Maßlose Zerstörung im Zentrum der Metropole. Die Ursachen für den Konflikt sind hoch komplex. Eine große Rolle spielt die Schere zwischen Arm und Reich.
Bangkok. Der Geruch von verbranntem Plastik weist den Weg in Bangkoks Innenstadt. An der Petchaburi-Straße, die am einstigen Camp der Rothemden-Demonstranten vorbeiführt, zeugen Barrikaden von den schweren Zusammenstößen der Vortage.
Es ist die Ruhe nach dem Sturm. Die Soldaten haben ihre Sandsackbarrieren verlassen, von denen aus sie in Richtung der Hauptverkehrsstraße feuerten. Die Demonstranten haben sich ebenfalls von ihren Barrikaden aus Autoreifen und Bambus zurückgezogen. Diese werden jetzt von jungen Soldaten bewacht. Sie tragen dicke, schusssichere Westen und halten ihre Schnellfeuergewehre fest umklammert. In der Ferne pfeift ein Feueralarm.
Die Szenerie an der Rajaprasong-Kreuzung, wo die Hauptbühne der Demonstranten stand, ist apokalyptisch: Immer noch dringt weißer Rauch aus dem abgebrannten Gerippe von Südostasiens zweitgrößtem Einkaufstempel. Der Großteil des Gebäudes steht noch, die Scheiben sind aber von innen rußgeschwärzt. Der südliche Flügel ist teilweise eingestürzt, nur ein zwei Meter großer, goldfarbener Buddhakopf steht unbeschädigt vor der Ruine.
Der Protest der "Rothemden" hat in Thailands Hauptstadt Bangkok im Chaos geendet. Die Streitkräfte stürmten Mittwoch das Gebiet in der Innenstadt, wo sich Tausende Regierungsgegner verbarrikadiert hatten. (c) EPA
Die Anführer der Protestbewegung ergaben sich. Militante Rothemden lieferten sich aber wilde Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften und zündeten Gebäude an. (c) AP
Über ein Dutzend Gebäude, darunter die Börse, mehrere Banken, der Hauptsitz der Städtischen Stromversorgung, ein TV-Sender und eine Luxus-Einkaufsmeile wurden in Brand gesteckt.(Im Bild: Central World Shoping Mall) (c) Reuters
Mindestens fünfzehn Menschen wurden getötet, 60 verletzt. (c) Reuters
In einem Tempel wurden neun Leichen gefunden. Zahlreiche Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder, waren während der Kämpfe in Tempel geflüchtet. (c) AP
Die Regierung verhängte für die Nacht eine Ausgangssperre über Bangkok. Sie soll auch in den folgenden Nächten gelten. (c) Reuters
Auch am Donnerstag blieb die Lage gefährlich. Randalierende Demonstranten legten wieder Brände, es gab erneut Schießereien. (c) EPA
Das Auswärtige Amt rät dringend von Reisen nach Bangkok ab. (c) AP
Am Freitag patroullierten noch immer Hunderte von Soldaten durch die Metropole. An mit Stacheldraht gesicherten Straßensperren durchsuchten sie Fahrzeuge nach Waffen. Das verlassene Lager der Demonstranten durchkämmten sie ebenfalls nach Waffen sowie nach Sprengstoff. (c) REUTERS (FAYAZ KABLI)
Unterdessen begannen die Aufräumarbeiten im noblen Geschäftsviertel der Stadt. Die Zentralbank erlaubte einigen Geschäftsbanken zu öffnen. Bürger hatten gegen die staatlich angeordnete Schließung für zwei Tage protestiert. (c) AP (Manish Swarup)
Die Rothemden sind Anhänger des 2006 gestürzten Premiers Thaksin Shinawatra. Sie kommen vor allem aus den ärmeren Bevölkerungsschichten. (c) EPA (AHMAD YUSNI)
Bangkok in Flammen
Keine Freude über den Sieg
Beklemmende Stille hängt über dem Platz, auf dem bis Mittwoch täglich tausende Rothemden den Reden ihrer Anführer zugehört und bis in die Nacht zu Volksliedern getanzt haben. Die Soldaten schauen ungläubig auf die maßlose Zerstörung. Viele schießen mit ihren Handys Fotos. Freude über den Sieg kommt nicht auf. Stattdessen lässt das Entsetzen auf ihren Gesichtern ahnen, wie schwierig – wenn nicht unmöglich – es werden dürfte, den dünnen gesellschaftlichen Lack, der Thailand bis vor Kurzem zusammenhielt, zu erneuern.
Die Wut der Demonstranten, die sich nach dem Einmarsch der Armee Bahn gebrochen hat, ist zum Teil durch die hohe Zahl von Toten in den Tagen zuvor zu erklären. Etwa drei Dutzend Zivilisten wurden erschossen, als die Demonstranten die Armee hindern wollten, sie in ihrem Lager einzukreisen.
Wer sind die Rothemden, wogegen protestieren sie, wer sind ihre Gegner und wie sind frühere Proteste verlaufen? Fragen und Antworten zur thailändischen Protestbewegung. (c) EPA (AHMAD YUSNI)
Die sogenannten Rothemden sind zum großen Teil Anhänger des 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Die Demonstranten werden angeführt von der Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD), die ihre Anhänger vor allem unter der ärmeren Landbevölkerung hat. Sie ist nicht im Parlament vertreten und hält die Verbindung zu Thaksin, der im Exil lebt. Zwar unterstützen nicht alle Rothemden uneingeschränkt den Kurs des ehemaligen Ministerpräsidenten. Der Unmut über den Putsch des Militärs gegen Thaksin 2006 aber eint die Demonstranten. (c) REUTERS (JERRY LAMPEN)
Die Gruppe hat eigene TV-Kanäle, Magazine, Internetseiten, Radiostationen und Musikalben. Die Demonstranten organisierten in der Vergangenheit füreinander unter anderem Massagen, Krankenstationen, Duschen und Kantinen. Neben rund 1000 Sicherheitskräften für Proteste unterhalten die Rothemden eine paramilitärische Einheit. Bei einigen gewaltsamen Protesten waren schwarz gekleidete Personen mit Schusswaffen zu sehen. Die UDD weiß nach eigenen Angaben nicht, wer dahintersteckt. (c) AP (Manish Swarup)
Als ihre Ziele bezeichnen die Rothemden mehr Demokratie und einen geringeren Einfluss der städtischen Elite, zu der sie Vertraute des Königshauses, einflussreiche Geschäftsleute, Generäle und Angehörige des Justizapparats zählen. Die Demonstranten werfen diesen Gruppen Amtsmissbrauch und Verschwörung zum Sturz gewählter Regierungen vor. (c) EPA (RUNGROJ YONGRIT)
Die UDD hält auch die derzeitige Regierung für illegal, weil diese nicht gewählt, sondern vom Militär in einem "stillen Staatsstreich" im Dezember 2008 eingesetzt worden sei. Die UDD verlangt Neuwahlen und setzt auf einen Sieg der Puea Thai Partei (PTP), die Thaksin nahesteht (c) EPA (BARBARA WALTON)
Die Rothemden sind eine gut organisierte und kraftvolle außerparlamentarische Opposition. Die regelmäßigen Proteste, die besonders in den Hochburgen im Norden und Nordosten des Landes stattfinden, ziehen Zehntausende an - manchmal über Wochen. Viele der Veranstaltungen verliefen friedlich. Die UDD hat aber auch den Ruf, zur Gewalt zu neigen. Bei den seit neun Wochen anhaltenden Demonstrationen wurden bisher rund 70 Menschen getötet. (c) EPA (NARONG SANGNAK)
Im April 2009 blockierten die Rothemden den Amtssitz des Ministerpräsidenten sowie wichtige Verkehrsknotenpunkte in der Hauptstadt Bangkok. Zudem stürmten sie einen Gipfel der ASEAN-Staaten in Pattaya. Hunderte Menschen lieferten sich in Bangkok stundenlange Straßenschlachten mit der Armee. Die UDD beschuldigte die Regierung, Unruhestifter engagiert zu haben, um die Stimmung anzuheizen. (c) EPA (NARONG SANGNAK)
Die Regierungsanhänger haben sich in der außerparlamentarischen Bewegung PAD organisiert. In Abgrenzung zu den Rothemden und als Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem Königshaus tragen sie gelbe Hemden. Sie unterstützen im Parlament die regierende konservative Demokratische Partei (DP), die ihre Mitglieder vor allem aus Beamten, Intellektuellen und Militärangehörigen rekrutiert. (c) REUTERS (JERRY LAMPEN)
Die Gelbhemden sind besonders stark in der Millionenmetropole Bangkok vertreten. Sie haben Ende 2008 wochenlang Bangkoks internationale Flughäfen blockiert und damit zum Sturz einer Regierung von Thaksin-Anhängern beigetragen. (c) REUTERS (ERIC GAILLARD)
Fragen und Antworten
Verachtung für die Armen
Die Ursachen für den Konflikt sind jedoch hoch komplex. Eine große Rolle spielt die Schere zwischen Arm und Reich. In Thailand herrscht eine der größten Einkommensdisparitäten der Welt. Nahezu der gesamte Wohlstand hat sich seit dem Wirtschaftsboom der 80er-Jahre auf Bangkok konzentriert.
Doch auf dem Land, wo zwei Drittel aller Thais leben, ist davon wenig angekommen. Die Hälfte der Menschen gilt als arm. Während Bangkoks Oberschicht ihren Reichtum zur Schau stellt und vor massiven Konsumexzessen nicht zurückschreckt, müssen sich zig Millionen Land-Thais von Tag zu Tag durchschlagen. Bangkoks Elite interessiert sich für das Los dieser Menschen nicht nur wenig – sie zeigt sogar überdeutlich ihre Verachtung für ländliche Thais, die sie für ungebildet und rückständig hält.
Hintergrund
Die protestierenden Rothemden sind Anhänger des 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Sie werden angeführt von der Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD), die ihre Anhänger vor allem unter der ärmeren Landbevölkerung hat.
Sie halten die derzeitige Regierung für illegal, da diese nicht gewählt, sondern vom Militär in einem "stillen Staatsstreich" im Dezember 2008 eingesetzt worden sei. Nach der Auflösung der Thaksin-nahen Regierungspartei durch ein Verfassungsgericht bestimmte das Parlament Abhisit Vejjajiva zum Premier.
Als Abhisit einen Wahltermin für den 14. November in Aussicht stellte, schien eine Einigung in Reichweite - die aber scheiterte, weil die Rothemden verlangten, dass Vizepremier Suthep Thaugsuban wegen der Zusammenstöße vom 10. April angeklagt werde.
Thailands Ex-Premier Thaksin Shinawatra besitzt viele Pässe: darunter den seiner Wahlheimat Montenegro. Von seiner Einbürgerung erhoffte sich Montenegros Regierung Investitionen.
Zu den von der Opposition geforderten Neuwahlen äußert sich Ministerpräsident Abhisit nicht. Die Proteste haben katastrophale Folgen für die thailändische Wirtschaft.
Andreas Valla lebt seit drei Monaten im Norden Thailands. Am Freitag muss der gebürtige Wiener nach Bangkok. Touristen würde er im Moment davon abraten.
Gespannte Ruhe in Bangkok. Die Regierung verlängert die Ausgangssperre. Im Protestviertel hat die Armee noch immer nicht die volle Kontrolle. Die Regierung stellt Neuwahlen in Aussicht.
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