German writer Peter Handke poses for the media during an interview held in Madrid Spain on 22 May 2
Zwei Preise

Literaturnobelpreis geht an Peter Handke

Nachdem der Nobelpreis im vergangenen Jahr ausgefallen ist, wurden heuer gleich zwei Preise vergeben. Der zweite Preis geht an die Polin Olga Tokarczuk.

Zwei Argumente schienen immer dagegen zu sprechen, dass das Lebenswerk des Dichters Peter Handke mit dem Nobelpreis gekrönt wird: Dass Landsfrau Elfriede Jelinek ihn 2004 bekommen hatte und sein umstrittenes pro-serbisches Engagement. Doch heute wurde dem 76-jährigen, seit langem in Paris lebenden gebürtigen Kärntner der Literaturnobelpreis 2019 zugesprochen.

Dabei stand Handke dem Literaturnobelpreis vor Kurzem noch skeptisch gegenüber: „Den Nobelpreis sollte man endlich abschaffen“, sagte er 2014 anlässlich der Auszeichnung an Patrick Modiano. Die Auszeichnung bringe mit ihrer "falschen Kanonisierung" der Literatur dagegen nicht viel Gutes, sondern bloß „einen Moment der Aufmerksamkeit". 

Nun bekommt er ihn also trotzdem - so, wie die Polin Olga Tokarczuk. Denn es gibt einen doppelten Preis: Wegen des Skandals in der Schwedischen Akademie war der Preis 2018 ausgefallen. Genau genommen ist Handke der Preisträger 2019, Tokarczuk die Preisträgerin 2018.

Handke, der in dem kleinen Kärntner Ort Griffen geboren wurde und seit fast 30 Jahren in einem Vorort von Paris lebt, erhält den Preis "für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifizität der menschlichen Erfahrung untersucht", so die Begründung der Akademie. „Er rebelliert mit der subversiven Kraft der Poesie, gegen den Strom der Zeit zu schreiben, ist ihm Verpflichtung. Seit seinem ersten Roman vergeht kein Jahr, in dem Handke nicht mindestens ein Buch oder Theaterstück veröffentlicht“, schrieb Michael Horowitz in seinem Porträt über Handke.

In einem „Presse"-Interview erzählte er vor wenigen Jahren über sein Schreiben und Lesen: „Ich bin eher ein Ahnungsspezialist als ein Wissensheini. Ich mag nicht wissen. Ich spreche auch nicht viele Sprachen – und vor allem keine Sprache fließend. Deutsche Ausdrücke vergesse ich immer mehr.“

Der Autor wurde am 6. Dezember 1942 geboren. Dass der aus Berlin stammende Ehemann seiner Mutter in Wahrheit sein Stiefvater war und ein verheirateter deutscher Sparkassenangestellter sein leiblicher Vater - das erfuhr Handke erst im Alter von 18 Jahren. Diese Erfahrung und den Tod seiner Mutter verarbeitete er in "Wunschloses Unglück" (1972).

Ab 1961 studierte Handke in Graz Rechtswissenschaften und fand Anschluss an die Schriftsteller des "Forum Stadtpark". 

Er galt bald nach seinem Debüt "Die Hornissen“ 1966 als enfant terrible. Seine experimentellen Stücke sorgten für erregte Debatten, Titel wie "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1969) oder "Wunschloses Unglück" wurden zur Kultlektüre. Für Aufregung sorgte auch seine pro-serbische Position in den Konflikten am Balkan und der scharfen Ablehnung der westlichen Haltung. 1996 sorgte sein Reisebericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" für heftige Debatten, zehn Jahre später seine Rede bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic.

Neben der Prosa, seiner vielfältigen Übersetzertätigkeit und vier eigenen Filmen (u.a. "Die linkshändige Frau" und "Die Abwesenheit") ist es vor allem das Theater, das Handke immer begleitet hat.

Peter Handke ist der prominenteste lebende österreichische Schriftsteller. Über 11.400 Seiten enthält die vom Suhrkamp Verlag herausgegebene "Handke Bibliothek", in der alles enthalten ist, was er jemals in Buchform veröffentlicht hat. Ein gigantisches Werk. 

"Handke hat Generationen von Leserinnen und Lesern bewegt“, finden auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Kulturminister Alexander Schallenberg in einer ersten Reaktion auf Handkes Nobelpreis.

Olga Tokarczuk
Olga Tokarczuk(c) Reuters

Olga Tokarczuk, die zu den bekanntesten Schriftstellerinnen Polens gehört, erhält den Nobelpreis für "ihre narrative Vorstellungskraft, die, in Verbindung mit enzyklopädischer Leidenschaft, für das Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben steht", wie die Akademie mitteilte. Ihr Werk wurde bisher in 25 Sprachen übersetzt und bereits mehrfach ausgezeichnet. Im Vorjahr erhielt sie den Man-Booker-Prize für ihren Roman "Unrast". Schon zuletzt wurde die 57-Jährige bei den Wettanbietern hoch gehandelt. 

Die 1962 in Sulechow geborene Tokarczuk studierte in Warschau Psychologie und war auch als Therapeutin tätig, erst Ende der 1990er nahm die Literatur einen größeren Platz in ihrem Leben ein. 1993 erschien ihr Romandebüt "Die Reise der Buchmenschen", in dem sie ihre Protagonisten in der spanisch-französischen Grenzregion des 17. Jahrhunderts nach einem mysteriösen Buch suchen lässt. Der endgültige Durchbruch folgte mit ihrem dritten Roman "Ur und andere Zeiten" (1996), in dem sie sich auch mit der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzte. Allerdings wurde sie in Polen auch angefeindet, hatte sie ihrer Heimat doch Intoleranz gegen Flüchtlinge und Antisemitismus vorgeworfen.

Der Nobelpreis geht am häufigsten an Männer aus Europa

Mit den diesjährigen Laureaten steigt die Anzahl der mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Frauen von bisher 14 auf 15 von insgesamt nun 115 Preisträgern.

Europäische Männer waren die längste Zeit die Favoriten. Führen bei der Anzahl der übrigen Nobelpreise die USA, ist es beim Literaturnobelpreis  Europa, mit Frankreich (16) an der Spitze und fast nur Männern.

Der Skandal: Warum der Preis 2018 ausfiel

Kurzer Rückblick auf einen langen Skandal: Die #MeToo-Debatte war in vollem Gang, da veröffentlichte eine Zeitung Ende 2017 Missbrauchsvorwürfe von 18 Frauen gegen den Ehemann eines Akademie-Mitglieds. Dieses hieß Katarina Frostenson, der beschuldigte Gatte Jean-Claude Arnault. Dass dieser die Namen von Nobelpreisträgern vorab ausgeplaudert haben soll, machte die Sache nicht besser; dass sein Kulturverein Zahlungen von der Akademie erhielt, über die seine Frau mitentschied, auch nicht.

Wie damit umgehen? Darüber zerstritt sich die Akademie heillos. Bald war sie handlungsunfähig, denn sieben der 18 Mitglieder hatten die Akademie verlassen, konnten aber nicht nachbesetzt werden, weil die Mitgliedschaft nur mit dem eigenen Tod endete: So lauteten die jahrhundertealten Statuten. Diese wiederum konnte nur der König ändern. Was er auch tat. Der Literaturnobelpreis fiel 2018 trotzdem aus.

Bisher war das nur aus gewichtigen politischen Gründen passiert: In Weltkriegen und 1935, als die Akademie fürchtete, das Leben seines Wunschkandidaten zu gefährden; Carl von Ossietzky, ein überzeugter Pazifist, befand sich damals schwer krank im NS-Konzentrationslager Esterwegen.

Der Auslöser des Akademie-Erdbebens, Fotograf Arnault, sitzt übrigens in Haft, verurteilt wegen Vergewaltigung zu zweieinhalb Jahren. Seine nach langem Widerstreben aus der Akademie geschiedene Ehefrau, die vor seiner Haft mit ihm nach Dänemark und dann Frankreich gezogen ist, hat ein Buch geschrieben, „K“, offensichtlich inspiriert von Kafkas Protagonisten, der eines Morgens verhaftet wird, „ohne dass er etwas Böses getan hätte“.

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