Nur vier Wochen nach seinem Rücktritt hört man, dass Strache sich "moralisch ohne Schuld" fühlt. Harald Vilimsky präsentiert sich im ORF-Interview als Mann der wahren Gewissheiten.
Wie viel Zeit muss man verstreichen lassen, um einen dokumentierten Skandal zu leugnen? Wie viel Zeit, um vergessen zu machen, dass ein Politiker Staatsaufträge gegen Parteispenden handeln wollte? Wir wissen es nun: Vier Wochen. Ein knappes Monat reichte für Heinz-Christian Straches Schwenk von einer zerknirschten Entschuldigung beim Rücktritt bis zur gut geschrubbten Schuldfreiheit. Und zur Behauptung, dass nichts dagegen spricht, dass er wieder kandidiert – etwa nächstes Jahr bei der Wien-Wahl.
Denn Strache fühle sich "moralisch ohne Schuld", sagte gestern FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky in der "ZiB 2". Das ist, man muss es sagen, erschütternd. Und deutet, da die Schuld ein Verstoß gegen das Gewissen ist, wohl darauf hin, dass diese Instanz porös ist. Weshalb die nachfolgende Frage von Armin Wolf durchaus logisch war (wenn man auch wirklich gern wissen würde, was eine "normale Partei" ist): "In jeder normalen Partei wäre ein Spitzenfunktionär nach einem derartigen Video für immer politisch erledigt. In der FPÖ kann der ehemalige Obmann nach einem Monat schon über ein Comeback nachdenken. Ich frage Sie jetzt mal ganz direkt: Hat die FPÖ überhaupt keinen Genierer?"
Offenbar nicht. Harald Vilimsky, der ja interviewtechnisch durchaus eine Vorgeschichte mit Armin Wolf hat, blieb bei seiner alten Taktik und beschuldigte daraufhin den ORF. Es sei unredlich, wie der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk hier berichte. Man könne Strache nicht aufgrund von "sieben ominös zusammengeschnittenen Minuten" bewerten. Ihn deshalb zu verurteilen, sei unfair. Man müsse doch sein ganzes Lebenswerk sehen.
Aha: Weil jemand schon lange in der Politik ist, darf man seine Verhandlungen um Oligarchenspenden nicht ernst nehmen? Oder seinen Plan, die "Kronen Zeitung" mithilfe russischer Investoren in den Griff zu bekommen? Klingt das nicht sehr unglaubwürdig? Doch vielleicht muss man auch Vilimsky zugestehen, dass er hier gar nicht den Wähler täuschen will: Das Drama könnte nicht nur politischer, sondern auch männerfreundschaftlicher Natur sein. "Ich kenne den Heinz-Christian Strache seit zwei Jahrzehnten. Und das Bild, das ich von ihm habe, entspricht nicht einmal im Ansatz dem, was hier in sieben Minuten zusammengeschnitten ist", sagte Vilimsky zu Wolf.
Da ging es also in der "ZiB 2" von den Fragen nach Ethik und Moral auf direktem Weg in die Erkenntnistheorie. Welche Gewissheiten kann es geben? Was tun, wenn neue Erkenntnisse einer Wahrnehmung widersprechen? Voltaire beschäftigte sich mit diesen Fragen. "Je mehr einer weiß, desto mehr bezweifelt er", wird der französische Philosoph gerne zitiert. Auf Vilimsky allerdings scheint das Gegenteil zuzutreffen.