Die Oberstaatsanwaltschaft rudert zurück und sieht in der Ibiza-Causa nun doch mögliche strafrechtliche Relevanz.
Wien. Es war die Rede von Parteispenden, die in Aussicht gestellt wurden. Und Staatsaufträgen als Gegenleistung. Dass man sich bei Österreichs größtem Medium, der „Kronen Zeitung“, einkaufen könnte.
Ist das, was an diesem lauen Sommerabend 2017 in Ibiza in einer Finca zwischen einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen, Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubobmann Johann Gudenus gesagt wurde, nun strafrechtlich relevant oder nicht? Handelt es sich dabei schon um Korruption? Oder Bestechlichkeit?
Ein Anfangsverdacht bestünde laut erster Einschätzung der Oberstaatsanwaltschaft Wien eher nicht, berichtete Ö1 am Samstag. Dennoch solle die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalschaft (WKStA) beauftragt werden, das Video herbeizuschaffen, hieß es noch vor zwei Tagen.
Dass kein Anfangsverdacht bestehe, diese Rechtsmeinung teilen bei Weitem nicht alle. So schrieb etwa Andreas Scheil, Strafrechtsprofessor der Universität Innsbruck, auf Twitter: „Aus aktuellem Anlass. Um einem weitverbreiteten Irrtum entgegenzutreten: Die Korruptionsbestände, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und Vorteilsannahme zur Beeinflussung verwirklicht bereits, wer einen materiellen oder immateriellen Vorteil fordert.“
Neubewertung nach dem Wochenende
Auch die Oberstaatsanwaltschaft ging über das Wochenende offenbar noch einmal in sich und relativierte am Montag ihre Aussagen: „Am Wochenende kam die Oberstaatsanwaltschaft Wien zum Ergebnis, dass auf Basis der kolportierten Inhalte des Videos das Vorliegen eines Anfangsverdachts nicht abschließend beurteilt werden kann“, heißt es gegenüber der „Presse“. Die WKStA wurde damit beauftragt, sämtliche verfügbaren Informationen zusammenzutragen und einen Anfangsverdacht zu überprüfen. In alle Richtungen und ergebnisoffen.
Dass eine Oberbehörde gleich selbst mit einer derartigen Einschätzung beauftragt wird – und diese innerhalb von nicht einmal 48 Stunden erfolgt, ist äußerst ungewöhnlich. Normalerweise bekommt eine Staatsanwaltschaft den Auftrag, einen Anfangsverdacht zu prüfen. Das dauert gern auch mal einige Monate – wie man etwa in der BVT-Affäre sehen kann. Sind Personen des öffentlichen Lebens in den Fall involviert, besteht Berichtspflicht: Heißt, die Oberstaatsanwaltschaft prüft, ob weiter ermittelt werden soll oder nicht. Diesmal wurde der direkte Weg genommen. „Weil es außergewöhnlich ist“, heißt es aus der Oberstaatsanwaltschaft. (ath)
Nach vier Nationalratswahlen erreichte Heinz-Christian Strache sein Ziel: Die FPÖ schaffte es mit ihm im Oktober 2017 in die Regierung, der Langzeit-Parteichef wurde Vizekanzler im Kabinett von ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Nur eineinhalb Jahre später ist seine Karriere nun beendet: Ein Video, aufgenommen im Sommer 2017, wurde ihm - eine knappe Woche vor der EU-Wahl am 26. Mai 2019 - zum Verhängnis. Nach einem Jahr und 151 Tagen in Regierungsverantwortung zieht sich Strache aus allen politischen Funktionen zurück. APA/HERBERT NEUBAUER
Seit mehr als 13 Jahren stand der Wiener der FPÖ vor, 14 Jahre lang war er Chef der Bundespartei. Seitdem hat er einen gewissen Wandel vollzogen, vor allem bei medialen Auftritten ist er um sanftere Töne bemüht. Eine bewusst gewählte Strategie, um breitere Wählerschichten anzusprechen, wie Meinungsforscher dem FPÖ-Chef mehrfach attestierten. Doch das Video in einer Villa auf Ibiza zeigte zuletzt ein ganz anderes Bild. (c) APA (HANS PUNZ)
Schon früher war man harschere Worte von Strache gewohnt. 2006 forderte der gelernte Zahntechniker etwa, Abzuschiebende nicht mit zivilen Flugzeugen, sondern mit Bundesheer-Maschinen außer Landes zu bringen, denn: "Ich sage, die Herkules umrüsten zu einer Abflugmaschine, da können sie dann schreien, sich anurinieren, da stört's dann niemanden, da werden sie abgeschoben", sagte er bei einer Wahlkampf-Veranstaltung. APA/ROLAND SCHLAGER
Bemühungen Straches um die Öffnung der Partei in Richtung Mitte sehen Beobachter lange auch in dessen Versuch, den "rechten Rand" innerhalb der Partei zurückzudrängen. Im Jahr 2014 etwa entledigte sich der FPÖ-Obmann des damaligen freiheitlichen EU-Spitzenkandidaten Andreas Mölzer (Bild), der wegen einem Sager über ein "Negerkonglomerat" bzw. einen Vergleich der EU mit dem Dritten Reich stark in Kritik geraten war. Strache gibt sich auch als Vizekanzler staatsmännisch, allerdings häufen sich sogenannte Einzelfälle in seiner Partei. HERBERT NEUBAUER / APA / picture
Strache ist sein Image als Partymacherscheint ihm lästig geworden: "Für mich ist Ibiza ein Kraft-Ort, wo ich mich mit meinen Kindern und meiner Frau zurückziehen kann", sagt er 2017. Im krassen Gegensatz dazu seine Jugend, als er sich an "Waldspielen" beteiligte, die an Wehrsportübungen erinnerten. Im Haus von NDP-Gründer Norbert Burger, mit dessen Tochter Strache liiert war, ging der heutige FPÖ-Chef aus und ein. Und noch 2004, bereits als Obmann der Wiener Freiheitlichen, wollte sich Strache mit einem Kontrahenten im Rahmen eines Burschenschafter-Streits duellieren. APA/HERBERT PFARRHOFER
In den Wahlkampagnen - jene für die Oberösterreich-, Wien- und sowie der Nationalratswahl 2017 - setzte der zweifache Vater vor allem auf das Asyl-Thema, um seine Wähler zu mobilisieren. EU und Regierung warf er wiederholt "völliges Versagen" in der Flüchtlingspolitik vor (besonders scharf wird Außenminister, ÖVP-Chef Sebastian Kurz verbal attackiert) bzw. das nunmehrige "Kopieren" blauer Ideen. APA/ROLAND SCHLAGER
Unbestritten war bis zum Bekanntwerden des Videos auch Straches Standing innerhalb der freiheitlichen Partei. Dies hat er nicht nur Beratern wie Generalsekretär Herbert Kickl zu verdanken, sondern ist auch Folge eines blauen Helden-Mythos, der den Obmann umwehte. Als sich Jörg Haider mit dem freiheitlichen Regierungsteam und beinahe dem gesamten Parlamentsklub ins BZÖ verabschiedete, galt nur noch der aufstrebende Strache als jener, der das politische Begräbnis der FPÖ verhindern konnte. APA
In Regierungsfunktion angekommen inszenierte sich Strache als Reformer - gemeinsam mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) präsentierte er etwa einen Familienbonus oder die Steuerreform. Abseits dessen zeigte er sich als romantischer Ehemann, Papa-Monat-Vater und Hundefreund. GEPA pictures
Straches politischer Weg war dabei zunächst gar nicht so deutlich vorgezeichnet: Nach der Schule absolvierte er eine Lehre zum Zahntechniker, ging zum Heer, absolvierte die Studienberechtigung, begann ein Geschichtsstudium und machte sich 1993 mit einem zahntechnischen Unternehmen selbstständig. Erst der damalige FPÖ-Bezirkschef von Wien-Landstraße, Herbert Güntner, holte ihn in als Bezirksrat in die Partei. REUTERS
Zur Person: Geboren wurde der zweifache Vater Heinz-Christian Strache am 12. Juni 1969 in Wien. Nach Abschluss seiner Lehre wurde er 1991 mit nur 21 Jahren Bezirksrat. Von seiner aus der Gastronomen-Familie Plachutta stammenden Frau Daniela ist er geschieden, hat mittlerweile aber neuerlich geheiratet: Philippa Beck (Bild). Zu Straches Hobbys zählt Kung-Fu, als sein Laster gibt er das Rauchen an. APA/ROBERT JAEGER
Heinz-Christian Strache: Das schnelle Ende einer langen Karriere
Der zurückgetretene FPÖ-Chef will „die Hintermänner des kriminell erstellten Videos“ ausfindig machen. Bei Bundespräsident Van der Bellen hat er bereits um Enthebung aus seinen Ämtern angesucht.
Die Oberstaatsanwaltschaft Wien will die strafrechtliche Relevanz der Aussagen von Gudenus und Strache gegenüber der angeblichen Oligarchen-Nichte auf Ibiza prüfen.
Auch wenn die Umstände des heimlichen Mitschnitts von Straches Auftritt im Dunkeln sind: Die Veröffentlichung war wohl erlaubt. Nur Aussagen über die Privatsphäre Dritter dürfen nicht gebracht werden.
Der frühere designierte Finanzreferent der FPÖ, Markus Tschank, bestreitet den Vorwurf der illegalen Parteienfinanzierung und will durch die Aufhebung seiner Immunität die Ermittlungen unterstützen.
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