Nachruf

Lois Weinberger: Ein großer Künstler der Ränder, der ungebärdigen Natur

MUSEUM TINGUELY, KUNSTAUSSTELLUNG,
MUSEUM TINGUELY, KUNSTAUSSTELLUNG,(c) APA/GEORGIOS KEFALAS (GEORGIOS KEFALAS)
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In der Nacht auf Dienstag ist der Tiroler Lois Weinberger im Alter von 72 Jahren gestorben. Er hinterlässt wunderbar wilde Gärten.

Mit Lois Weinberger verliert Österreich einen außergewöhnlichen Künstler. Und einen Menschen, der fröhlich, verschmitzt und voller Humor unermüdlich durch Straßen und Wälder wanderte, voller Achtsamkeit auf das Übersehene. Unvergesslich seine Liebe zu all den kleinen Dingen, die der Kamp nach einem Hochwasser auf dem Grundstück vor seinem Atelier in Gars liegen ließ. Voller Begeisterung für die Pflanzen, die angeflogen waren, voller Freude über die Fundstücke, die er für seine Skulpturen aufsammelte, führte er uns herum. Nichts war wertlos, alles öffnete Denk- und Freiräume.

Sein Leben lang war die Natur Weinbergers Welt. Nicht die kultivierte, sondern das Übersehene, das Periphere. Daraus entwickelte er sein ganz eigenständiges Werk. Dabei kam der 1947 in Stams geborene Tiroler erst spät zur Kunst, absolvierte erst eine Schlosser- und Kunstschmiedlehre. Aber schon in den 1970er-Jahren praktizierte er, was er später seine „Forschungen“ nannte. So übermalte er einen Schulaufsatz seiner Schwester mit Rotstiften, um es „noch röter zu machen“ – eine poetisch-subversive Ad-absurdum-Führung einer autoritären Markierung, wie er es später immer wieder praktizierte. 1977 schmückte er einen großen Kirchbaum mit Plastikbahnen. Sein „Baumfest“ sah er in der Tradition der Volkskunst – was so typisch war für sein Denken, das auf wunderbar subtile Art hochpolitische Diskurse in seine Kunst einband. Als er 1988 Stams verließ, legte er in Wien einen Garten an. Dort pflanzte er Unkräuter, wie er sie am elterlichen Hof ausreißen musste. In Salzburg brach er einmal ein Stück Asphalt auf, um dort Brennesseln und anderer Spontanvegetation freien Wuchs zu lassen. Zur documenta X 1997 bepflanzte er ein stillgelegtes Bahngleis am Kasseler Kulturbahnhof mit Pflanzen aus dem Balkan – es war der meistbeachtete Beitrag. Bei der letzten documenta 2017 traf ich ihn neben dem Gleis. Er begutachtete seine Disteln und riss manch andere Pflanze aus – ein bisschen Ordnung ließ er doch zu. „Präzise Achtlosigkeit“ schrieb er einmal in einem seiner Gedichte über den Garten – ein perfektes Motto für seinen Weg mit der Natur.

Bis zuletzt galt Weinbergers Interesse den oft als invasiv beschriebenen ruderalen Pflanzen – die er auch politisch verstand, als Bild für Migration. Ab wann ist eine Pflanze heimisch, wo beginnt das Fremdsein, wo verlaufen Grenzen? In Innsbruck legte er 1998 einen „Garten“ an: Eingeschlossen und zugleich geschützt, begrenzt und wild, wuchert es hier seither. Es erinnert an seine frühe Übermalung im Schulheft: die Übersteigerung des autoritären Zauns in sein Gegenteil, in den Schutz vor Ordnungswillen. Und es erinnert an die Freude an vermeintlich Wertlosem wie beim „Baumfest“. Nicht das Kultivierte, sondern die „unsichtbare Natur“, die „Natur des Geistes“, interessiere ihn, erklärte er mir anlässlich seiner großen Retrospektive in St. Etienne 2012. Dort waren auch seine Stadtpläne zu sehen. Die Straßen heißen nach Pflanzen: Leberblume, Pfingstrose, Königskerze. Manche dieser Karten tragen auch nur einen Teil der Namen, Schuh, Kerze, Fuß, Nord – „Die Worte geben die Bilder frei“ schrieb er in einem seiner großartigen Gedichte. Darin findet sich auch die Zeile „Eins mit anderem verstricken“ – es sind Worte, die wir wie ein Motto seiner Kunst lesen können. „Sich in einer enormen Wachsamkeit auf noch ferne Ränder hin zu befinden“ heißt es weiter – jetzt ist Lois Weinberger auf dem Weg zu dem wohl fernsten Rand. Er wird uns hier fehlen.

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