Der Bundespräsident und Mechanismen der Macht

Die Bildung der Regierung ist die stärkste innenpolitische Kompetenz des Präsidenten. Aber wenn er dabei hartnäckig aufs falsche Pferd setzt, geht es sogar gegen seinen Willen.

In seiner Antrittsrede als Bundespräsident hat Heinz Fischer den jungen Stephan ins Spiel gebracht, von dem er einen Brief bekommen habe. Hochgemut sah der junge Mann den Bundespräsidenten „in der glücklichen Lage, dass er auf die Mechanismen der Macht keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht“. Der neue Bundespräsident gab Stephan die Antwort öffentlich, und sie fiel ernüchternd aus: Selbst wenn der Bundespräsident tun könnte, was er wolle, schrieb bzw. fragte Fischer, „kann er auch wollen, was er will?“ Diese Dialektik ist echt Fischer.

Aber der imaginäre Dialog mit dem abwesenden Stephan war nichts gegen den realen Dialog, den Fischer mit dem hinter ihm sitzenden Andreas Khol zu führen hatte. Dieser war damals, 2004, Nationalratspräsident und ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, dem neuen Bundespräsidenten eine Lektion zu erteilen. Die Autorität, die der Bundespräsident aus der Volkswahl beziehe, belehrte Khol seinen Vorgänger Fischer, dürfe er nicht dazu verwenden, „an den Gewichten, die den politischen Kräften unseres Landes aufgrund anderer Wahlen zukommen, das Geringste zu verändern“. Die „Gewichte“ waren damals so verteilt, dass die ÖVP mit 79 Mandaten die mit Abstand stärkste politische Kraft im Land war und in einer Koalition mit der FPÖ (18 Mandate) faktisch unumschränkt herrschte.

Das war ein gerissener Zug Khols, denn der Satz war ein Zitat, das schon mehrmals angehenden Bundespräsidenten mit auf den Weg gegeben worden war. Es stammte ausgerechnet von Heinz Fischer, der 1992 Thomas Klestil damit bedeuten wollte, er habe gefälligst der damals von der SPÖ dominierten Regierung nichts dreinzureden. Das war nicht unbegründet, denn Klestil war ja mit der Parole „Macht braucht Kontrolle“ angetreten. Wie kompliziert der Umgang des Bundespräsidenten mit den durch „andere“, gemeint die Nationalratswahlen, geschaffenen politischen Gewichten werden kann, sollte er noch erleben.

Nach der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999, jedesmal, wenn der weiter amtierende Bundeskanzler Viktor Klima zum Bundespräsidenten in die Hofburg ging, um über die Regierungsbildung zu reden, wurde er nachher gefragt: „Hat der Bundespräsident Sie jetzt mit der Regierungsbildung beauftragt?“ Klima war es sichtlich peinlich, dass er immer wieder verneinen musste, denn Klestil hatte sich auf „Sondierungsgespräche“ versteift, bevor er einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilen wollte. Der Wahlausgang sei zu kompliziert, begründete er sein Zögern. Die SPÖ war mit 65 Mandaten stärkste Partei geblieben, FPÖ und ÖVP hatten beide je 52 Sitze, wobei die Freiheitlichen mit 415 Stimmen vor der Volkspartei an zweiter Stelle lagen.

Zusätzlich kompliziert für den Bundespräsidenten war die Lage noch dadurch geworden, dass ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel vor der Wahl erklärt hatte, seine Partei würde in Opposition gehen, falls sie an dritter Stelle landete. Das war nun geschehen. Klestil seinerseits hatte sich die Situation dadurch erschwert, dass er unbedingt eine Beteiligung der FPÖ an der Regierung verhindern wollte. Das sollte letztendlich ins größte Fiasko führen, in das sich ein Bundespräsident je manövriert hat.

Artikel 70 des Bundesverfassungsgesetzes bestimmt lapidar: „Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt. Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich; die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung erfolgt auf Vorschlag des Bundeskanzlers.“

Zwei Minister abgelehnt

Das ist fast alles, was die Verfassung an Vorschriften für einen politisch so weitreichenden Vorgang, wie es die Regierungsbildung ist, beinhaltet. Das meiste, was in der allgemeinen Auffassung untrennbar zur Regierungsbildung dazugehört, ist nicht Gesetz, sondern sind nur Konventionen, die aber kraft Gewohnheit einen „starken Verpflichtungscharakter“ haben, wie es der Verfassungsrechtler Manfried Welan formuliert.

Welan hat zusammengestellt, welche Konventionen und Übungen das sind:
•Die Regierungsbildung findet im Anschluss an eine Nationalratswahl statt. Das steht nicht in der Verfassung. Der Bundespräsident könnte den Bundeskanzler auch zu einem anderen Zeitpunkt bestellen und entlassen. Daher ist auch entgegen landläufiger Auffassung die Amtsdauer einer Regierung nicht festgelegt.
•Der Präsident beauftragt den Vorsitzenden der stärksten Partei mit der Regierungsbildung. Auch das ist nicht von der Verfassung vorgeschrieben. Noch während Klestil den vergeblichen Versuch machte, eine SPÖ-Minderheitsregierung aufzustellen und Klima über seinen Innenminister Karl Schlögl Fühler zur FPÖ ausstreckte, waren sich Jörg Haider und Schüssel schon handelseins geworden: Sie teilten dem Bundespräsidenten mit, dass sie eine Regierung bilden würden. Klestil musste akzeptieren, was die beiden ihm anboten, und gelobte mit steinernem Gesicht und sichtlichem Unwillen den Chef der drittstärksten Partei zum Bundeskanzler an, dem er nie einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt hatte.

Allerdings machte Klestil bei der Gelegenheit von einem Recht Gebrauch, das ihm der Artikel 70 gibt und das vorher noch nie so in Anspruch genommen worden war: Er lehnte zwei Minister ab, die ihm Schüssel vorschlug, nämlich Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas, beide von der FPÖ. Dies musste der designierte Kanzler akzeptieren.
•Die Verfassung bestimmt auch nicht, wie lange eine Regierungsbildung dauern darf. Klestil ließ 1999 67 Tage von der Wahl bis zur Regierungsbeauftragung verstreichen, und dann dauerte es noch einmal bis zum 4. Februar, dass die Regierung angelobt wurde.
•Logischerweise gibt es auch keine Vorschriften für provisorische Regierungen von der Wahl bis zur Angelobung der neuen Regierung. Genau genommen gibt es eine provisorische Regierung überhaupt nicht, denn jede vom Bundespräsidenten beauftragte Regierung ist eben die Regierung. Dementsprechend kann auch eine „alte“ Regierung voll gültige Entscheidungen treffen.
•Eine Regierung muss sich im Parlament nicht wie anderswo einem Vertrauensvotum stellen, sie muss sich nur dem Nationalrat „vorstellen“. Bei dieser Gelegenheit gibt der Kanzler eine „Regierungserklärung“ ab, von der ebenfalls nichts im BVG steht. Die Verfassungsrechtler sind sich aber darin einig, dass der Bundespräsident Einfluss auf den Inhalt der künftigen Regierungspolitik nehmen kann. Er kann sogar Bedingungen an den designierten Bundeskanzler stellen. Das ist 2000 in extremer Form geschehen, als Klestil vom Bundeskanzler eine Präambel zum Regierungsprogramm erzwang, die eine verklausulierte Misstrauenserklärung einem der beiden Regierungspartner, nämlich der FPÖ, gegenüber war.

Klestil machte kein Hehl daraus, dass er eine Regierungsbeteiligung der FPÖ missbilligte, und verlangte eine „stabile und im In- und Ausland akzeptierte“ Regierung. Das war eine offene Anspielung auf die FPÖ, die diese beiden Bedingungen seiner Meinung nach nicht erfüllte. In der Präambel musste die Regierung daher eine Selbstverständlichkeit, nämlich ihre „unerschütterliche Verbundenheit mit den geistlichen und sittlichen Werten, die das gemeinsame Erbe der Völker Europas sind“, bekennen.

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der "Kleinen Zeitung".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2010)

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Kommentare

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