Früherer Kanzler mit Elder-Statesman-Gehabe? Oder doch Oppositionschef mit neuem Stil? Im ORF-„Sommergespräch“ am Montagabend konnte sich SPÖ-Chef Christian Kern für keine Rolle entscheiden – zumindest für keine klassische.
Was ein Fernsehbild nicht alles ausmachen kann. Statt kitschig-marilligem Abendlicht über der Wachau zogen hinter dem SPÖ-Bundesvorsitzenden Christian Kern am Montagabend vor laufenden Fernsehkameras immer schwärzere Wolken auf; die sonst so entspannte Freiluftkulisse der ORF-„Sommergespräche“ musste wetterbedingt in ein braun ausstaffiertes Zimmer wandern. Eingeklemmt zwischen den Moderatoren Hans Bürger und Nadja Bernhard saß Kern dann da, grauer Anzug vor grauem Holz auf grauem Kies, ein bisschen wie ein Einzelkind beim Mittagessen mit den Helikoptereltern, alle drei die Füße seltsam verbogen unter dem schiefergrauen Gartentisch – auf grauem Plüschteppich.
Die Kulisse hätte also wirklich wesentlich besser sein können für den Ex-Kanzler, der sich nun schon fast ein Jahr in der Rolle des Oppositionsführer wiederfinden muss. Gleich zu Beginn wurde er auch nach diesem Spagat gefragt, und er antwortete weltbürgerlich: Selbstverständlich pflege er noch internationale Kontakte, mit EU-Regierungschefs wie Angela Merkel und Emmanuel Macron habe er eine Arbeitsbeziehung – und heute habe er gar schon mit dem berühmten britischen Ex-Premier Tony Blair telefoniert. Weshalb? Wegen des Brexits. Natürlich! Er pflege auch den Austausch mit Wissenschaftlern, Künstlern, Philosophen, „aber auch mit Menschen im ganzen Land“.
"Die Regierung ist kein Mädchenpensionat"
Spricht da noch der Kanzler aus Kern? So recht passt es nicht zum Ton, den man auch schon seit ein paar Monaten von ihm kennt, den er auch benutzt, um in Richtung seiner Nachfolger auf der Regierungsbank zu schicken: „Sind Sie mir nicht böse, die Regierung ist kein Mädchenpensionat.“ Was auch immer damit gemeint sein mag.
Persönlich untergriffig wird Kern in den rund 50 Minuten Doppelinterview aber keineswegs. Vielmehr, so scheint es, sucht dieser frühere Kanzler nach einem Weg, seine gespaltene Politikerseele so zu vereinen, dass sie seinen politischen Zielen helfen kann. Ganz gelingt es ihm noch nicht, aber es könnte sein, dass ein Teil dieses Weges schon beschritten wurde – die ernsthafte Debatte über Arbeit, Gesundheit, Klimawandel scheint Kern mehr zu liegen als das Runterrattern flutschender Floskeln. Er probiert freilich beides, elegant funktioniert nichts, authentischer wirkt aber ersteres.
Vielleicht ist Kern in diesem „Sommergespräch“ dann auch der erste österreichische Politiker, der das im nationalen Live-Fernsehen der jüngeren Geschichte verboten scheinende Wort in den Mund nimmt: „Wir machen uns verantwortlich für das Sterben“, sagt er über die toten Flüchtlinge im Mittelmeer. Dass er in seiner eigenen Partei vielleicht auch deswegen der „grün-linken Fundipolitik“ bezichtigt wurde – dafür hat Kern nur einen müden Lacher.