Frugalismus

Extremsparer haben mit 40 Jahren ausgesorgt

Lars Hattwig hat es geschafft. Er ist finanziell unabhängig.
Lars Hattwig hat es geschafft. Er ist finanziell unabhängig.Lars Hattwig hat es geschafft. Er ist finanziell unabhängig. (c) Carsten Wend
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Frugalisten sparen bis zu 70 Prozent ihres Einkommens, um frühzeitig finanziell unabhängig zu sein. Sie wollen ab 40 nicht mehr arbeiten müssen. Der enthaltsame Lebensstil wird auch hierzulande zum Trend, ist aber nichts für Genießer.

„Ich will mit 40 nicht mehr arbeiten müssen“, sagt Marie U. in ihren YouTube-Videos. Dafür spart die 27-Jährige – und zwar extrem. Sie verzichtet eigentlich auf fast alles. Mit 900 Euro im Monat bezahlt sie Miete, Essen, Handy, Internet und Netflix. Den Rest von ihrem 2500-Euro-Nettogehalt und Geld aus kleinen Nebeneinkünften legt sie zurück. So wuchs im vergangenen Jahr ein Finanzpolster von 20.000 Euro heran. Damit habe sie 70 Prozent ihrer Einkünfte gespart. Heuer will sie sogar 25.000 Euro sparen.

Einige gehen noch weiter. Valentina D. will sogar noch früher ihre finanzielle Unabhängigkeit erreichen „Ich will mit 35 in Rente gehen“, sagt die Tirolerin zur „Presse“. Die 22-jährige Studentin hat viele kleine Nebenjobs und investiert jeden Monat 1000 Euro in ETFs, also Indexfonds. Sie kommt mit nur 700 Euro im Monat aus. Anfangs wollte sie für ein Auto sparen, aber dann wurde das hinfällig. Sparen wurde zu ihrem Lifestyle und zum Lebensziel. Sie entdeckte den Frugalismus.

Sagte man früher noch Schmutzian oder Habfest, so nennt sich Valentina selbst heute Frugalistin. Der Trend zum Knausern kommt aus den USA und leitet sich von dem englischen Wort „frugal“ ab – zu Deutsch: einfach oder spärlich. Die Anhänger des Frugalismus wollen möglichst viel sparen und legen das Geld an, um frühzeitig den Job an den Nagel zu hängen und nur noch von ihrem Vermögen zu leben. Sie organisieren sich im Internet und treffen sich regelmäßig, um Anlage- und Spartipps auszutauschen. Nun scheint der Trend auch in Österreich Wurzeln zu schlagen.

»Während der Finanzkrise lebte Lars Hattwig extrem sparsam und kaufte Aktien.
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Österreicher sparen weniger. Nicht überraschend? Österreich ist sowieso eine Nation der Sparer? So eng schnallen wirklich nur wenige den Gürtel. 2019 lag die Sparquote bei 7,4 Prozent. Das heißt, Marie U. legt zehnmal mehr zurück als der Durchschnittsösterreicher. In der vergangenen Dekade ist die Sparquote sogar gesunken. Das liegt vor allem daran, dass der Konsum der Österreicher stärker steigt als das Einkommen. Am höchsten war die Sparquote vor der Finanzkrise.

Zu dieser Zeit wollte auch Lars Hattwig mehr aus seinem Geld machen und investierte am Aktienmarkt. Doch dann erwischte ihn die Finanzkrise hart. „Die Depots waren blutrot“, sagt der ehemalige Meteorologe zur „Presse“. Dennoch verkaufte er seine Aktien nicht, sondern kaufte mehr dazu. „Dafür musste ich den Gürtel enger schnallen.“ Er gönnte sich nichts. „Das kann man nur für eine kurze Zeit machen“, warnt Hattwig. „Bei Lebensmitteln immer nur das Billigste zu kaufen, ist nicht schön.“
Sein Plan ging auf. Er hat es geschafft. 2015 kündigte er seinen Job. Er lebt seitdem von seinem passiven Einkommen. „Mit 2000 Euro im Monat komme ich gut über die Runden“, sagt der lebensfrohe Berliner. Er hat mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben und gibt Finanzseminare. Das tut er allerdings nicht, weil er es finanziell muss, es macht ihm einfach Spaß.

Aber wie funktioniert das tatsächlich? Viele Frugalisten richten sich nach der Vier-Prozent-Regel: Wer jährlich nur vier Prozent seiner Ersparnisse aufbrauchen muss, der hat es geschafft. Der kann von seinem Vermögen mindestens 30 Jahre lang leben – dank Zins und Zinseszins sogar bis an sein Lebensende.

Eine weitere Faustregel lautet: Man benötigt etwa das 25-Fache seiner jährlichen Ausgaben. Kommt man mit 1000 Euro im Monat aus (12.000 Euro pro Jahr), muss man 25 x 12.000 Euro, also 300.000 Euro sparen und investieren. Prinzipiell gilt: Je mehr und länger man spart und je höher die Rendite ausfällt, desto früher kommt der Tag der finanziellen Unabhängigkeit. Dann ist man nicht mehr auf einen Job angewiesen.
Die Anlagestrategien sind unterschiedlich. Die meisten, wie Marie U. und Valentina, investieren in ETFs, also Fonds, die einen Börsenindex nachbilden. Allein nach zwei Jahren Frugalismus beträgt das passive Einkommen von Marie U. schon 45 Euro im Monat. Gleich nach Erhalt des Lohns überweist sie 1500 Euro an ihr ETF-Depot. Christoph Sachs, seit vier Jahren schon finanziell unabhängig, setzte zunächst auf einen Immobilienkauf. „Mein Startkapital war damals ein Bausparvertrag“, sagt der Niederösterreicher zur „Presse“. „Damals waren die Zinsen noch nicht so niedrig, aber dafür die Wohnung sehr billig. Es gibt keinen Vorteil ohne einen Nachteil“, scherzt der Freizeitgenießer und Blogger. Lars Hattwig investiert vor allem in Aktien.

»Marie U. gibt nur fünf Euro im Monat für Ausgehen und Alkohol aus.
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Soviel Investitionsfreude legt kaum einer an den Tag. Lediglich fünf Prozent der Österreicher sind Aktionäre und weniger als ein Zehntel der Bevölkerung hält Investmentzertifikate. Und obwohl man mit einem Sparbuch im Niedrigzinsumfeld keinen Blumentopf mehr gewinnt, bleibt es die Nummer eins unter den Veranlagungen. Dafür wird kräftig eingekauft. Das Wifo geht heuer von einem Anstieg des privaten Konsums von 1,6 Prozent aus.

Frugalisten halten sich dabei im Zaum. Je weniger Geld sie zum Leben brauchen, desto mehr können sie zurücklegen. Zusätzlich müssen sie bei einem enthaltsamen Lebensstil auch weniger Geld ansparen. Gerade Jobeinsteiger können viel sparen, denn sie sind noch ihr Leben als Student oder Schüler gewohnt. Kommt man mit der Hälfte seines Einkommens aus, braucht man etwa 17 Jahre bis zum Freizeitleben. Wenn man zwei Drittel seines Einkommens spart, muss man gerade einmal zehn Jahre arbeiten, so die Faustregel der Frugalisten.
Lars Hattwig würde sogar eine Pension erhalten. „Aber ich habe so kalkuliert, dass ich sie nicht brauche“, sagt der 49-Jährige. Auch Christoph Sachs hat 36 Jahre lang gearbeitet. Aber was ist mit Marie und Valentina? Sollten beide tatsächlich nur 15 Jahre arbeiten, kommt bei der Pension nicht viel heraus. Gerade am Anfang einer Karriere fällt der Verdienst erst einmal geringer aus. Unter Umständen hat man in der Pension Anspruch auf eine Ausgleichszulage, wenn das Einkommen unter 933,06 Euro liegt. Die dürfte für die Frugalistinnen aber wegfallen. Schließlich zählen Dividenden, Mieteinnahmen, Zinsen und ETF-Ausschüttungen als Einnahmen. Versteuern muss man auch noch alles. Man dürfte sich also mit einem Geldkoffer an der Schweizer Grenze nicht erwischen lassen.

»"Ich habe mich nie arbeitslos gemeldet oder auf Kosten anderer durchgeschnorrt."«

Lars Hattwig. Finanziell unabhängig und Finanzblogger. Hattwig konnte 2015 seinen Job kündigen, weil er seitdem von seinem passiven Einkommen lebt.

Und was ist mit der Inflation? 2001 lag die Durchschnittspension bei etwas mehr als 10.000 Schilling. Damals dachte man, das sei viel Geld. Heute sieht das wohl jeder anders. Denn das Geld verliert an Wert – 2019 in Österreich um 1,5 Prozent.

Es gibt also so einiges zu beachten und die Renditen sind nicht sicher. Es gibt Risiken. Angst vor einer Finanzkrise habe Hattwig nicht. „Diesmal weiß ich besser, was zu tun ist.“

Arbeitslos hat er sich nie gemeldet. Das spricht gegen sein Konzept. Denn dann müsste er sich für Jobs melden und diese gegebenenfalls auch annehmen. Ihm ist die Freiheit wichtiger.

So denken nicht nur Frugalisten. Galt das Auto in den 1990ern noch als das ultimative Statussymbol, ist es nun die Zeit. Viele wollen ihr Leben mehr mit der Familie oder ihren Hobbies verbringen. Valentina geht gern wandern. Christoph Sachs kümmert sich um seinen Garten. Marie fährt in den Urlaub und spendet sogar für wohltätige Zwecke. Sie alle wirken sehr glücklich, trotz Enthaltsamkeit. Sie wollen raus aus dem täglichen Hamsterrad. Besonders junge Menschen setzen oft nicht mehr auf Konsum. Sie wollen hingegen bewusster leben, keine Ressourcen verschwenden.

»Es bringe nichts, andere von ihrem Lebensstil überzeugen zu wollen, sagt Valentina.«

Schon allein aus „Nachhaltigkeitsgründen“ möchte Marie nicht ständig neue Sachen kaufen. Für ein neues Gewand setzt sie auf Kleidertauschparties oder Second-Hand-Läden. Ihren Laptop hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin seit sechs Jahren. Das Mittagessen für die Arbeit kocht sie vor. Wenn sie für ein Gericht nur zwei Karotten braucht, kauft sie auch nur zwei. Auch für Weichspüler, Friseur und Kaffee bleibt die Marie im Portemonnaie. Sie trinkt hauptsächlich Leitungswasser. Viele Lebensmittel besorgt sie sich von Läden, die Reste oder abgelaufene Produkte verschenken.

Dreiste Tipps zum Geldsparen. Es gibt eine Vielzahl an Blogs und YouTube-Kanälen zum Thema Frugalismus, unter anderen die von U. und Valentina. Die meisten klingen sehr vernünftig. In einschlägigen Foren liest man aber mitunter auch dreiste Tipps zum Geldsparen. So schlug jemand vor, die Banane vor dem Wiegen im Supermarkt zu schälen. Schließlich wiege man das Grün bei Karotten auch nicht mit. Mit so einem Verhalten macht man sich sicherlich keine Freunde. „Auf Kosten anderer durchschnorren, das habe ich nie gemacht“, beteuert Hattwig. Marie U. gibt im Monat nur fünf Euro für Weggehen und Alkohol aus. Davon kriegt man nicht einmal zwei Spritzer. „Manchmal habe ich mich so eingepfercht gefühlt“, gesteht Hattwig. Auch Sachs rät davon ab, zu lange so spärlich zu leben. „Man muss die Jugend genießen“, sagt der 54-Jährige. Auch Valentina sieht es nicht so eng.

»"Ich verlasse mich nicht darauf, dass ich eine Pension mit 70 erhalte."

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Valentina. Die Studentin spart 1000 Euro im Monat.

Das Thema polarisiert. Es bringe nichts, andere von diesem Lebensstil zu überzeugen, erklärt Valentina. Die Tirolerin hat schon oft negative Reaktionen bekommen, sagt sie. Das könne ziemlich schnell zum Streit führen.

Besonders in einer Partnerschaft kommt es auf eine offene Kommunikation an. Valentina empfiehlt getrennte Konten und ein Gemeinschaftskonto für Fixkosten. Beim Einkauf müsse man Kompromisse machen. Wenn jemand das teurere Waschmittel kaufen möchte, fände sie es fair, dass die Person, die das teure will, auch etwas mehr bezahlt als die Person, die lieber das günstigere bevorzugt. Niemand dürfe sich benachteiligt fühlen.

Valentina D. wisse, dass nicht jeder 1000 Euro im Monat zurücklegen kann. „Jeder kann aber davon profitieren, sich mit seinen Finanzen auseinanderzusetzen.“ Auf die Pension verlasse sie sich jedenfalls nicht.

Vorsorge

7,4 Prozent beträgt die Sparquote in Österreich.

5 Prozent der Österreicher sind Aktionäre.

Frugalismus

Lexikon

Frugalisten sparen für den Ruhestand. Sie leben minimalistisch und investieren jeden Euro, den sie entbehren können. Frugalismus-Anhänger wollen im Eiltempo ein Vermögen aufbauen, das groß genug ist, damit sie möglichst früh aus dem Job aussteigen können. Der Trend aus den USA schlägt auch in Österreich seine Wurzeln.

Vier-Prozent-Regel: Wer jährlich nur vier Prozent seines Vermögens aufbrauchen muss, der hat es geschafft. Er kann von seinem Ersparten mindestens 30 Jahre lang leben – dank Zinsen und Zinseszins sogar bis ans Lebensende. Die Höhe der Rendite spielt allerdings eine wesentliche Rolle.

25-Faustregel: Demnach benötigt man ungefähr das 25-Fache seiner jährlichen Ausgaben für die finanzielle Unabhängigkeit. Reichen einem 1000 Euro im Monat (12.000 Euro pro Jahr), muss man 25 x 12.000 Euro, also 300.000 Euro zur Seite legen und investieren. Ein Restrisiko bleibt immer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2020)

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