Was passierte in Chemnitz?

Im Spätsommer2018 ist es in Chemnitz zu rechtsextremen Aufmärschen und zu Krawallen gekommen.
Im Spätsommer2018 ist es in Chemnitz zu rechtsextremen Aufmärschen und zu Krawallen gekommen.APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Auftakt im Mordprozess gegen einen 23-jährigen Syrer: Er soll im August 2018 einen Deutschen erstochen haben. Nach der Tat war es zu rechten Krawallen gekommen.

Dresden/Chemnitz. Unter riesigen Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag vor dem Landgericht Chemnitz ein Prozess um den gewaltsamen Tod des 35-jährigen Deutschkubaners Daniel H. begonnen. Ein 23-jähriger Asylwerber aus Syrien ist angeklagt, den Mann vergangenen August am Rande des Chemnitzer Stadtfestes erstochen zu haben. Ein weiterer Mann, der im Prozess als Zeuge auftritt, wurde am Rücken schwer verletzt. Der zweite Tatverdächtige, ein Iraker, ist flüchtig. In der Folge der Tat war es im Spätsommer in Chemnitz zu rechtsextremen Aufmärschen und zu Krawallen gekommen. Kanzlerin Angela Merkel musste zur Räson rufen und der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, schließlich seinen Posten räumen.

„Eklatante Ungereimtheiten“

Noch vor Verlesung der Anklage stellte eine Verteidigerin einen Antrag: Sie forderte eine Prüfung der „ordnungsgemäßen Besetzung“ des Gerichts. Die Münchner Anwältin äußerte die Sorge, dass das Gericht befangen sein könnte. Sie wollte wissen, ob die Berufs- und Laienrichter an Kundgebungen der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung teilgenommen hätten oder Sympathisanten beziehungsweise Mitglieder der AfD seien.

Der Beschuldigte habe sich des gemeinschaftlichen Totschlags sowie des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, sagte der Staatsanwalt bei der Prozesseröffnung. Die Verteidigung forderte aber die Einstellung des Verfahrens und eine Aufhebung des Haftbefehls. Es mangle an handfesten Beweisen, so die Verteidigerin. Tatzeit, Tatort und Motiv seien bisher unklar. Mit „eklatanten Ungereimtheiten“ argumentiert die Verteidigung sogar. Der Angeklagte wolle derzeit keine Angaben zur Sache machen.

Verhandelt wird aufgrund des großen öffentlichen Interesses im Oberlandesgericht in Dresden. Bisher sind Prozesstermine bis Ende Oktober anberaumt. Dem Angeklagten, der seit Ende August in Untersuchungshaft sitzt, drohen mindestens fünf Jahre bis lebenslange Haft. Während des Verfahrens waren erneute Neonazi-Aufmärsche befürchtet worden, am gestrigen Montag blieben dieses aus.

Maaßen hat Hetzjagden bezweifelt

Nach Daniel H.s gewaltsamem Tod war es in Chemnitz zu Neonazi-Aufmärschen und zu Ausschreitungen gekommen. Tausende hatten daran teilgenommen, auch Funktionäre der AfD und Pegida. Mehrere Rechtsextreme mussten sich wegen des Zeigens des Hitlergrußes vor Gericht verantworten. In den Wochen nach den Krawallen kam es zu Angriffen auf persische und jüdische Restaurants. Es fanden aber auch Gegendemonstrationen und Open-Air-Konzerte gegen Rassismus statt. Aufgrund der Ereignisse setzte eine grundsätzliche Debatte über rechtsextreme Strukturen in der Region ein.

Politisch schlug der Fall hohe Wellen: Der Chef des Nachrichtendienstes, Hans-Georg Maaßen, hatte öffentlich in Zweifel gezogen, dass es Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Er musste zurücktreten. (ag.)

CHRONOLOGIE

Am 26. August 2018 wird in Chemnitz ein 35-jähriger Mann erstochen. Einen Tag später wird gegen einen 23-jährigen Asylwerber aus Syrien ein Haftbefehl erlassen. Im ostdeutschen Chemnitz kommt es zu Kundgebungen Rechtsextremer (bei denen der Hitlergruß gezeigt wird), zu Angriffen auf jüdische Restaurants sowie zu Märschen der rechtspopulistischen AfD und der fremdenfeindlichen Pegida, aber auch zu Gegendemonstrationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2019)

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