Debatte

Junge Musliminnen erzählen: „Für mich war das Kopftuch ein Sichtbarwerden“

Hebah Nigm trägt seit zehn Jahren Kopftuch. Bewusst und freiwillig.
Hebah Nigm trägt seit zehn Jahren Kopftuch. Bewusst und freiwillig.Hebah Nigm trägt seit zehn Jahren Kopftuch. Bewusst und freiwillig. (c) Die Presse (Akos Burg)
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In der Debatte über eine Ausweitung des Kopftuchverbots von der Volksschule auf Mädchen bis 14 Jahre wird vor allem über die Betroffenen gesprochen. Sie selbst kommen kaum zu Wort. Drei Musliminnen über die Entscheidung für das Kopftuch, Erfahrungen in der Schule und Diskriminierung.

Identität. Das ist für Hebah Nigm so etwas wie ein Schlüsselbegriff. Als Tochter ägyptischer Eltern, die in Österreich geboren und aufgewachsen ist, fühlt sie sich zwischen zwei Welten. „Ich bin nicht weiß“, sagt sie. Da merke man in Österreich schon, dass sie anders sei.

Im Kindergarten habe sie zunächst lernen müssen, welche Sprache man spricht – das Arabische von daheim verstand niemand. „Und natürlich macht das etwas mit einem.“ Aber eigentlich, meint sie dann, lebe sie ja sogar in drei Welten. „Denn dazu kommt noch die muslimische Identität.“

Das Kopftuch, das die 25-Jährige trägt, drückt diesen Teil von ihr deutlich sichtbar aus. Es ist aber nur ein Teil dessen, wofür sie steht und wie sie wahrgenommen werden will. Da sind zunächst einmal sechs Sprachen, die sie fließend beherrscht: Deutsch und Arabisch als Muttersprachen, dazu Englisch, Französisch, Spanisch und Türkisch. Da ist ihr Lehramtsstudium, für das sie in einigen Wochen ihre Diplomarbeit abgeben will. Und da ist auch jetzt schon ihre Arbeit an Schulen. Hier gibt sie am Nachmittag Kurse, als Nebenjob.

»Die Eltern waren dagegen. Ob sie sich diesem Druck denn wirklich aussetzen wolle?
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Die aktuell wieder aufgeflammte Debatte um ein Kopftuchverbot in Schulen, die habe bei ihr zunächst ein Augenrollen ausgelöst. Schon wieder dieses Thema, das vor allem für die anderen offenbar so wichtig ist. Nun also mit ein paar neuen Aspekten. Dass die türkis-grüne Bundesregierung das Verbot von der Volksschule auf Mädchen bis 14 Jahre ausweiten will. Und dass sich ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab auch ein Verbot für Lehrerinnen vorstellen kann. „Man mag es nicht glauben“, meint Nigm, „aber bis jetzt war das Kopftuch in der Schule kaum ein Thema.“ Wenn sie sich vor eine Klasse stellte, „war es den meisten einfach wurscht“. Da ging es um Englisch oder Spanisch, mehr nicht.

Das Argument, dass Mädchen das Kopftuch „nie freiwillig“ tragen, wie die Ministerin in einem Interview meinte, kann Nigm nicht nachvollziehen. Für sie selbst sei das ein langer Prozess gewesen. Etwa ein Jahr lang habe sie überlegt, bis sie mit 15 oder 16 Jahren beschloss, dass sie ein Kopftuch tragen will. Wegen der Religion? Wegen der Identität? „Beides hat mitgespielt.“

Davor, als Kind, habe sie zwar religiös gelebt, aber sie wollte nicht darüber sprechen. Zu groß war die Angst, bei ihren Schulkollegen und Freunden anzuecken. In der Pubertät sei dann der Gedanke immer stärker geworden, dass sie ihren Glauben nicht verstecken will. „Ich werde ja auch nicht über Nacht blond und blauäugig. Also stehe ich zu dem, was ich bin.“

Ihre Eltern waren zunächst dagegen. Ob sie denn reif genug dafür sei. Und ob sie sich dem Druck, der dann auf ihr lasten werde, wirklich aussetzen wolle. Nun, sie wollte. Und Nigm beschloss: „Ich beweise euch, dass ich stark genug dafür bin.“ Und so ging sie nach den Sommerferien mit Kopftuch in die Schule. Die Reaktion der Freunde? „Sie haben geschaut, aber keiner hat etwas gesagt.“ Ihre Freundinnen von vorher waren immer noch ihre Freundinnen. Erst ein paar Tage danach habe sich dann die erste getraut zu fragen. „Aber nicht als Angriff.“

»"Da wurde ich plötzlich zur Botschafterin des Islam, ohne dass ich es wollte."«

Hebah Nigm. Über die Zeit, als sie Kopftuch zu tragen begann.

So schöne Haare . . .

Und ja, es waren auch Fragen dabei, die sie als rassistisch empfand. Ob sie etwa ihr Vater schlagen würde, wenn sie das Tuch abnimmt. „Aber ich glaube, dass das nicht böswillig gemeint war.“ Und auch die ständigen Nachfragen ihrer Klassenvorständin seien wohl gut gemeint gewesen. Unter anderem, ob sie das Tuch denn auch wirklich tragen will – denn sie habe ja so schöne Haare. In diesem Moment habe sie etwas realisiert: „Für mich war das kein Verstecken. Für mich war das Kopftuch ein Sichtbarwerden.“

Ein Sichtbarwerden ihrer Identität als Muslimin. Im Bewusstsein sei das davor schon so gewesen. „Und ich habe auch vorher keine Miniröcke getragen.“ Ebenso zum Alkohol hatte sie immer Nein gesagt. Und nur, weil manche Freundinnen einen Freund hatten, musste sie da nicht auch mitmachen. Das Kopftuch war für sie letztlich trotzdem ein wichtiges Zeichen.

Es änderte sich dadurch auch einiges für sie. Wenn etwa in der Schule diskutiert wurde. „Da wurde ich plötzlich zur Botschafterin des Islam, ohne dass ich es wollte.“ Von ihr sei verlangt worden, im Namen einer ganzen Glaubensgemeinschaft zu sprechen. Wobei das manchmal weniger ein Dialog als ein Angriff war. Und sie musste ihren Glauben, musste die islamische Welt verteidigen. „Das hat mich schnell erwachsen werden lassen.“

Asma Aiad geht es ähnlich. Auch sie wird immer wieder gefragt, wenn es um irgendein Thema geht, das mit dem Islam zu tun hat. Wenn die 31-Jährige über das gerade wieder debattierte Kopftuchverbot spricht, merkt man, dass die Worte lange darauf gewartet haben, gesagt zu werden. Denn die Jugendarbeiterin und Fotografin ärgert sich. „Es ist keine Diskussion auf Augenhöhe“, meint sie. „Nicht ich komme zu Wort, sondern lauter selbsternannte Experten, die mir ihren Lebensstil aufzwingen wollen.“

»Warum Musliminnen Kopftuch tragen, lässt sich nicht einfach verallgemeinern.
«

Aiad tritt als Aktivistin auf, die zeigen will, dass Feminismus und Kopftuch vereinbar sind. Und wie massiv die Diskriminierung gegen Muslime ist. 2018 teilte sie ein Video, nachdem sie und ihre Freundin am Flughafen rassistisch beschimpft wurden – von einem Beamten, wie die Frauen berichteten. Im Vorjahr teilte Aiad ein Video einer befreundeten Muslimin, das zeigt, wie sie an einer Wiener Straßenbahnhaltestelle wüst beleidigt wird. Beide Videos gingen viral.

Zur neuen Debatte rund um das Kopftuchverbot postete Aiad nun ein Bild mit einem Wort in Großbuchstaben: Oida. Es sei anstrengend, sich jedes Mal erneut rechtfertigen zu müssen. „Auf Instagram haben mir so viele Mädels geschrieben, dass sie ein Verbot als Erniedrigung empfinden.“ Und immer wieder derselbe Satz, den sie in ihrem virtuellen Postfach lese und der für sie die Absurdität auf den Punkt bringe: „Ich muss mich ausziehen, um in die Schule gehen zu können.“

Aiad kennt dieses Gefühl selbst. Mit 16 Jahren wechselte sie die Schule und beschloss, ein Kopftuch zu tragen. „Es war eine bewusste Entscheidung darüber, wie viel ich von meinem Körper zeigen möchte.“ Eine Entscheidung, für die sie von Mitschülern beschimpft wurde. Und auch eine Lehrerin an der Tourismusschule störte sich am Kopftuch. „Meine Servierlehrerin sagte, ich darf kein Kopftuch tragen, weil es nicht schön ausschaut.“ Heimlich trug sie unter dem Haarnetz ein Unterkopftuch. Eine Schulkollegin rebellierte lauter und wechselte wegen des Verbots durch die Lehrerin die Schule. „Ich weiß nicht, ob das die Lösung ist, aber ich fand es mutig.“

»"Das Verbot ist ja selbst ein Zwang. Wie will man jemanden mit Zwang befreien?"«

Asma Aiad. Muslimisch-feministische Aktivistin über ein Kopftuchverbot für Mädchen.

Ihre Jugend, erinnert sich Aiad, sei eine Zeit gewesen, in der sie erst lernen musste, sich für Themen einzusetzen. Heute sind Kopftücher in der Volksschule offiziell verboten. Und Aiad hat keine Scheu mehr, ihre Meinung zu sagen. „Ich finde es komisch, dass man denkt, Mädchen damit zu stärken“, sagt sie. „Das Verbot ist ja selber ein Zwang. Wie will man jemanden mit Zwang befreien?“

Das geht niemanden etwas an. Die Gründe, warum Musliminnen Kopftuch tragen, seien zu vielfältig, um sie zu verallgemeinern. Aiad trage es, um ihre Beziehung zu Gott auszudrücken. Mehr möchte sie nicht erzählen. „Ich frage auch niemanden, warum er sich wie kleidet. Wieso nimmt man sich das Recht, es bei mir zu tun? Das geht niemanden etwas an.“
Die Debatte um ein mögliches Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist für Aiad der Beweis, worum es wirklich gehe – nicht um Frauenrechte, sondern Macht. „Solange muslimische Frauen als Putzfrauen angestellt waren, hatte niemand ein Problem damit. Jetzt, wo sie Lehrerinnen und Richterinnen werden möchten und den Mund aufmachen, haben alle ein Problem damit.“ Man behaupte, mit dem Kopftuchverbot Frauen stärken zu wollen und dränge sie gleichzeitig in die Abhängigkeit. „Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist ein Arbeitsverbot.“

Hysterie

Kopftuch und Schule. Das ist ein Thema, das polarisiert. Und das immer wieder für Probleme sorgt. Eine Lehrerin erklärt den Test einer Schülerin für ungültig, weil diese sich geweigert hatte, ihr Kopftuch im Klassenzimmer abzunehmen. Ein Rechnungswesen-Professor bezeichnet eine muslimische Schülerin als „Dschihadistin“. Und ein verunsicherter Lehrer ruft den Verfassungsschutz, weil eine Schülerin plötzlich mit Kopftuch auftaucht. „Da sieht man, was für eine Hysterie ausgelöst wird“, sagt Sonia Zaafrani zum letzten der Beispiele, die alle aus österreichischen Schulen stammen.

Die Obfrau der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen (IDB) sammelt solche und ähnliche Fälle. 260 Mal allein im Jahr 2018 wurde dem IDB Diskriminierung im Kindergarten, an Schulen und Unis gemeldet – meist wegen der Religionszugehörigkeit. Dabei sei diese in rund 70 Prozent der Fälle gar nicht sichtbar gewesen. „Der häufigste Diskriminierungsgrund ist der Name.“

Wenn Zaafrani ein Vorfall gemeldet wird, sind meist Lehrer und Professoren die Beschuldigten. Als Grund dafür sieht sie die Konstellation des Lehrkörpers: „In den Fällen, wo Diskriminierung passiert, ist die Klasse meist sehr divers, die Lehrpersonen sind es aber nicht.“ Als Lehrer brauche man interkulturelle Kompetenzen, die aber nur die wenigsten aufweisen könnten. Trotzdem gebe es weder Kurse an Unis noch verpflichtende Fortbildungen.

»"Man sollte über Machokultur sprechen. Aber nicht so tun, als ob die importiert wäre."«

Genau die wären aber zielführender, als etwa einfach Religionssymbole aus der Schule zu verbannen. „Wir brauchen mehr Diversität – auch im Lehrerzimmer und in der Bildungsdirektion“, sagt sie. „All die Probleme die wir jetzt haben, lassen sich auf zu wenig Diversität zurückführen.“ Der Zugang der IDB sei, dass alle einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung haben, egal ob religiös oder nicht. „Das Kopftuchverbot ist aber eine Barriere nur für Kinder und Jugendliche einer Religion“, so Zaafrani. „Das ist institutionelle Diskriminierung und das muss man auch beim Namen nennen.“

Hebah Nigm sieht das ähnlich. Ein Verbot des Kopftuchs sei für die Betroffenen eine Anleitung, sich ausgeschlossen zu fühlen. „Menschen, die hier aufgewachsen sind, bekommen vermittelt, dass sie nicht Teil der Gesellschaft sind.“ Noch dazu, meint sie, sei die Diskussion über das Kopftuch ohnehin nur ein Deckmantel. Denn sollte tatsächlich auf muslimische Mädchen ein Zwang ausgeübt werden, ein Kopftuch zu tragen, könne man das nicht einfach durch ein Verbot lösen.

„Wenn daheim Machostrukturen am Werk sind, muss man da tiefer graben.“ Über diese Machokultur, darüber sollte man viel eher sprechen. „Aber man sollte dabei nicht so tun, als wäre das etwas Importiertes. Ich bin in Österreich aufgewachsen, ich kenne das auch von hier.“ Für die Mehrheitsgesellschaft sei es halt einfach, das Problem auf eine einzelne Gruppe zu schieben und sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen. „Aber das ist unfair“, meint Nigm, „gegenüber all den österreichischen Frauen, die auch der Machokultur ausgesetzt sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2020)

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