„Volksvernichtung“ als bitterböses Puppenspiel

Mörderisches Finale: Barbara Petritsch (l.) als Witwe Grollfeuer, Dorothee Hartinger mit der Puppe von Frau Wurm, Sarah Viktoria Frick mit der von Herrn, Alexandra Henkel mit jener von Frau Kovacic.
Mörderisches Finale: Barbara Petritsch (l.) als Witwe Grollfeuer, Dorothee Hartinger mit der Puppe von Frau Wurm, Sarah Viktoria Frick mit der von Herrn, Alexandra Henkel mit jener von Frau Kovacic.APA/HANS KLAUS TECHT
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Nikolaus Habjan zaubert mit vier Schauspielerinnen und sechs Klappmaulpuppen. Werner Schwabs Radikalkomödie wirkt wie eine Mutation von kaltem Naturalismus. Barbara Petritsch agiert darin als furiose Rachegöttin.

Zum Aberglauben mancher sensibler Theaterleute gehört: Vorsicht bei Kindern, Tieren und Puppen auf der Bühne! Die spielen dich an die Wand. Zumindest im Zusammenspiel mit Klappmaulpuppen hat Barbara Petritsch am Donnerstag im Akademietheater eindrucksvoll bewiesen, dass dies nicht stimmen muss. Sie war als Frau Grollfeuer in Werner Schwabs Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ die Einzige ohne solch eine Figur. Petritsch hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Ihr Vermögen, eine feine alte Dame in einen mörderischen Alb zu verwandeln, der nicht nur seelenvolle Menschen, sondern auch Kritiker in ihren Träumen noch lang verfolgen wird, war phänomenal.

Fantastisch wirkt auch ihr Umfeld. Nikolaus Habjan bedient bei seinem Debüt an diesem Haus perfekt eine Puppe, die den behindert/verhinderten Künstler Herrmann Wurm darstellt, er spricht auch seinen Text. Dorothee Hartinger agiert souverän mit Herrmanns armer, bigotter, kalter Mutter – Frau Wurm. Ihre schneidende Stimme klingt wie ein Todesurteil. Sarah Viktoria Frick und Alexandra Henkel hantieren lustvoll und geschickt gleich mit einer ganzen Familie – Herrn und Frau Kovacic sowie deren Töchtern Desiree und Bianca. Doch wenn hier jemand die anderen an die Wand spielt (was kaum möglich ist, weil sie alle toll sind), dann gebührt der Ruhm Rachegöttin Grollfeuer mit einer Furcht und Zittern erzeugenden Klagerede im vorletzten, dritten Akt.

Die Giftmörderin will geliebt werden

Das Drama des in der Nacht zum 1. 1. 1994 mit 35 Jahren verstorbenen Grazer Künstlers Schwab, Teil einer Fäkalien-Tetralogie, 1991 in München an den Kammerspielen uraufgeführt, ist wörtlich genommen eine Vernichtung. Zumindest findet diese hier im Kopf der Frau Grollfeuer statt, die als bessergestellte Witwe in einem Mehrparteienhaus ganz oben thront. Die Familie Kovacic, die unter ihr wohnt, und die Familie Wurm, die ganz unten haust, werden von ihr vergiftet, so wie sie das, en passant erwähnt, vor Jahren mit ihrem Gatten getan hat.

Das Bühnenbild von Jakob Brossmann könnte in seiner sozialen Schichtung beinahe auch für Nestroys Lokalposse „Zu ebener Erde und erster Stock“ passen: Der erste Akt spielt in der schäbigen Wurm-Wohnung, in der Herrmann, von seiner „Grazkunst“ schwärmend, am Boden ein Bild malt, während er und seine Mutter einander verbal mit Mordlust fertigmachen. Das von Wasser triefende Bild wird schließlich in den Müll geworfen. Links und rechts von diesem Raum führt eine Treppe zur Wohnung von Grollfeuer hinauf. Die sitzt dort unbewegt.

Der zweite Akt spielt unten in der grauenhaft neumodischen Wohnung der Familie Kovacic. Ein Saufgelage samt Inzest. Darüber thront unbewegt die Witwe. So wie im ersten Akt sind unerfüllte Wünsche und erlittener Missbrauch dominant. Beide Räume werden von einer durchsichtigen Plastikhaut überwölbt, wie man sie von Gärtnereien kennt. Das ist eine starke Symbolik – vielleicht finden diese Raumblasen tatsächlich nur in Grollfeuers Kopf statt. Doch leidet unter der Hülle auch die Verständlichkeit. Und besonders vor der Pause zieht sich die gut zweieinhalb Stunden lange Aufführung (der Text wurde kaum gestrichen). Nicht alles läuft dann mittendrin wie am Schnürchen.

Blut muss fließen? Konfettibomben!

Im dritten Akt aber setzt, wie zudem die unterlegte Musik (von Kyrre Kvam) andeutet, ein Furioso ein. Petritsch weiß genau, wie man diese ausufernde, originäre Schwabiade phrasiert. Langsam steigt sie treppab, in elegantem Seidenkleid, mit silbriger Dauerwelle und Gehstock bewaffnet, den sie zuweilen wie ein entsichertes Gewehr hält. Sie trinkt haltlos Schnaps, streicht übers Plastik. Da geht den Opfern darunter bald die Luft aus. Sie schnippt mit den Fingern, schon erstarren alle wie unter einem bösen Zauber. Wenn diese Schwarze Witwe zusticht, dann nicht mit dem Messer. Soll bei Kovacic laut Text Blut fließen, zündet Grollfeuer beiläufig bloß eine Konfettibombe.

Das mindert den Effekt beileibe nicht. Und wie ist es mit der vulgären Sprache, den traurigen minimalen Handlungen und argen Misshandlungen bei Schwab? Wenn Puppen ordinär sind und brutal, weiß man doch: alles nur Spiel und Spaß, alles nicht ernst gemeint. Oder? Die Qualität der streng komponierten Inszenierung besteht auch darin, dass sich hier der Text trotz Klappmäulern wie unverstellt entfaltet. Er spukt noch im Kopf, wenn der kurze finale Akt längst zu Ende ist, der angeblich Versöhnung bringt. Grollfeuer sehnt sich nach den Nachbarn? Nach Liebe? Wollen wir hoffen für sie.

Nächste Termine: 2., 9. und 23. Dezember, 2. Jänner

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2018)

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