitungslektüre wurde hier geradezu sakral inszeniert. Familie und Dienstboten hatten zu schweigen, wenn der Patriarch las.

Eine Macht in der Finanzwelt

Die Macht der Zeitung in der Finanzwelt war unübersehbar und unheimlich. Da ließ sie manchmal Sauberkeit vermissen. Auch der Einfluss in der Kunst- und Kulturwelt war groß, allzu groß. Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal schrieben regelmäßig Texte für das Feuilleton. Kein Buch, kein Theater- oder Musikstück war ein Erfolg, wenn es nicht von der NFP abgesegnet wurde. So kann eine Zeitung, wenn sie „zu gut“ ist, auch Schaden anrichten. Zum Beispiel indem sie Themen, die ihr nicht passen, wie den Sozialismus und den Zionismus, jahrelang völlig totschweigt und damit inexistent zu machen versucht.

Der große (Börsen-)Krach vom 9. Mai 1873 beendete die Wachstumsjahre der Gründerzeit.
Der große (Börsen-)Krach vom 9. Mai 1873 beendete die Wachstumsjahre der Gründerzeit. AKG Images / Picture Desk

Durch die Zerstückelung der Donaumonarchie 1918 verlor die Zeitung viel von ihrer politischen und wirtschaftlichen Basis. Die Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre zwang die jüdische Eigentümerfamilie Benedikt, sich von der NFP zu trennen. Für die nun zum Regierungsblatt gewordene Zeitung gab es nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich 1938 kein Weiterleben mehr: Hitler sah sie als „Judenblatt“ und verlangte die Einstellung. So ging der große Presse-Tanker Österreichs unter.

Das Erbe

Was hat die „Presse“, die Neugründung von 1946, von ihrer großen Vorgängerzeitung bewahren können? Nicht den Namen, das war rechtlich nicht möglich, auch die Firma als solche war erloschen, aber die „Presse“ setzte ihren ganzen Ehrgeiz ein, um viel vom Inhalt zu übernehmen: Das große Format, die umfangreiche Auslandsberichterstattung, den Wirtschaftsteil, der viel Platz bekommt und den alten Namen, „Economist“, trägt und last but not least die Pflege eines kultivierten Feuilletons.

Das war möglich, weil große Journalisten der Zeit vor 1938 wieder den Weg zu „ihrer“ Zeitung fanden, neue kamen hinzu. Österreich hatte als Kleinstaat nicht mehr die Bedeutung der großen Monarchiezeit. Fast trotzig setzt die „Presse“ ihre internationale Perspektive durch und beginnt, ein Terrain der Unabhängigkeit in der Zweiten Republik abzustecken und die Spitzenposition unter den österreichischen Qualitätszeitungen auszubauen. Das ist ihr Erbe.

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