Essen und Trinken

Wie wird man zum besten Restaurant des Landes?

Birgit und Heinz Reitbauer im Restaurant im Stadtpark. Nach dem zweiten Umbau des Lokals seien sie wirklich angekommen, sagt Birgit Reitbauer. „So gefällt es uns.“
Birgit und Heinz Reitbauer im Restaurant im Stadtpark. Nach dem zweiten Umbau des Lokals seien sie wirklich angekommen, sagt Birgit Reitbauer. „So gefällt es uns.“ (c) Caio Kauffmann
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Das Steirereck wurde 2020 50 Jahre alt. Anfang der 2000er-Jahre haben Birgit und Heinz Reitbauer übernommen. Das beste Restaurant des Landes kommt schon lang ohne internationale Produkte aus. Und stärkt damit die Landwirtschaft.

Das Steirereck ist ein Familienrestaurant. Immer schon gewesen. Gegründet wurde es am 1. Jänner 1970 von Margarethe und Heinz Reitbauer senior. Acht Monate später kam Heinz Reitbauer junior auf die Welt. Dazwischen – konkret 1996 – gründete die Familie das Wirtshaus am Pogusch, in dem lang der Junior kochte. Bis dann Heinz und Birgit Reitbauer das Steirereck in Wien übernommen haben. 2005 folgte der Umzug von der Rasumovskygasse in den Stadtpark. Heinz Reitbauer wurde Küchenchef, Birgit Reitbauer Gastgeberin.

Herr Reitbauer, Sie haben einmal gesagt, es sei rund um den Umzug in den Stadtpark drunter und drüber gegangen – weil auch die Frage im Raum stand, wo Sie sich als neue Chefs des Hauses hinbewegen wollen.

Heinz Reitbauer: Wir haben das Haus im Stadtpark gemeinsam mit der Familie geplant und in einer sehr opulenten Art und Weise ausgestaltet. Aber erst später, wenn man ein bisschen Distanz zu den Eltern hat, denkt man darüber nach, wo man selbst ist und was man will. Meine Position wurde eher als Verbindung zwischen Küche und Geschäftsführung gesehen. Helmut Österreicher war ja unser langjähriger, sehr erfolgreicher Küchenchef, der uns dann überraschenderweise in den ersten Monaten verlassen hat. Es war eine Linie vorgezeichnet, die natürlich von ihm und seinem Team geprägt war.

(c) CaioKauffmann

Was passierte nach seinem Abgang?

HR: Mit seinem Abgang war eine Weichenstellung da. Das Steirereck wurde abgewertet, wir haben die vierte Haube verloren, sanken im „Gault & Millau“ von 19 auf 17 Punkte. Ich habe erst vor Kurzem gehört, dass das die erste Amtshandlung der Familie Hohenlohe als neue „Gault & Millau“-Chefs war. Nach Helmut Österreicher kam also der Sohn von der Wirtshausküche. Ich hab da in mich gehört und mich gefragt, was will ich machen. Ich kann nicht in die Fußstapfen meiner Eltern oder von Helmut Österreicher treten, das bin nicht ich. Ich hab mich am Pogusch seit zehn Jahren mit regionalen Dingen beschäftigt, das war meine Leidenschaft.

Ihr Zugang zur Regionalität ist also auch das Erbe der ersten Jahre am Pogusch?

HR: Ja. Ich bin in sehr jungen Jahren viel gereist, habe mir viel angeschaut und war von sehr vielen Dingen schnell begeistert. Ich habe dann aber gemerkt, dass mich das jedes Mal in eine andere Richtung spült. Ich hab das um die Jahrtausendwende ganz stark reduziert und bin nur mehr essen gegangen aus dem Vergnügen heraus, hab versucht, nicht mehr zu überlegen, was man selbst umsetzen könnte. Das habe ich vorher fast exzessiv betrieben. Aber das führte nicht zu meiner Profilfindung. Und ich habe immer einen Naturbezug gehabt. Vielleicht auch, weil alle in meiner Familie einen landwirtschaftlichen Hintergrund haben.

Sie haben sich also sehr früh mit Regionalität beschäftigt.

HR: Für mich war es normal. Ich hab immer gewusst, wenn wir eine Landesküche langfristig prägen wollen, dann wird das nie funktionieren, wenn wir nicht unsere Produzenten auf Augenhöhe mit dorthin bringen. Nur das wird langfristig eine Küche verändern können und auch die Ernährung in einem Land. Und ich wollte mein eigenes Profil kreieren. Das war der Unterschied zu meinen Eltern. Sie sind ins Ausland gefahren, haben sich etwas angeschaut, waren – so wie ich früher – begeistert und haben versucht, es auf ihre Art umzusetzen. Das hab ich damals schon komisch gefunden, denn dann bist du immer Zweiter. Das widerspricht meinem Grundverständnis.

Im Steirereck dominierten damals noch die internationalen Produkte.

HR: Wir hatten sieben Meeresfische und einen Süßwasserfisch auf der Karte, wir haben Lamm nicht aus Österreich bezogen, obwohl wir es selbst gezüchtet haben. Der Zugang hat sich nie mit meiner Vorstellung von regionaler Entwicklung einer Gastronomie und einer Landwirtschaft gedeckt. Deshalb hab ich damals schon zu Helmut Österreicher gesagt: „Ich will, dass wir mit österreichischem Lamm arbeiten. Wenn du glaubst, dass das Pogusch-Lamm nicht gut genug ist für deine Küche, dann geben wir anderen Bauern eine Chance und helfen ihnen, besser zu werden.“

Wie schwierig war das damals denn, regionale Top-Produkte zu bekommen?

HR: Als ich 1996 die erste Karte am Pogusch geschrieben hab, gab es drei Menüs: vom steirischen Stall, vom steirischen Garten und vom steirischen Fluss. Das Gleichgewicht zwischen Gemüse, Fisch und Fleisch war uns damals schon wichtig. Die Findung von Produkten war in der Steiermark nicht so schwierig, in Wien am Anfang schon. Heute schaffen wir es nicht, das Füllhorn an Produkten auch nur im Ansatz abzulichten auf unseren großen Karten.

Wie sieht es mit der Politik aus? Im Gegensatz zu Frankreich genieren sich bei uns Politiker, in ein tolles Restaurant zu gehen.

HR: Die deutschsprachigen Länder haben hier Nachholbedarf. Für uns ist das unverständlich, weil wir wissen, wie wichtig ein Zusammenspiel von Natur, Landwirtschaft, Gastronomie und Tourismus ist. Nur wenn diese Faktoren gut ineinandergreifen, wenn es ein Verständnis gibt, kann sich etwas entwickeln. Das stärkt den regionalen Verbund, die Identität. Diese Möglichkeiten werden total unterschätzt. Es gibt Lippenbekenntnisse, aber keine Taten.

Was brauchte es für Maßnahmen?

HR: Man muss mit der Jugend anfangen, den Menschen ein Lebensmittel und die Vielfalt näherbringen. Ein Thema, das mich gerade bewegt, ist Streuobst. Wir haben mit 60 Apfelsorten gearbeitet, sie analysiert, verkocht. Man weiß, was in einem Apfel verborgen liegt: Das ist die DNA Österreichs. Und die ganze Entwicklung geht dorthin, diese Bäume auszureißen und Plantagen zu machen, obwohl man weiß, dass sie wirtschaftlich nicht vernünftig betreibbar sind und austauschbare Qualität produzieren. Dafür wirft man etwas über Bord, was einzigartig ist. Das kann man der Politik vorwerfen: dass sie nicht zur Qualität steht.

Birgit Reitbauer: Den Produzenten wird noch suggeriert, dass das der richtige Weg ist, denn da gibt es ja EU-Fördergelder. Das ist eine Sackgasse. Es geht darum, für ein gutes Produkt einen fairen Preis zu bekommen.

HR: Die klein strukturierte Landwirtschaft ist eines der größten Kapitale, die wir haben. Ein Spitzenrestaurant, vielleicht nicht mit einem tiefen Sinn, kann man schnell einmal irgendwo aufstellen. Aber eine klein strukturierte Landwirtschaft, wenn die einmal weg ist, ist das verloren. Wir müssten mehr in diese Richtung arbeiten. Das würde auch die Landflucht stoppen.

Wie lang dauert es, ein Gericht zu entwickeln? Etwa Ihren Saibling im Bienenwachs.

HR: Das hat relativ lang gedauert, wegen der Technik. Aber auch hier geht es um ein größeres Thema: Bienensterben, Respekt vor der Natur. Wenn man versucht, den Kreislauf und den Produzenten zu verstehen, versteht man besser, was man tut. Wenn Sie dem Mitarbeiter immer sagen: „Schneid nicht zu viel vom Sellerie weg“, dann wird er es vielleicht machen, aber wenn Sie ihm einmal zeigen, was es heißt, dieses Produkt zu ziehen, erübrigt sich das.

Gibt es Trends, bei denen sie bewusst nicht mitmachen?

HR: Immer. Alles, was modisch ist, verbannen wir aus der Küche. Da muss man auch unternehmerisch denken: Es muss eine Unterscheidung geben, ich will ja nicht überall das Gleiche kriegen. Und es soll in der Region bleiben, dann bleibt es einzigartig.

Skandinavien war ein unbeschriebenes Blatt und hat eine international renommierte Küche aufgebaut. Österreich hat einen kulinarischen Stempel, steht für Schnitzel, Kaiserschmarren. Hemmt diese Tradition?

BR: Die österreichische Küche widerspiegelt immer das, was unser Land auf den Teller bringt. Das Paradebeispiel ist Süßwasserfisch. Die ganze Welt isst Salzwasserfisch. In Österreich ist es absolut im Wirtshaus angekommen, dass wir stolz auf die Süßwasserfische sind.

HR: Heute hat Regionalität einen hohen Stellenwert, aber Saisonalität ist noch nicht angekommen. Dazu muss man das Land verstehen. Es geht nicht nur um die Erdbeeren. Und zur skandinavischen Küche: Nicht falsch verstehen, die ist großartig in dem, was sie gemacht haben, aber ich weiß nicht, wie lang das nachhallt. Das ist eine Welle. Und was bleibt? Was kennen Sie von der nordischen Küche? Sie haben viel bewirkt und das Produkt in den Mittelpunkt gestellt. Aber in Österreich haben das viele davor schon gelebt, nur nicht so vermarktet. Wir haben einen anderen Tiefgang.

Es heißt, viele Spitzenköche stehen nicht selbst in der Küche. Ist das wirklich so?

HR: Ich stehe in 99 Prozent meiner Zeit in der Küche. Ich hab auch mein Bürotischerl dort. International gibt es natürlich Leute mit einem anderen Fokus, die haben oft mehrere Unternehmen zu leiten. Für den Teller draußen ist es nicht ausschlaggebend, ob der Küchenchef heute in der Küche steht oder nicht. Ich glaube aber, dass es einen Riesenunterschied macht bei der Zusammenarbeit mit dem Team.

BR: Viele junge Köche gehen in ein Restaurant, um genau bei diesem Koch zu lernen. Da wird auch viel Zwischenmenschliches weitergegeben, wie man einen Betrieb führt. Das war immer die Stärke unseres Hauses. In den letzten Jahren haben sich viele, die bei uns waren, selbstständig gemacht. Man ist auch Vorbild. Das hat mit der Arbeitsweise zu tun, mit dem Respekt anderen gegenüber. Es hat auch mit unserem Umgang als Ehepaar in einem Team zu tun, damit, wie das funktionieren kann.

Und wie funktioniert es?

BR: Sehr gut. Wir haben beide unseren Bereich. Man muss vieles mit Humor nehmen, gut streiten können, sich aber im nächsten Moment vertragen. Als wir übersiedelt sind, haben wir viele Sorgen gehabt. Wir haben viel Geld investiert, das nicht unseres war, wir sind durch Wien geschimpft worden. Aber mein Mann hat immer gesagt: „Weißt, so lang wir zwei g'sund san und zamhalten, kann uns nix passieren.“ Und genau das ist es, du bist ein Team. Alle, die bei uns waren, haben ein Stück Steirereck im Herzen. Das nimmt man mit.

Gab es je Zweifel, von Ihnen oder den Eltern, ob Sie das Restaurant übernehmen?

HR: Also von meinen Eltern sicher. (lacht) Ich hab mich immer für Architektur interessiert, für Landwirtschaft und Gastronomie. Ich bin leidenschaftlicher Koch, aber ich hätte mir auch etwas anderes vorstellen können.

BR: Es hat sich ergeben. Man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und daraus etwas zu machen. Ich denk bei unseren Kindern nicht täglich daran, ob sie es übernehmen werden. Wenn es so ist, freut es mich. Und wenn sie alles umbauen wollen, sag ich: Do it. Das haben wir auch gemacht. Der zweite Umbau, das war unser Umbau, jetzt sind wir angekommen. So gefällt es uns. Beim Umzug in den Stadtpark, das war auch schön, das haben wir zu viert entschieden. Das war eben 50 Prozent von uns. Jetzt sind es 100 Prozent.

Steckbrief

Heinz Reitbauer
wurde am 23. August 1970 geboren. Er hat nach dem Abschluss der Hotelfachschule in Bayern eine Kochlehre im elterlichen Betrieb und bei den Gebrüdern Obauer in Werfen gemacht. Reitbauer war u. a. bei Alain Chapel, Anton Mosimann und Joël Robuchon tätig. 1996 wurde er Küchenchef des neu eröffneten Steirerecks am Pogusch. 2001 übernahm er die Geschäftsführung des Steirerecks in Wien, 2005 wurde er dort Küchenchef. Seitdem wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Birgit Reitbauer
wurde am 25. Dezember 1974 geboren. Sie studierte Betriebswirtschaft
und Tourismusmanagement. Ihre Eltern waren in der Textilbranche tätig, sie selbst hatte schon während des Studiums in der Gastronomie gearbeitet (Do & Co, Kurkonditorei Oberlaa). Die Gastgeberin wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt als beste Gastronomin („Les Grandes Tables du Monde“).
Die beiden sind verheiratet und haben drei Kinder.

Das Steirereck wurde mit zwei Michelin-Sternen und fünf „Gault & Millau“-Hauben ausgezeichnet. In der Liste der weltweit 50 besten Restaurants belegt es Platz 17.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2020)

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Das Steirereck-Team in den 1980er-Jahren vor dem Lokal in der Rasumovskygasse. Mittig: Heinz Reitbauer, Margarethe Reitbauer und Helmut Österreicher (links).
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Wie Heinz und Margarethe Reitbauer einst zur Rasumovskygasse kamen – und wie sie das Lokal vom „besseren Würstelstandl“ zur Spitzenadresse machten.

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