Glaubensfrage

Redeverbot

Versuche, den Religionsgemeinschaften im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen ein öffentliches Redeverbot zu erteilen, werden penetranter. Eine Gegenrede.

Das Lesen dieser Kolumne ist heute nichts für Zartbesaitete, deren Sonntagsfeeling durch schockierende Neuigkeiten irritiert werden könnte. Was für ein Skandal das neulich war! Nur den Allerschlauesten ist nicht entgangen, was sich da Ungeheuerliches ereignet hat. Im machtpolitischen Zentrum der Republik! Im Kanzleramt! Hat Sebastian Kurz beim Gang vom Video-Interview mit der „Bild“-Zeitung zur nächsten Regierungspressekonferenz vergessen, den, wie heißt es doch, Mund-Nasen-Schutz, anzulegen? Wenn es nur das gewesen wäre. Ärger noch!

Ein leibhaftiger Kardinal – huch! – wurde am Ballhausplatz gesichtet. Christoph Schönborn hatte die Stirn, mit der nebenbei für Kultusfragen zuständigen türkisen Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab eine jener Regierungspressekonferenzen abzuhalten, wie sie in Coronazeiten Alltag sind. Diesmal ging es nicht um das Aufsperren von Baumärkten oder Nagelstudios. Diesmal war das Öffnen von Kulträumen der Religionsgemeinschaften Thema, von Kirchen, Moscheen, Synagogen.

Schon klar, dass das nicht alle gleichermaßen interessiert. Aber erstaunlich war die Reaktion mancher schon: Ob es wahr sein dürfe, dass im Bundeskanzleramt über virologisch unbedenklichen Umgang mit – huch! – Weihwasser und Hostien gesprochen wird. Wie das denn nun sei mit der Trennung von Kirche und Staat, mit staatlicher Neutralität.

Dabei findet man natürlich nichts daran, wenn sich Regierungsmitglieder mit Firmenchefs der Öffentlichkeit präsentieren, mit Vertretern und Lobbyisten von Interessen aller Art. Vertretern der Religionsgemeinschaften soll das verwehrt sein? Jenen, die nicht wirtschaftliche Interessen verfolgen, sondern zum Gemeinwohl in unterschiedlichsten Ausformungen beitragen: Abertausende bilden unter dem Dach von Religionsgemeinschaften meist unbezahlt Netzwerke menschlicher Hilfe. Versuche, öffentliche Äußerungen von Religionsgemeinschaften mit einem Verbot zu verhängen, als unstatthaft zu sehen oder aus Prinzip lächerlich zu machen, werden penetranter – und unerträglicher.

In welchem Land leben wir, hat einer der Kritiker des Auftritts des Kardinals empört gefragt. Nun, in Frankreich tatsächlich nicht. Dass dort Probleme mit (pseudo)religiösem Fanatismus und Extremismus auch damit zu tun haben könnten, weil sich der Staat blind und taub gegenüber menschlicher Sehnsucht nach Transzendenz stellt, ist nicht völlig auszuschließen. Wir leben in Österreich mit einer katholischen Tradition und einer kürzeren, sehr bemerkenswerten des Respekts zwischen den Religionsgemeinschaften und der (durchaus weiter ausbaufähigen) Zusammenarbeit – zum Wohl der Gesellschaft, der Menschen insgesamt. Man muss das nicht schlecht finden. Man kann das entspannt sehen. Und darf sogar dankbar sein.

?dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2020)

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