Republikgeschichte zum Hören

Der konträre Charakter der beiden Staatsgründungen zeigt sich anhand des jetzt in der Mediathek publizierten Filmmaterials aus Wien und Prag deutlich.
Der konträre Charakter der beiden Staatsgründungen zeigt sich anhand des jetzt in der Mediathek publizierten Filmmaterials aus Wien und Prag deutlich.(c) Gemeinfrei
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Filme und Tonaufnahmen dokumentieren ganz unterschiedliche Stimmungen 1918 bei den Feiern zur Proklamation der Ersten Republik in Wien und Prag.

Hoffnung auf einen Neubeginn in Prag, Weltuntergangsstimmung in Wien – so stellen sich den Forschern der Österreichischen Mediathek die unterschiedlichen Charaktere des Neubeginns in Österreich und der Tschechoslowakei im Herbst 1918 dar. Sie sind symptomatisch für das Geschichtsbild in den folgenden Jahrzehnten.

Tschechischer Jubel

Die Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg führte zum Zerfall des Habsburger-Reichs. Aus eigener Initiative errangen die Tschechen ihre Unabhängigkeit, unterstützt von den Siegermächten. Das führte zu einer unvergleichlich positiveren Bewertung: „Das Narrativ des vermutlich mit amerikanischer Unterstützung entstandenen Films vom Wenzelsplatz zeigt die Begeisterung über das Ende der Habsburger-Monarchie“, erklärt Gabriele Fröschl, Leiterin der Österreichischen Mediathek. „Abmontierte Doppeladler und zerstörte deutsche Aufschriften an Geschäften symbolisieren dies.“

Im Gegensatz dazu spiegelten die Bild- und Tondokumente der Wiener Republikgründung in vielen Details „Gefühle der Unsicherheit“ wider. „Die Erste Republik wird oft als der Staat, den niemand wollte, bezeichnet. Wir haben etliche Dokumente, die Bedauern über den Untergang der Monarchie belegen,“ so Fröschl.

Die Mediathek des Technischen Museums Wien zeigt jetzt in einer grenzüberschreitenden und zweisprachigen Online-Präsentation 53 eindrucksvolle Bild- und Tondokumente verschiedener Genres. Es wurden sowohl Texte von Literaten wie Artur Schnitzler und Manès Sperber als auch politische Redeausschnitte von u. a. Karl Renner und Kurt Schuschnigg ausgewählt. Aus der einstigen Tschechoslowakei kommen u. a. Originaltöne von Tomáš Masaryk und Edvard Beneš. Auch digitalisierte Kopien zeitgenössischer Schmalfilme aus dem Wien von 1918 und vom Prager Wenzelsplatz von 1918 stehen der Mediathek zur Verfügung.

Aus den 1970er-Jahren stammen Interviews mit Zeitzeugen aus beiden Ländern, die zusätzlich lebensgeschichtliche Episoden schildern. Sie kommen aus dem Archiv des öffentlich-rechtlichen tschechischen Rundfunks, des ORF und der Österreichischen Mediathek. Alle wurden ins Deutsche bzw. Tschechische übersetzt und laufen jeweils mit Untertiteln. In Kapitel unterteilt werden zeitgeschichtliche Interpretationen der Republikgründungen in Prag und Wien angeboten. So erfährt man zum Beispiel, wie in der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg in der Zeit des Prager Frühlings vom Politiker Alexander Dubček und während der Jahre der sogenannten Samtenen Revolution von Václav Havel die Erste Republik als Vorbild für einen demokratischen Staat verstanden wurde, an dessen demokratische Tradition Tschechien und die Slowakei anknüpfen konnten.

Was beiden Ländern gemein ist

Alles in allem leistet die multimediale Präsentation mehr als herkömmliche Ausstellungen mit vielen Texttafeln oder herkömmliche Geschichtsbücher. Konzipiert wurde die von der Kulturabteilung der Stadt Wien finanzierte Dokumentation von Georg Traska (Österreichische Akademie der Wissenschaften), Birgit Stransky (Niederösterreichische Landesausstellungen), Mojmír Stránský, (Uni Wien) und Pavel Kobera (Rundfunkarchiv, Prag).

Zum Abschluss enthält die Ausstellung ein Interview mit dem ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer zur Frage, ob nicht der 12. November als Gründungstag der Republik 1918, ein geeigneterer Nationalfeiertag wäre als der 26. Oktober. Dazu meint dieser recht pragmatisch: „Die wichtigste Weichenstellung, historisch gesehen, war der 12. November. Aber zu einem Nationalfeiertag gehört noch etwas mehr, als zu sagen, was war das wichtigste historische Ereignis. Es muss auch etwas sein, was für Menschen einen gemeinsamen Nenner bilden kann.“ Das sei derzeit der 26. Oktober.

Die Zäsur des Jahres 1918, das Ende des Ersten Weltkriegs und der damit einhergehende Prozess der Veränderung politischer Ordnungen und Systeme prägte die Geschichte Österreichs und Tschechiens jedenfalls bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Mediathek-Chefin Fröschl betont, dass die audiovisuellen Dokumente heute einige Kontinuitäten zwischen Österreich und Tschechien aufzeigten. Ein Beispiel dafür sei die gut funktionierende Bürokratie, die bis heute existiere und ihre Wurzeln in der Habsburger-Monarchie finde. „Österreicher und Tschechen sind sich ähnlicher, als sie es wahrnehmen.“

www.Online-Ausstellung zum Gedenkjahr:

www.mediathek.at/gedenkjahr-2018/wien-viden-prag-praha-1918

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2018)

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