Am Mittwoch ist der langjährige Fiat-Chef Sergio Marchionne verstorben. Er wird nun von jenem Land geehrt, für das er oft nur Kritik übrig hatte.
Wien. Sogar das italienische Parlament hielt am Mittwoch für eine Schweigeminute inne. Und auch ansonsten zeigten sich die Würdenträger des offiziellen Italien tief berührt von dem plötzlichen Tod von Sergio Marchionne. Wie berichtet war der Italo-Kanadier erst am Wochenende von seinem Job an der Fiat-Spitze abgelöst worden, nachdem der Konzern bekannt gegeben hatte, dass Marchionne nach einer Schulter-Operation Ende Juni im Koma liegt. Was genau passiert ist, wird nicht kommuniziert. Laut Branchengerüchten soll es bei der komplexen Entfernung eines Tumors an der Schulter zu einer Embolie gekommen sein.
Italien habe mit Marchionne einen seiner brillantesten Manager verloren, so der Tenor der ersten Wortmeldungen aus der italienischen Politik. Und selbst die Metallergewerkschaft Fiom zollte ihm Respekt – wenn auch mit Verweis auf die „vielen harten Konflikte“, die man miteinander ausgefochten hatte. Denn auch wenn der als 14-Jähriger mit seiner Familie nach Toronto Ausgewanderte von den Italienern vor allem als jener Held gesehen wird, der Fiat vor der Pleite bewahrte, war sein Verhältnis zu seinem Geburtsland ambivalent.
„Fiat würde es ohne Italien besser gehen.“ Diese Aussage von Marchionne im Jahr 2010 markiert den Höhepunkt in der schwierigen Beziehung zwischen dem in Nordamerika sozialisierten Marchionne und Italien. Der Manager hatte damals gerade sein Husarenstück geliefert und den US-Autokonzern Chrysler übernommen. Innerhalb von sechs Jahren war aus dem kurz vor der Insolvenz stehenden italienischen Autohersteller ein globaler Spieler der Branche geworden.
Nun müssten auch die Werke in Italien im internationalen Wettbewerb innerhalb des Konzerns bestehen, so die Forderung Marchionnes. Und das führte unweigerlich zum Abbau von tausenden Arbeitsplätzen und ständigen Machtkämpfen mit der Gewerkschaft.
Aber es waren nicht nur die italienischen Arbeitnehmervertreter, mit denen Marchionne wenig Freude hatte. Auch die Manager entsprachen nicht seiner Vorstellung. Als er 2004 zu Fiat gekommen sei, habe es auf den Gängen unzählige sehr elegant gekleidete Herren gegeben, die aber allesamt keine Entscheidungen treffen wollten, erzählte er später einmal. „In Italien wird geredet, in den USA wird gehandelt.“ Seine erste Amtshandlung war daher, jeden dieser Manager genau zu fragen, wer er sei und was er mache – und in der Folge 90 davon zu kündigen.
Mit dem Tod von Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne endet eine Ära, die 2004 begonnen hat. Als der damals 51-jährige Marchionne sein Büro in Turin bezog, kannte ihn kaum jemand. Beim Zertifizierungs-Weltmarktführer SGS war er Chef, bevor er zu Fiat gerufen wurde. In Turin fand der Sohn eines Carabiniere aus der bergigen Abruzzen-Region, der mit 14 Jahren nach Kanada ausgewandert war, eine katastrophale Lage vor. Imago
Seit wenigen Tagen war der Verwaltungsratschef und letzte Patriarch der Dynastie der Fiat-Eigentümer Agnelli, Umberto Agnelli, gestorben. CEO Giuseppe Morchio, der anstelle des Verstorbenen zum neuen Fiat-Verwaltungsratschef aufrücken wollte, war aus Protest zurückgetreten, weil ihm die Agnelli-Erben den Karrieresprung verweigert hatten. Zwei Millionen Euro pro Tag verlor der Konzern, der an den Rande des Abgrunds geraten war. Marchionne stand vor einem Scherbenhaufen. Imago
Mit hartem Sparkurs und neuen Automodellen gab Marchionne dem Bankrott-Kandidaten seinen Stolz als italienische Traditionsfirma wieder zurück. REUTERS
Für den Mann mit dem runden Gesicht und der Brille, der gerne unkonventionell auftrat, aber intern mit harter Hand und kompromisslosem Verhalten regierte, war dies nur der erste Schritt. Nach einem Streit mit dem Wiener Manager Herbert Demel übernahm Marchionne 2005 persönlich die Führung der Fiat-Autosparte. Im Bild: Mit Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi Imago
Schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Turin verkündete Marchionne seine Visionen: Künftig werde es nur noch fünf oder sechs große Autobauer auf der Welt geben. Seine Überlebensstrategie für den kriselnden Autobauer hat der selbstbewusste Manager, der auch vor einem hochkarätigen Auditorium im Wollpullover auftritt, knallhart umgesetzt. imago/Italy Photo Press
Er richtete das über 100 Jahre alte Unternehmen neu aus und führte es zurück in die schwarzen Zahlen. Vor allem die Kooperation mit dem US-Konzern Chrysler, den Fiat 2014 komplett übernommen hat, erwies sich als der erfolgreichste Drahtseilakt in Marchionnes spektakulärer Karriere. REUTERS
Sein überdurchschnittlicher Ehrgeiz brachte Marchionne vor allem Probleme mit dem linken Gewerkschaftsverband FIOM ein, der in Italiens Fiat-Produktionswerken das Sagen hat. REUTERS
Auch bei den Arbeitnehmern war Marchionne wegen seiner Vorgehensweise, die die Rolle der Gewerkschaften wenig berücksichtigt, nicht besonders populär. Die italienische Belegschaft befürchtete vor allem, dass nach der Chrysler-Übernahme fünf italienische Standorte schrittweise abgebaut und ins Ausland verlegt werden könnten. Scharfe Kritik zog sich Marchionne auch mit dem Beschluss zu, den Firmensitz von Turin nach London zu verlegen. Imago
2014 entthronte er den langjährigen Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo, der in der Formel 1 keine Erfolge mehr erntete, und übernahm selber das Ruder des Luxusauto-Konzerns. Ferrari wurde 2015 von FCA ausgliedert und 2016 mit Erfolg an die Mailänder Börse gebracht. APA
Nachdem sich Marchionnes Gesundheitszustand massiv verschlechtert hat und vorzeitig abgelöst werden musste, erklärte FCA-Verwaltungsratspräsident John Elkann (im Bild), hat in einem Schreiben an die Mitarbeiter: "Zuerst bei Fiat, dann bei Chrysler und zuletzt bei FCA war Marchionne der beste CEO, den man sich wünschen könnte. Für mich war er ein wahrer Mentor, ein Kollege und ein Freund. Wir haben uns in einer der dunkelsten Phase der Fiat-Geschichte kennengelernt. Dank seiner Intelligenz, seines Durchhaltevermögens und seiner Führungskapazitäten haben wird das Unternehmen retten können." imago/Insidefoto
Geschätzt und gefürchtet: Italiens Spitzenmanager Sergio Marchionne
Ein Pullover als Statement
Aber auch optisch wollte er sich von seinen Turiner Kollegen abgrenzen, die ihn in der Folge „Marsmensch“ tauften. Und so legte er entgegen italienischer Gepflogenheiten Sakko und Krawatte ab und trat seit 2005 fast nur noch im charakteristischen schwarzen Pullover mit kariertem Hemd darunter auf.
Der Erfolg gab ihm dabei Recht. 2003, im Jahr vor seinem Antritt, musste Fiat noch einen Verlust von mehr als sechs Mrd. Euro verkraften. Im Vorjahr wurde ein Rekordgewinn von drei Mrd. Euro erzielt. Seit der Fusion mit Chrysler hat die Aktie des Konzerns um mehr als 350 Prozent zugelegt – mehr als jedes andere Unternehmen der Autobranche.
Angesichts seines Alters von 66 Jahren wollte er dieses Erbe im April 2019 einem Nachfolger übergeben. Wer das sein sollte, hätte erst kurz davor festgelegt werden sollen, so Marchionne vor wenigen Monaten. „Zuerst machen wir einmal das Jahr 2018 fertig.“ Das muss nun sein Nachfolger, der bisherige Jeep-Chef Mike Manley, erledigen.
Sergio Marchionne ist tot. Nach einem chirurgischen Eingriff hatte sich sein Gesundheitszustand in den vergangenen Wochen massiv verschlechtert. Der Autokonzern und die italienische Politik trauern um den Spitzenmanager
Nach dem dramatischen Geschehen bei Fiat Chrysler stellt sich auch in heimischen börsenotierten Firmen die Frage: Wie viel Privatheit steht einem schwerkranken Firmenchef zu?
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