Manchmal ist Merkel doch Vorbild

Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel.(c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE
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In Berlin stellt sich die Kanzlerin einmal im Jahr ausgiebig den Fragen der Journalisten. Dafür ist es zu anderen Anlässen ruhiger um die Regierungsspitze.

Berlin. „Gut, dass jemand mitgezählt hat“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch – und man war sich nicht ganz sicher, ob es sarkastisch gemeint war: 21 Mal ist sie also hier im Haus der Bundespressekonferenz schon zu Gast gewesen, wie ihr an diesem Julinachmittag gerade mitgeteilt wurde.

Der schlichte Saal mit den hellen Holzbänken und der blau gestrichenen Wand kann vielleicht nicht mit dem pompösen Dachfoyer der Wiener Hofburg mithalten, in dem die österreichische Regierung am Dienstag ihren Auftritt hatte (siehe oben). In gewisser Hinsicht ist aber auch der Raum in Berlin-Mitte geschichtsträchtig: Wer genau hinsieht, erkennt die Kulisse bei Merkels vielleicht berühmtestem Auftritt im Jahre 2015: Der Satz „Wir schaffen das“ fiel hier, bei der traditionellen Sommerkonferenz der Kanzlerin vor den Ferien.

Man kann nicht gerade behaupten, dass Merkel ein Fan ausführlicher und regelmäßiger Interviews ist, daher vielleicht auch ihr ironischer Kommentar. Der alljährliche Termin der Bundespressekonferenz ist dafür umso bedeutender: Einmal im Jahr stellt sich die Kanzlerin 90 Minuten lang den Fragen der Berliner Journalisten (moderiert von Journalisten).

Durchaus möglich, dass sich die Kommunikationsabteilung am Wiener Ballhausplatz von Deutschland inspirieren ließ. Ein Jahr nach der Einigung auf ein Koalitionsabkommen habe es so viele Medienanfragen gegeben, dass man nicht allen nachkommen hätte können, argumentierte das Bundeskanzleramt. Also wählte man den Berliner Weg: Die beiden Regierungsspitzen, Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), traten ebenfalls für eineinhalb Stunden vor die Presse. Wobei Merkel mit ihrer Einleitung vergangenen Sommer schon nach sieben Minuten zu Ende war, während Kurz und Strache recht ausgiebig das vergangene Jahr Revue passieren ließen: Erst nach 30 Minuten leitete Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal die Fragerunde ein.

Inspiration auch beim Personal

Apropos: Auch er feiert sozusagen Jubiläum, seine Funktion wurde in Österreich erst von der türkis-blauen Koalition geschaffen. Hier könnte Berlin ebenfalls Vorbild gewesen sein. Immerhin ist Steffen Seibert seit acht Jahren der offizielle Regierungssprecher und tritt wie international üblich deutlich öfter öffentlich auf als sein österreichisches Pendant. Das Haus der Bundespressekonferenz kennt also Seibert auch recht gut. Dreimal pro Woche, nach den Kabinettssitzungen, können hier den Kommunikationsabteilungen aller Ministerien Fragen gestellt werden.

In Österreich ist das Pressefoyer nach dem Ministerrat dafür prominenter besetzt: Lang trat hier wöchentlich die Regierungsspitze auf, nun sind es meistens zwei Minister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2018)

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