Reportage aus Beirut

Libanon: Aufstand gegen konfessionelle Zwangsjacken

Junge Leute verschmähen ein System, in dem Religionszugehörigkeit alles bestimmt.

Es ist inzwischen fast zur Routine geworden in Beirut. Am Nachmittag, nach getaner Arbeit, strömen die Menschen zu Tausenden in die Innenstadt, um weiterhin den Rücktritt der Regierung zu fordern. 30 Jahre Misswirtschaft, Korruption und vernachlässigte staatliche Dienstleistungen haben das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Doch die Kritik der Demonstranten geht noch tiefer: Sie wenden sich offen gegen das gesamte politische System im Libanon, das seit drei Jahrzehnten, seit der Zeit des Bürgerkriegs, auf Konfessionalismus basiert.

„Seit dem Bürgerkrieg drehte sich jedes Gespräch im Land zunächst um die Konfession, bevor über das Land geredet wurde. Wir erleben heute bei den Protesten ein neues Bewusstsein jenseits der Religionszugehörigkeit. Der Staat versucht immer noch, die konfessionelle Karte zu spielen, aber das Volk lässt sich nicht mehr an der Nase herumführen“, meint der junge Demonstrant Sami, der vor dem Regierungssitz protestiert und seinen Nachnamen und damit seine Religionszugehörigkeit nicht preisgeben will. „Der Konfessionalismus ist der wichtigste Grund, warum ich mitmache“, sagt auch die Studentin Batol Yasbik. „Wir müssen ihn hinter uns lassen und als Libanesen an einem Strang ziehen.“

Wer helfe ihr denn, wenn sie einen Unfall auf der Straße habe, fragt sie – und gibt gleich selbst die Antwort. „Nicht der Patron meiner Religionsgruppe, sondern je nachdem, wo es passiert, bringt mich ein Schiit, Sunnit, Christ oder Druse ins Krankenhaus“, sagt sie und fordert: „Wir müssen dieses überkommene System auch in unseren Köpfen hinter uns bringen. Die Führer der verschiedenen Religionsgruppen sitzen in ihren Häusern und treiben uns wie Schafe vor sich her.“

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