Die letzten Tage der EU-Mitgliedschaft sind gekommen. Die Regierung unter Boris Johnson versucht für Einheit zu werben, lässt aber ihren eigenen Aktionismus nicht ruhen.
Wien. Am 1. Jänner 1973 berichtete die britische Tageszeitung „The Guardian“: „Großbritannien wechselte in der vergangenen Nacht friedvoll und ohne besondere Feierlichkeiten nach Europa.“ 47 Jahre später wird das Vereinigte Königreich Freitagnacht als erstes Land in der Geschichte die Europäische Union verlassen. Wiederum soll der historische Augenblick mit betonter Zurückhaltung begangen werden: „Jetzt ist die Zeit, nach vorne zu blicken und die vergangene Spaltung zu überwinden“, gab Premierminister Boris Johnson bereits die Richtung vor.
Er widersetzt sich damit bewusst den Forderungen von Brexit-Hardlinern, die das Inkrafttreten des EU-Austritts am Freitag um 23 Uhr Ortszeit (Mitternacht auf dem Kontinent) mit großem Bombast und Lärm in Szene setzen wollten. „Ich werde die ganze Nacht nicht schlafen, sondern auf den Augenblick warten, zu dem die Sonne über unserem freien Vaterland aufgehen wird“, verkündete der konservative Abgeordnete Mark Francois. Zuvor wird er zur Feier des „Independence Day“ gemeinsam mit Brexit-Verfechter Nigel Farage und Gesinnungsgenossen vor dem Parlament den Abschied von der Europäischen Union feiern.
Big Ben bleibt ruhig
Obwohl sie auf einem der prominentesten Plätze Londons zusammenkommen dürfen, wird ihnen ihr Herzenswunsch aber versagt bleiben: Die weltberühmten Glocken des Big Ben (eigentlich der Name der größten Glocke im Turm, umgangssprachlich wird so aber der ganze Turm bezeichnet), der wegen Renovierung eingerüstet ist, werden den Brexit nicht einläuten. Der Plan scheiterte nicht nur daran, dass nur die Hälfte der erforderlichen 500.000 Pfund (589.970 Euro) aufgetrieben werden konnte. Vor allem machte die Regierung klar, dass sie am Tag des EU-Austritts keinen Triumphalismus und neue Spaltung, sondern Versöhnung und Ausrichtung auf die Zukunft wünscht: „Egal, wie wir 2016 abgestimmt haben, jetzt ist die Zeit gekommen, mit Zuversicht nach vorne zu schauen auf jenes globale und wegbereitende Land, das wir im nächsten Jahrzehnt aus Großbritannien machen werden“, sagte Johnson.