„Totó“: Starker Seelentrip vom Konzerthaus zur Küste

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Der Österreicher Peter Schreiner besticht mit dem unkonventionellen Außenseiterporträt „Totó“.

„Bis zu der Kurve habe ich mir immer vorgestellt, Totó zu sein. Nach der Kurve war ich nicht mehr Totó.“ Ratternd steuert der Zug jene Biegung an, an der es zu dieser Spaltung der Identität gekommen ist: Der Kalabrese Antonio Cotroneo, in seinem Heimatdorf Tropea Totó genannt, pendelt zwischen dem Geburtsort und Wien, wo er lebt und als Billeteur im Konzerthaus arbeitet.

Für den unkonventionellen Porträtfilm Totó hat ihn Regisseur Peter Schreiner über Jahre hinweg auf spätsommerlichen Reisen zurück ins kalabrische Fischerdorf begleitet. Dessen Enge trieb Totó in der Jugend fort. Nun zieht ihn die Erinnerung zurück: Doch wird er ständig damit konfrontiert, ein Fremder geworden zu sein. Während Totó auf der Tonspur darüber nachsinnt, verwandeln Schreiners bestechende Schwarz-Weiß-Kompositionen die Schauplätze in mentale Landschaften: Den mittelalterlichen Häuschen und zerklüfteten Felsküsten von Tropea werden die marmorierten Hallen und Korridore des Konzerthauses gegenübergestellt. Dessen Labyrinth von Spiegelbildern und schrägen Winkeln ist nicht weniger befremdlich als die karge Natur.

Kurzer Auftritt des Bundespräsidenten

Während Totó einweist, kommt einmal der Bundespräsident die Treppe herunter und erinnert radikal an die Wirklichkeit. Sonst hat der Film eine traumhafte Atmosphäre und eine starke spirituelle Qualität: ein Seelentrip, eine Versenkung in die Welt eines Außenseiters. Es wird nicht erzählt im üblichen Sinne, sondern eingeladen, Erfahrungen zu teilen. Die dritte Landschaft, die oft groß ins Bild gerückt wird, ist Totós Gesicht. Auch darin eingegraben die Furchen der Zeit, der Ereignisse: Der Filmemacher Schreiner ist ein unaufdringlicher Humanist.

Und er ist einer der großen Einzelgänger des österreichischen Kinos: Kamera und Ton bei Totó hat er wieder selbst gemacht. Seit seinem magischen Debüt Grelles Lichtvon 1982 erforscht Schreiner in enorm privaten, sensiblen Schwarz-Weiß-Filmen die Welt und die Menschen: Ein berührender Freiheitsdrang treibt ihn dabei, (fast) ungebrochen trotz langer Nichtbeachtung.

Nach einer Dekade Schaffenspause erregte Schreiner 2006 mit der preisgekrönten Comeback-Studie Bellavista Aufsehen, nach Festivalerfolgen ist Totó nun sein erster Film nach der entwaffnenden Bilderreise Erste Liebe von 1983 (!), der einen „normalen“ Kinoeinsatz hat. Gerade hat eine erfolgreiche Retrospektive zu Schreiner auf der „Diagonale“ belegt, dass die Zeit endlich reif scheint für seine spezielle, bescheiden bildmächtige Kunst. Auch wenn Totó oft trauriges Terrain erforscht, steht am Ende ein umwerfendes Bild, das einen Ausweg ahnen lässt: Schreiners Kino ist auch eine Kunst der Hoffnung ohne falsche Versprechen.

Derzeit im Filmhaus am Spittelberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

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