ÖVP und FPÖ haben die Kostenobergrenze im Nationalratswahlkampf 2017 deutlich überschritten. Politikexperte Sickinger hält eine Veröffentlichung der Zahlen ein Jahr nach dem Urnengang für zu spät und denkt über einen eigenen Straftatbestand nach. Ebenso die Neos.
Die Prognosen haben sich bestätigt: Die Nationalratswahl 2017 - konkret der vorangegangene Wahlkampf - wurde zur Materialschlacht: ÖVP und FPÖ haben die Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro deutlich gesprengt, wie aus Berichten der Parteien an den Rechnungshof hervorgeht. Die ÖVP hat demnach knapp 13 Millionen Euro gemeldet, die FPÖ 10,7 Millionen. Auch die SPÖ lag über der Grenze, allerdings nur knapp. Sie gab nach eigenen Angaben 7,3 Millionen Euro aus. Deutlich darunter kamen die Neos und die Liste Pilz mit 1.773.967 Euro bzw. rund 300.000 Euro zum Liegen.
Die Angaben der Parteien sind schwer zu überprüfen, da der Rechnungshof keinen Einblick in ihre Buchhaltung gewährt bekommt. Zwar werden die Angaben von je zwei Wirtschaftsprüfern überprüft, "die an sich von der Partei unabhängig sein müssen, wenngleich sie vorsortiert sind", sagt der Politikwissenschaftler und Experte für Parteifinanzen, Hubert Sickinger, am Dienstag im Ö1-"Morgenjournal". Sollte etwas falsch sein, "werden sie das auch sagen", jedoch hätten sie "nur das vor sich, was in den Büchern der Parteien drinnen ist - sie werden nicht detailliertest nachfragen und jede einzelne Rechnung hinterfragen".
"Ganz offensichtlich", lautete insofern Sickingers Antwort auf die Frage: "Pfeifen die Parteien einfach auf das Kostenlimit?" Denn: "Es ist für eine Partei, die Zugewinne zu erwarten hat, möglicherweise eine gute Investition in die Zukunft." In anderen Worten: Am Beispiel Volkspartei zeige sich, dass die Partei aufgrund ihres Wahlerfolges nun deutlich mehr an öffentlicher Parteienförderung erhält, als sie maximal an Strafe für die Grenzüberschreitung begleichen müsse. "Sie bekommt jedes Jahr 2,3 Millionen Euro mehr an Parteienförderung und hat jetzt, wenn diese Angaben stimmen, die sie gemacht hat, maximal eine Million an Geldbuße für das Jahr 2017 in Kauf zu nehmen - wahrscheinlich wird es deutlich niedriger sein."
Straftatbestand: Kostenabweichung?
Problematisch sieht Sickinger auch, dass die Parteien erst ein Jahr nach der Nationalratswahl - diese wurde bekanntlich am 15. Oktober 2017 geschlagen - ihre Ausgaben dafür offenlegen müssen. "Eigentlich wäre es notwendig, dass die potenziellen Wählerinnen und Wähler bereits vor der Wahl erfahren, ob eine Partei wohl fair spielt, sprich, ob sie die Wahlwerbungskosten einhalten wird oder nicht", betonte Sickinger.
Der Vorschlag des Politikwissenschaftlers: "Eigentlich müsste eine Woche, besser zwei Wochen vor dem Wahltag jede Partei bereits verpflichtet sein, eine provisorische Abrechnung, die auch schon von Wirtschaftsprüfern bestätigt ist, zu veröffentlichen." Sollten sich im Nachhinein hiervon grobe Abweichungen ergeben, "dann müsste das ein eigener Straftatbestand sein".
Nehammer: "Ein außergewöhnlicher Wahlkampf"
ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer rechtfertigte die Überschreitung der Grenze durch die Türkisen mit dem "dem erhöhten Informationsbedarf in Folge des untergriffigen Wahlkampfes". Insofern sei der Wahlkampf 2017 für die neue Volkspartei "ein außergewöhnlicher Wahlkampf" gewesen. Aber, so räumte er ein: "Wir werden selbstverständlich die volle Strafe begleichen." Einen Seitenhieb gab es von Nehhammer für den roten Mitbewerber: Die ÖVP sei im Gegensatz zu anderen zu 100 Prozent ehrlich und transparent, während etwa die SPÖ mutmaßliche Wahlkampfkosten in dubiosen Vereinen versteckt habe, so Nehammer.
FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky begründete die Überschreitung seiner Partei mit Kostensteigerungen bei Werbung und Wahlkampfdynamik. "Seit der damaligen Festsetzung der Obergrenze ist es bei der werblichen Darstellung zu einer Kostensteigerung von jenseits der 30 Prozent gekommen, was die Mehrausgaben zum Gutteil erklärt. Zusätzlich hat eine Dynamik in unserer Kampagne auch Mehrkosten verursacht", so Vilimsky.
Die SPÖ wies die Kritik an ihren Ausgaben als Ablenkungsmanöver von den massiven türkis-blauen Kostenüberschreitungen zurück. "Die Regierung hat 25 Millionen Euro ausgegeben, das ist eine absolute Rekordsumme. Das bringt unser demokratisches System in Richtung des US-amerikanischen", kritisierte Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda und forderte deshalb eine Gesetzesänderung und "deutlich strengere" Strafen. Ähnlich die Neos: "Nur ernst zu nehmende Sanktionen können die Einhaltung der Obergrenze gewährleisten", meinte Generalsekretär Nick Donig. Konkret plädieren die Pinken für Strafzahlungen von bis zu 150 Prozent des Überschreitungsbetrages.
Weiters planen die Neos, im Parlament einen Antrag einzubringen, der drastische Strafen für die Verletzung des Wahlkampfkostenlimits vorsieht. Die Überschreitung der Wahlkampfkostengrenze von sieben Millionen Euro soll demnach ein Straftatbestand werden, die Prüfrechte des Rechnungshofs sollen gestärkt werden.
Wahlkampfkostenobergrenze
Seit 2012 gilt für alle Wahlen auf Bundesebene eine Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro pro Partei. Konkret besagt die Regelung, dass zwischen dem Stichtag der Wahl und dem Wahltag - 2017 waren dies der 25. Juli und der 15. Oktober - keine Partei mehr als sieben Millionen Euro für Wahlwerbung ausgeben darf. Bis ein Jahr nach der Wahl müssen die Parteien ihre Ausgaben von Wirtschaftsprüfern testieren lassen und an den Rechnungshof melden. Bei Überschreitungen werden Strafzahlungen von zehn bis 20 Prozent des Überschreitungsbetrages fällig. Für die Verhängung zuständig ist der "Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat" im Kanzleramt.
Das Parteiengesetz wertet als Ausgaben für Wahlwerbung "insbesondere" (aber nicht ausschließlich) zwölf Ausgabenkategorien - darunter Plakate, Postwurfsendungen, Folder, Wahlkampfgeschenke, Inserate und Werbespots, aber auch die Ausgaben für Werbe- und Eventagenturen, zusätzliche Personalkosten sowie Ausgaben für Personenkomitees. Die Kandidaten selbst dürfen bis zu 15.000 Euro in den eigenen Wahlkampf stecken - alles darüber hinaus muss der Partei zugerechnet werden. An den Rechnungshof gemeldet werden müssen die Wahlkampfkosten gemeinsam mit dem Rechenschaftsbericht der jeweiligen Partei.
>>> Hubert Sickinger im Ö1-"Morgenjournal"
(hell/APA)