Als der Betrug des Jahrhunderts aufflog

Titelseiten des „New York Magazine“ an einem New Yorker Kiosk im Februar 2009. Sie zeigten Bernie Madoff mit weiß bemaltem Joker-Gesicht.
Titelseiten des „New York Magazine“ an einem New Yorker Kiosk im Februar 2009. Sie zeigten Bernie Madoff mit weiß bemaltem Joker-Gesicht.(c) TIMOTHY A. CLARY / AFP / picture (TIMOTHY A. CLARY)
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Vor zehn Jahren wurde Bernie Madoff in New York verhaftet. Sein Schneeballsystem war aufgeflogen. Heute sind Madoffs Söhne tot, der Vater sitzt im Gefängnis. Seine Anwälte arbeiten noch immer an der Causa. Eine Rekapitulation.

Es war am Nachmittag des 10. Dezember 2008, ein Mittwoch, als Mark und Andrew Madoff zum letzten Mal mit ihrem Vater sprachen. Alles, was die in der New Yorker Finanzszene angesehene Familie über Jahrzehnte aufgebaut habe, sei ein Schwindel gewesen, erklärte Bernie Madoff den Söhnen. Die Brüder wandten sich noch in der Nacht an die Marktaufsicht. Am nächsten Morgen klickten die Handschellen, und wohl nicht einmal Bernie Madoff selbst erahnte, welch menschliche und finanzielle Dramen sich in den nächsten Monaten und Jahren abspielen würden.

Die Geschichte des Zusammenbruchs des größten Schneeballsystems aller Zeiten ist eine traurige. Bis heute ist nicht völlig klar, wer aller in die Machenschaften Madoffs involviert war oder zumindest bewusst die Augen verschlossen hat. Der frühere Chef der Technologiebörse Nasdaq war der Drahtzieher und Hauptverantwortliche, so viel steht fest. Aber wer aus seiner Familie und seinem Umfeld was gewusst hat, wird sich nie mehr einwandfrei feststellen lassen. Einige sind tot, manche wurden verurteilt, die meisten freigesprochen. Klar ist: Madoff wird als einsamer Mann im Gefängnis sterben, ohne Kontakt zu seiner Familie, verachtet von geprellten Investoren weltweit.


Atemberaubender Betrug. Als am 11. Dezember 2008 die ersten Meldungen der Verhaftung Madoffs eintrafen, war schnell zu erkennen, dass es sich um einen außergewöhnlichen Fall handelt. Die Börsenaufsicht SEC, deren Vertreter mit Superlativen für gewöhnlich vorsichtig umgehen, berief eine Pressekonferenz ein. Von einem „atemberaubenden Betrug von epischem Ausmaß“, sprach Andrew Calamari, der verantwortliche Beamte. Von 50 Milliarden Dollar war zunächst die Rede, später wurde der Betrag auf 65 Milliarden erhöht. „Alle bisherigen Ponzi-Systeme sehen im Vergleich dazu niedlich aus“, sollte das „Wall Street Journal“ am nächsten Tag schreiben.

Madoff durfte zunächst noch gegen eine Kaution von zehn Mio. Dollar in seinem Luxuspenthouse bleiben. Mehrere Nervenzusammenbrüche soll seine Ehefrau, Ruth, wegen des öffentlichen Interesses erlitten haben. Die Nachrichtensender besetzten den Eingang zum Wohnhaus an der Upper East Side und übertrugen live, wenn Ruth das Haus betrat oder verließ. Beinahe hätte das Leben von Bernie und Ruth Madoff zu Weihnachten 2008 ein Ende gefunden. Gemeinsam wollte sich das Paar umbringen, schluckte Tabletten, wurde aber gerettet. Im März 2009 widerrief das Gericht die Kautionsgewährung, Madoff wurde ins Hochsicherheitsgefängnis in Manhattans gebracht. Er gestand und wurde im Juni zu 150 Jahren Haft verurteilt.

Während das Schicksal von Bernie Madoff dank der zügigen Arbeit der New Yorker Justiz schnell feststand, sollte jenes seiner Familie und der vielen Anleger weltweit erst seinen Lauf nehmen. Der vom Gericht beauftragte Sachwalter Irving Picard und seine rechte Hand, David Sheehan, hatten gerade erst ihre Arbeit aufgenommen. In monatelanger Kleinarbeit versuchten die Staranwälte die Tat zu rekonstruieren. Stück für Stück wurde klar, dass die 65 Milliarden Dollar an Investments nur auf dem Papier bestanden. Mit dem Geld neuer Anleger hatte Madoff seit den 1980er-Jahren alte ausbezahlt. Er galt als Genie, überall sprach sich herum, dass es da einen New Yorker Superfuzzi geben soll, der den Markt stets um Welten schlägt.

„Gier macht blind“, wird Picard später sagen, und da hat er nicht ganz unrecht. Immer wieder waren Vorwürfe aufgetaucht, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Bis kurz vor seiner Verhaftung im Dezember 2008 brüstete sich Madoff damit, dass er in jenem Jahr ein Plus von knapp sechs Prozent erzielt habe. Zur Erinnerung: Das war das Jahr der Gemetzel an den Börsen, der S&P-500-Aktienindex stand bei einem Minus von 35 Prozent. Überhaupt soll Madoff immer besser als alle anderen gewesen sein. Im Schnitt stand seit 1990 jährlich ein Plus von mehr als zehn Prozent zu Buche. Jeder Finanzexperte weiß, dass das praktisch unmöglich ist. Es war egal, kaum jemand stellte Fragen, solange das Geld floss.

Auch Ruth Madoff mag keine Fragen gestellt haben, sie sei auch ein Opfer, behauptete sie. Eine Mittäterschaft konnte ihr bis heute nicht nachgewiesen werden, zumindest Naivität aber auf jeden Fall. Ihr Mann kaufte ihr Wohnungen in New York, West Palm Beach und im französischen Antibes für 19 Millionen Dollar. Insgesamt war die Familie zum Zeitpunkt von Madoffs Verhaftung eine Milliarde Dollar schwer, 100 Millionen davon waren Ruth zuzuschreiben. Die Gerichte brauchten nicht lang, um sie zu überzeugen, fast alles zurückzugeben. 2,5 Millionen durfte sie behalten, heute lebt sie in einer Einzimmerwohnung in Connecticut.

Bruder im Fokus. Tatsächlich ist das einzige Familienmitglied, dem eine Schuld nachgewiesen werden konnte, Bernies Bruder Peter. Er war im Investmenthaus Madoffs als Chief Compliance Officer angestellt, hätte also sicherstellen sollen, dass die regulatorischen Vorschriften eingehalten werden. 2012 wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Madoffs Kinder, Mark und Andrew, wurden nie verurteilt, aber stets verdächtigt — eine Last, die ihnen am Ende zu schwer wurde. „Niemand mag die Wahrheit glauben“, schrieb Mark in seinem Abschiedsbrief, ehe er sich in seiner Wohnung mit einer Hundeleine aufhängte. Tag des Todes: 11. Dezember 2010, zwei Jahre nach Madoffs Verhaftung. Er wurde 46 Jahre alt.

Der Suizid ihres Sohnes ließ auch Ruth Madoff ihrem Mann den Rücken zukehren. Seitdem besucht sie ihn nicht mehr im Gefängnis in North Carolina, wo Madoff einsitzt. Auch Andrew sollte sich von dem Skandal nicht erholen. Das Verbrechen sei „ein Vater-Sohn-Verrat von biblischem Maßstab“ gewesen, sagte er und fügte hinzu: „Mein Vater ist tot für mich.“ Seit dem Abend des 10. Dezember 2008 hätten sowohl er wie auch Mark kein einziges Mal mit Bernie gesprochen. Andrew erkrankte nach dem Tod seines Bruders an Krebs und starb 2014 im Alter von 48 Jahren.

Die Anwälte Picard und Sheehan ließen sich nicht von ihrer Arbeit abbringen. Sie einigten sich mit dem Umfeld Madoffs ebenso auf Entschädigungszahlungen wie mit zahlreichen Banken weltweit, die das Geld ihrer Kunden über sogenannte Feeder-Fonds investiert hatten. 17,5 Milliarden Dollar an Investments sind über die Jahre bei Madoff gelandet, die Betrugshöhe von 65 Milliarden Dollar hat sich aufgrund der nie erzielten Buchgewinne ergeben. Picards Ziel war es, den Gutteil des eingezahlten Kapitals zurückzuholen, circa 13 Milliarden Dollar haben Anleger bisher erstattet bekommen.

Vieles nicht abgeschlossen.
Viele Klagen gegen ausländische Banken und Personen musste Picard im Lauf der Jahre fallen lassen. Abgeschlossen ist das Kapitel für ihn aber noch nicht. Erst vor wenigen Wochen brachte er in New York ein weiteres Ansuchen ein, wonach er auch im Ausland weiterhin nach Geldern suchen will. Wird es genehmigt, könnte der Sachwalter womöglich auch nochmals Institute in Europa – eine Klage gegen die Bank Austria zog er beispielsweise zurück – ins Visier nehmen. „Die ganze Sache könnte sich noch mindestens fünf Jahre hinziehen“, sagte Picard kürzlich.

Madoff selbst wird das Ende der Saga wohl nicht mehr erleben. Er soll krank sein, seine Nieren funktionieren nicht mehr. In einem Buch beschreibt ihn ein ehemaliger Mithäftling als eiskalt. Auf den Selbstmord seines Sohnes angesprochen, soll der Milliardenbetrüger zornig geworden sein. Er verstehe nicht, warum Mark das getan habe. Der Anwalt Sheehan, der Madoff ein Dutzend Mal im Gefängnis besucht hat, geht noch weiter. Madoff sei ein „Soziopath“, den er nie wieder sehen wolle. „Er glaubt immer noch ernsthaft, niemandem geschadet zu haben.“

In Zahlen

65

Milliarden Dollar
ist die Summe, um die Bernie Madoff seine Anleger betrogen hat.

150

Jahre Freiheitsstrafe,so lautete das Urteil für Bernie Madoff.

13

Milliarden Dollar
wurden den Anlegern bisher erstattet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2018)

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