Michael Haneke im Gespräch mit André Heller

Michael Haneke hatte noch
Michael Haneke hatte noch(c) APA (Wega-Film)
  • Drucken

Der Regisseur Michael Haneke über seine Filme als unangenehme Spiegel, einen Anruf von Juliette Binoche, Glück, Unterwerfung, Hypochondrie, Tod, Lüge, Kunst und Freundschaft.

Heller: Ich habe dir einmal einen Glücksbringer geschenkt und du meinst mittlerweile...

Haneke: ...dass er hilft. Ich bin abergläubisch, das ist völlig idiotisch. Die meisten Leute am Theater wünschen sich Toi Toi Toi. Jeder macht sich lustig darüber, aber jeder tut es trotzdem.

Gib mir ein Beispiel, wo du glaubst...

...dass es geholfen hat.

Oder, wo was gefährlich ist, im Sinne von Aberglauben.

Gefährlich ist es immer dann, wenn man etwas glaubt und dafür etwas anderes unterdrückt. Jede Form von Ideologie ist eine Art Aberglaube. Überall dort, wo eine Ideologie auftritt, egal, ob sie jetzt weltlich oder kirchlich ist, wird es gefährlich. Talisman-Aberglauben ist die harmlose Variante, weil sie niemandem schadet außer dem, der umsonst daran glaubt.

Meiner Erfahrung nach schaffen unsere Gedanken sehr wohl unsere Realität, und deshalb halte ich das negative Denken für selbstbeschädigend.

Ich kann dir ein gutes Beispiel nennen: Wenn ich mit dem Auto fahre, sage ich immer, jetzt finde ich sicher keinen Parkplatz. Dann finde ich auch keinen. Meine Frau hingegen findet immer einen, weil sie daran glaubt. Insofern wäre das eine Bestätigung deiner Theorie. Ich habe auch noch nie etwas gewonnen. Wobei: Andererseits gibt es wieder den bösen Satz von Billy Wilder, der für böse Sätze berühmt ist: „Ich weiß nicht, warum immer nur begabte Menschen Glück haben“. Diese Aussage ist für jemand, der keinen Erfolg hat, vernichtend.

Was redest du denn da? Du bist doch auch ohne Oscar nachgerade vom Glück überschüttet beim Gewinnen.

Ja, mit dem Film. Deshalb habe ich das Beispiel erwähnt, vielleicht ist der Film ja nicht so schlecht und gewinnt deswegen. Aber ich hatte noch nie Lotterie- oder Parkplatz-Glück.

Mir scheint, wenn man Preise gewinnt oder einem andere mit liebevollen Anerkennungen begegnen, sollte man sich freuen und sich selbst und dem Glück dankbar sein, weil sonst hat es vielleicht à la longue keine Lust mehr, bei dir zu landen.

Es macht mich durchaus nachdenklich, was du sagst. Aber wenn man sich angewöhnt zu denken, mein innerer Friede hängt davon ab, dass ich jetzt den und den Preis krieg, dann werde ich womöglich ununterbrochen frustriert, weil das so nicht funktioniert. Ich fuhr in die USA und dachte, wir haben eine Chance, beim Oscar ist sie 4:1. Wenn ich gewinne, ist es mir recht. Und wenn nicht, wie am vergangenen Sonntag in Hollywood geschehen, falle ich auch nicht weinend auf die Knie.


Ich finde es vollkommen vernünftig, nicht groß enttäuscht zu sein. Und ich finde es angebracht, sich zu freuen, wenn's gut geht.

Ja, ich freue mich natürlich auch. Man freut sich immer über Anerkennung. Es ist auch das Phänomen, plötzlich berühmt oder prominent zu sein. Die Filme, die ich vorher gemacht habe, waren nicht schlechter. Und der Film, den ich jetzt gemacht hab, wird nicht besser dadurch, dass er jetzt so und so viele Preise sammelt. Ich weiß bei jeder Arbeit, was mir dabei gelungen und was mir misslungen ist. Und mit 100 Auszeichnungen wird sie für mich nicht besser oder schlechter. Ich finde Das weiße Bandwirklich nicht gelungener als zum Beispiel Caché. Caché war auch im angelsächsischen Raum ein Riesenerfolg. Aus unerfindlichen Gründen hat er plötzlich irgendwelche Zuschauerrekorde gebrochen. Weil er etwas getroffen hat, in der Stimmung, die gerade herrschte, das dazu führte, dass ihn dann so viele Leute gut fanden. Du kannst einen Film der gleichen Qualität machen und es kann der falsche Zeitpunkt sein.

Wieso war gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für Das weiße Band?

Weiß ich nicht. Jedes Mal bin ich überrascht. Ich war bei Caché total überrascht. Ich war umgekehrt total überrascht, dass Funny Games U.S. ein totaler Flop war, wo ich mir gedacht habe, das müsste jetzt eigentlich reingehen wie das heiße Messer in die Butter. Hat aber überhaupt nicht funktioniert. Ich glaube, wenn man wüsste, was in der Luft liegt, dann hätte man ja das goldene Rezept für den permanenten Erfolg. Das hat natürlich keiner.


Du hast mich vor Kurzem mit dem Satz erschreckt: „Ich hab kein Talent zum Glücklichsein.“

Tatsächlich, ich glaube, ich hab dafür relativ wenig Talent. Das ist die alte Geschichte vom halbvollen und halbleeren Glas. Was ist Glück? Glück ist ein Steigerungszustand. Man lebt so, und dann passiert was Schönes. Man kriegt die Goldene Palme. Und das bedeutet einen glücklichen Moment im Leben. Glück ist eine Momentaufnahme. Wenn Glück anhält, wird es Gewohnheit. Und Gewohnheit ist das Gegenteil von Glück. Das Außergewöhnliche kommt nur alle heiligen Zeiten durch irgendwelche ungewöhnlichen Konstellationen zu dir. Jemand, der dauernd in Euphorie lebt, den kann ich mir gar nicht vorstellen. Da muss man wohl ununterbrochen stoned sein. Zufriedenheit, das schon. Ich habe überhaupt kein Recht auf Unzufriedenheit. Ich bin ja Gott sei Dank gesund, hoffe ich zumindest, habe eine Frau, die ich liebe, und kann mir mein Leben so einrichten, wie es meinen Bedürfnissen entspricht. Was will man noch mehr verlangen. Wenn man einigermaßen ohne schlechtes Gewissen, dass man nämlich anderen nicht geschadet hat, leben kann, das ist schon was. Aber Glück, das passiert dir einmal im Jahr oder alle drei Jahre oder wenn man frisch verliebt ist, dann ist man in so einem merkwürdigen Außersichsein. Das dauert eine gewisse Zeit und dann ändert es sich. Das heißt nicht, dass dann die Liebe aufhört, aber es hört diese Besoffenheit auf, diese manische. Und Glück hat immer mit so einem extraordinären Zustand zu tun. Und das Extraordinäre, das halte ich, glaube ich, nur begrenzt aus. Ist das eine Antwort?


Absolut, das ist deine Antwort. Lass uns bitte über den Stellenwert der Lüge reden. Übers Täuschen und Tricksen und all diese Unarten.

Der Tiger, der seine Streifen als Schatten im Dschungel verkauft, oder das Chamäleon, das sich als Blatt verkleidet, die überleben ja deshalb. Täuschen ist ein integraler Bestandteil des Universums. Aber wie bei jeder Frage der Moral, sobald man dazu verdammt ist, darüber nachdenken zu können, als Mensch, ist das nicht mehr so einfach. Dann weiß man, dass das Täuschen zum Schaden von jemand anderem ist, den man getäuscht hat. Der ist ja dann der Dumme, der hat den Nachteil. Ob das jetzt in einer Beziehung ist, oder geschäftlich, oder wo auch immer. Deswegen ist es für mich schon etwas, das zu den ganz schweren Vergehen zählt. Wenn mich jemand aggressiv angeht, kann ich darauf reagieren, gibt er mir a Watschn, gib ich ihm auch eine Watschn oder wie auch immer. Aber beim Lügen kommst du ja immer erst im Nachhinein drauf. Und bist dann das Opfer gewesen. Und das ist unverzeihlich. Lügen und so schiagaln, wie man in Oberösterreich sagt, hasse ich auf den Tod.

Was hast du für eine Beziehung zu deinem Körper?

Ich habe die Beziehung immer dann, wenn er nicht funktioniert. Mit zunehmendem Alter kommt natürlich das eine oder andere Zipperlein. Ein Beispiel, kennst ja eh, seit dem letzten Film habe ich einen Meniskus angerissen. Und war immer ein begeisterter Skifahrer. Und jetzt kann ich das traurigerweise nicht mehr. Ich lass mich aber auch nicht operieren, weil ich sag, man soll sich nicht solchen Risiken aussetzen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ja, ich nehm den Körper vor allem dann wahr, wenn er mir unangenehm daherkommt. Ich meine, wenn man mit jemandem schläft, fällt einem der Körper natürlich angenehm auf. Oder wenn ich in der Sonne liege und die Wärme auf der Haut spüre. Aber ich bin wie mein Vater ein Hypochonder, und wenn irgendwas nicht funktioniert, denke ich natürlich sofort, ich habe das Schlimmste. Was sich dann – Gott sei Dank – bis jetzt immer als Irrtum herausgestellt hat.


Bist du deinen Eltern eigentlich dafür dankbar, dass sie dich in die Welt gebracht haben?

Wenn sie mich nicht erzeugt hätten, wäre es wahrscheinlich noch besser gewesen. Dann hätte ich nämlich keine Probleme.

Habe ich das jetzt richtig verstanden? Du wärest lieber nicht geboren?

Das ist in der Philosophie des Abendlandes kein besonders neuer Gedanke, dass es eigentlich besser wär', nicht geboren zu sein, weil es dann all die Ängste, Nöte und Schrecken nicht gäbe.

Ja, aber das Wunderbare und Köstliche auch nicht.

Das stimmt. Da wir ja keine Wahl haben, ist es ein müßiger Gedanke. Wir sind geboren, aber es ist nicht so, dass ich meinen Eltern dafür dankbar sein müsste. Ich bin dankbar, dass sie nett zu mir waren, denn sie hätten mich ja auch zeugen und dann in den berühmten Kanal oder in den Mistkübel stecken oder sonst wie schlechtest behandeln können. Das wäre furchtbar gewesen. Aber die bloße Tatsache, dass man existiert, ist für mich kein Grund, Danke zu sagen. Ich habe mir auch nicht das Gegenteil gewünscht, jetzt bin ich da, dafür kann ich nichts, aber ich versuche daraus das Beste zu machen.

Hattest du eine liebevolle Kindheit bei den Eltern?

Ja, aber „bei den Eltern“ kann man nicht sagen. Mein Vater ist relativ bald in den Krieg gezogen und aus dem Krieg nicht mehr nach Österreich, sondern nach Deutschland gegangen. Dort hat er eine neue Frau gefunden und so weiter. Der hat sich da nicht um mich geschert, und ich habe ihm das, ehrlich gesagt, nie übel genommen. Ich habe auch keinen Vater vermisst. Wir wohnten die ersten Nachkriegsjahre auf dem Land in Salzburg und dann bei meiner Tante, die nahe Wiener Neustadt einen großen bäuerlichen Betrieb besaß. Dort war zwar die Russenzone, aber es gab etwas zu fressen, während die meisten anderen nichts hatten. Meine Mutter blieb anfangs noch als Schauspielerin am Landestheater in Salzburg und ist dann ans Burgtheater gekommen. Aber ich will eigentlich ungern über meine Kindheit reden.


Akzeptiert. Michael, ist der Tod für dicheine Furcht oder ein Trost oder keines von beiden?

Keines von beiden. Sterben ist eine Furcht, weil ich Angst vor Schmerzen und vor Leiden habe. Der Tod ist für mich etwas Unvorstellbares, es passiert halt, wir sagen uns, aha, zuerst hat er gelebt und jetzt ist er tot. Der Ingmar Bergman schreibt in seinem Buch, dass er bei einer Operation eine Überdosis Narkose gespritzt bekam, und das hat zwölf Stunden oder so gedauert, wo er bewusstlos war. Er meint, der Tod ist so, wie's da war. In dieser Bewusstlos-Zeit hatte er weder etwas halluziniert noch sonst irgendeine Wahrnehmung. Es war einfach aus. Und das empfand er als tröstlichen Gedanken. Andererseits erzählt er, dass ab dem Tag, als seine Frau starb, das Leben für ihn zur Qual wurde, und er hat einmal geträumt, dass seine Frau auf ihn zukommt, und er war sich sicher, dass es ganz und gar wirklich ist, und wollte dann eigentlich nicht mehr ohne die Hoffnung leben, seine Frau irgendwann, irgendwo wiederzusehen. Zwischen diesen beiden Extremen hangeln wir uns alle durch, emotional und intellektuell. Gewisse Menschen, die tief in einem tröstlichen Glauben verankert sind, halte ich freilich für beneidenswert.

Julien Green oder Paul Claudel?

Claudel ist ein Musterbeispiel. Er war ein völliger Atheist und hatte dann plötzlich in einer Kirche ein Erweckungserlebnis, und von da an war sein Leben ein anderes. Gut für ihn, sage ich. Ich habe das nicht gehabt, das Erweckungserlebnis, so bin ich, wie sehr viele andere, hin- und hergeworfen zwischen dem Gedanken, dass nachher gar nichts ist, und der Hoffnung, dass es doch etwas gibt. Aber wir haben alle eine Sehnsucht nach dem Licht.

Übrigens, weil wir gerade philosophieren: Camus oder Sartre?

Camus.

Da sind wir uns einig.

Komischerweise heute die meisten, ich glaub auch, dass der Camus in jedem Fall der bessere Schriftsteller ist. Sartre hat immer so seine Thesen dramatisiert oder in Romanform gegossen, aber ich glaube, er war kein erster Schriftsteller. Während der Camus schon wesentlich aufregender ist. Ich habe unlängst wieder in „Der Fremde“ gelesen, und es ist brillant.

Bei anderen Arten von Wiederbegegnungen, zum Beispiel mit manchen deiner Lieblingsfilme, geht es, hast du mir erzählt, nicht immer so freudig aus.

Richtig. Aber die Werke der ganz Großen halten natürlich. Der Bresson hält immer, Tarkovsky auch.

Bergman?

Ja und nein. Manche Filme sind noch wunderbar, und andere wirken auf mich heute ein bisschen hausbacken. Aber vielleicht ist das nur im Augenblick so, und in 20 Jahren empfindet man es wieder ganz anders. Man muss da vorsichtig sein. Ich würde mir nie anmaßen, jetzt über irgendeinen dieser großen Leute ein abschließendes Urteil zu fällen.

Von deiner Leidenschaft her lautet, glaube ich, die Reihenfolge: Film, Oper und dann erst Theater?

Ja, aus dem simplen Grund, weil man als guter Theaterregisseur ein schneller Reagierer sein muss, so wie ein Dokumentarfilmer ja auch diese Eigenschaft braucht. Beim Spielfilm und bei der Oper musst du meiner Meinung nach, um zu einem wirklich überzeugenden Resultat zu kommen, die Dinge von dir aus präzise entwerfen und detailreich entwickeln, um aufs Beste vorbereitet Herr der Lage sein zu können. Bei der Oper schon deswegen, weil du so wenig Zeit hast, nur ein paar Wochen, die einem da zur Verfügung stehen. Da kannst du nicht lange mit den Sängern etwas ausprobieren. Beim Film schreibe ich natürlich zuerst das Buch, und dann stelle ich das Storyboard her und nachdem du die Schauspieler und die Motive und alles weißt, setzt du dich hin und arbeitest mit Fotos und anderen Hilfsmitteln jede künftige Einstellung genau durch. Dann weiß ich genau, wie das ausschauen soll, und das mündet dann in der Umsetzungsarbeit, die manchmal stressig und manchmal schön ist, je nachdem, wie gut es mir gelingt, in die Köpfe der Mitarbeiter das zu übertragen, was in meinem Kopf ist. Nein, ich bin kein schneller Reagierer, so im Gespräch geht das, aber bei der künstlerischen Arbeit ganz spontan sein, mit Improvisationen und so, da bin ich eher gelähmt von dem, was ich da sehe. Aber am Theater ist das eine Conditio sine qua non, und deswegen habe ich am Theater nur zwei, drei Inszenierungen zustande gebracht, die wirklich gut waren.

Schauspieler und andere Mitarbeiter von dir sagen übereinstimmend, es gibt keinen zweiten Regisseur, der so sehr Unterwerfung von ihnen fordert.

Sie geben aber auch alle zu, dass, wenn die Ergebnisse so sind wie bei Haneke, man gut beraten ist, sich in seine Arbeitsmethode dreinzufügen. Ich weiß genau, was ich will, und so muss es, wenn irgend möglich, auch werden. Ich geb zum Beispiel Schauspielern ganz präzise Anweisungen. Weil das alles ja komponiert ist für bestimmte Kameraeinstellungen auf eine bestimmte Wirkung hin. Ich kenne die Figuren am besten, schließlich habe ich sie ja erfunden und geschrieben. Daher kann ich schon ernsthaft erklären, warum etwas Bestimmtes zu tun ist. Die Juliette Binoche sagt zwar oft, beim Haneke ist die Freiheit so beschnitten, das stimmt schon, aber es ist nicht so, dass sie dann schlussendlich was machen musste, was sie nicht doch machen wollte. Ich habe eigentlich in den seltensten Fällen das Erlebnis, dass sich ein Schauspieler gegen mich wehrt. Die mögen mich, obwohl sie sozusagen in ein gewisses Korsett gezwungen werden. Die Guten mögen das ja besonders. Die Isabelle Huppert sagt über sich: „Ich bin ein Instrument, man muss mich begabt spielen.“

Gibt es einen Vorfall in deinem Leben, wo du das Gefühl hast, da ist eine Weiche gestellt worden, die ins Wunderbare führte?

Das war sicher Frankreich. Die Juliette Binoche ist zu einem Großteil schuld an meiner weiteren Entwicklung. Einfach durch die simple Tatsache, dass sie mich damals angerufen hat und wollte, dass wir etwas Gemeinsames arbeiten. Dadurch war ich dann plötzlich in einer anderen Liga. Ich hatte schon, bevor das eintrat, einmal mit der Huppert geredet, und ihr angeboten, in Funny Games zu spielen. Sie hat das gelesen, und es war ihr zu heftig. Sie hat übrigens über Die Klavierspielerin unlängst in einem Interview gesagt, ich hätte ihr die Rolle angeboten mit der Bemerkung, sie soll den Roman nicht lesen, und sie sagt jetzt, sie hat zunächst auch das Drehbuch nicht gelesen. Erst im Flieger nach Wien. Dann hat sie sich ziemlich erschreckt. Ob das nur eine gut erfundene Pointe von ihr ist oder Wahrheit, weiß ich nicht. Auf jeden Fall nicht unoriginell. Ich meine, Die Klavierspielerin ist ja mindestens so heavy, wenn nicht schwieriger und noch heikler, mit dieser sexuellen Thematik, als die Figur in Funny Games, wo du ja eigentlich nur leiden musst.


Was mich immer bezaubert, sind die zwei Michael Hanekes, in der sprachlichen Erscheinung, der eine ist der Wiener Dialekt-Bua, den du dir stilisiert hast, und auf Französisch, wo ich dich öfter gehört habe, bist du ja ein gnädiger Herr.

Das ist eigenartig, weil ich schon in der Oberschule, ich bin ja nicht Wiener, sondern Wiener Neustädter, was ja besonders g'schert ist, den Wiener Neustädter Dialekt pflegte. Meine Mutter hat Hochdeutsch gesprochen, Burgtheater. Meine Tante hat Hochdeutsch gesprochen. Alle in der Familie haben Hochdeutsch geredet, nur ich nicht. Zunächst natürlich schon. Ich war ja ein ganz liebes Kind. Total problemlos, man sieht's ja auf den Fotos. Also ein braves Kind mit Haarspangerl. Und das hat sich halt schlagartig mit der Pubertät geändert. Ich glaube, das war auch die Sprache, wo ich dann besonders draufgedrückt habe. Und das hat sich natürlich in Deutschland fortgesetzt. Dort reden alle ganz anders, und du kannst als Österreicher im Allgemeinen mit dieser deutschen Schnelligkeit der Sprache ja nicht mithalten. Wenn du eine Diskussion im Berliner Parlament mit einer österreichischen vergleichst, denkst du, bei uns sitzen lauter Analphabeten. Ich hab ja über zehn Jahre in Deutschland gelebt. Wie ich am Münchner Residenztheater „Egmont“ inszeniert hab, hat mir der Schauspieler des Herzogs von Alba bei der Premierenfeier gesagt: „Die ersten 14 Tage habe ich überhaupt nicht verstanden, was Sie sagen.“ Da war ich eben aus einer Trotzhaltung ganz in den Dialekt zurückgezogen.

Was oder wer hat einen Einfluss auf dich und warum?

Die Susi hat einen Einfluss auf mich, weil sie das tägliche Leben viel konkreter lebt als ich. Und sie meistens recht hat. Wenn ich allein bin, hab ich quasi kein Privatleben. Ich sitz am Schreibtisch, ich arbeite, ich mach mir was zum Essen, vielleicht treffe ich kurz einmal jemand, und das ist es. Ich geh weder ins Kino noch auf Veranstaltungen oder sonst was, das interessiert mich nicht, oder besser: Das steht mir nicht dafür. Es gibt ganz wenige, mit denen ich einen laufenden Kontakt habe, du bist einer und mein Freund Thomas, der Arzt, und ein oder zwei andere. Das ist es.

Wirklich?

Ja. Hie und da einmal die Annette Beaufays, dann irgendwelche Schauspieler, wenn sie kommen, oder Leute, die man beruflich trifft, weil man sagt, die muss man einmal einladen, weil... Die Susi hat ein reges soziales Leben, mit Freundinnen, die sie jede Woche trifft, Jour fixe und so. Ich bin ganz anders und an und für sich eine Einsiedlernatur. Aber es gibt so Selbstbluffbeziehungen. Wenn du filmst, bist du Monate lang intensivst mit gewissen Leuten zusammen, das heißt, du bist ununterbrochen mehr oder weniger ein Kommunikationszentrum. Am Theater auch. Man kommt sich bei Inszenierungen innerhalb kürzester Zeit mit den Schauspielern sehr nahe, weil man ja gemeinsam in irgendwelche Abgründe steigen muss. Man fällt dann jedes Mal wieder darauf herein, indem man denkt, das ist jetzt eine Beziehung fürs Leben. Dann kommt die Premiere, ich fahr wieder weg, und nie wieder hört man etwas voneinander.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.