Belarus

Das Lukaschenko-Regime zielt auf die Anführer der Opposition

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Mehrere prominente Köpfe der Protestbewegung wurden festgenommen. Der martialische Auftritt des Staatschefs sorgt indessen für Häme und Spott.

Nach Alexander Lukaschenkos Kraftmeierei vom Wochenende sind am Montag in Belarus erneut mehrere Oppositionelle festgenommen worden. Vor der Minsker Traktorenfabrik wurden zwei Mitglieder von Swetlana Tichanowskajas Koordinationsrat von Spezialeinheiten der Polizei festgenommen und in Gefangenentransportern abgeführt. Es handelt sich um den Streikführer Sergej Dylewskij und die Tichanowskaja-Stellvertreterin Olga Kowalkowa. Die Anwältin Lilia Wlasowa und Pawel Latyschko wurden derweil zu einem Verhör einberufen. Im Zuge der Untersuchungen wurde auch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch zur Vernehmung einbestellt. Die 72-Jährige gehört dem Koordinationsrat an, der nach der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos eingesetzt wurde. Bereits am Freitag waren drei Mitglieder des oppositionellen Koordinationsrats verhört worden.

Das Regime von Machthaber Lukaschenko wirft dem siebenköpfigen Koordinationsrat vor, einen Staatsstreich geplant zu haben. Dieser indes ruft das Regime zu einem Dialog über einen friedlichen Machtwechsel auf. Latyschko, das einzige Mitglied aus dem weiteren Machtzirkel Lukaschenkos, hat inzwischen am Montag noch einmal betont, der Koordinationsrat wolle nichts an den engen Beziehungen zwischen Belarus und Russland ändern. „Wir befassen uns gar nicht mit solchen Fragen“, fügte der ehemalige Kulturminister und Botschafter an.

Arbeiter drohen mit Arbeitsniederlegung

Dylewskijs Festnahme soll offensichtlich die Streikbewegung weiter schwächen. Vor der Minsker Traktorenfabrik brach der Protest danach am Montagmorgen zusammen. In Soligorsk, rund 100 Kilometer südlich von Minsk, protestierten dagegen Hunderte von Arbeitern gegen die Festnahme des Gewerkschafters Anatoli Bokun. Sie drohten, die Arbeit niederzulegen, wenn er nicht innerhalb weniger Stunden freigelassen würde.

Auch der Streikführer des Minsker Speziallastwagenherstellers MZKT wurde festgenommen. Viele Staatsbetriebe in Weißrussland sind inzwischen zu neuen Streikformen übergegangen. So wird gebummelt und die Produktion sabotiert, nachdem Lukaschenko den Streikenden mit Entlassung gedroht hatte. Trotz Lukaschenkos Machtwort vom Samstag wurden laut Industrieminister Pjotr Parchomtschik am Montag keine der rund 220 großen Staatsfirmen geschlossen, selbst wenn sie streikten.

Staatsfeindliche Luftballons abgefangen

Lukaschenkos Inszenierung vom Abend zuvor erntete auch am Montag Spott und Häme. Viele Kommentatoren wiesen darauf hin, dass die offiziellen Videoaufnahmen von Lukaschenko mit kugelsicherer Weste und Kalaschnikow vor allem peinlich seien und den Staatschef nun vollends der Lächerlichkeit preisgäben. Dem falschen Eindruck, es beim Regime Lukaschenko mit einer Groteske zu tun zu haben, leistete am Montag auch das Verteidigungsministerium Vorschub. Es berichtete der staatlichen Nachrichtenagentur Belta, die Armee habe am Sonntagabend acht „mit staatsfeindlichen Flaggen ausgerüstete“, aus Litauen eindringende Luftballons abgewehrt. Gegen die Bedrohung sei sofort ein Mi-24-Hubschrauber eingesetzt worden. „Der Einsatz von Schusswaffen war nicht nötig“, berichtete Lukaschenkos Verteidigungsministerium. In Vilnius wurde derweil die Verletzung des litauischen Luftraums beim Grenzdorf Medininkai moniert und der weißrussische Botschafter ins Außenministerium zitiert.

Vor allem in der Provinz wurden am Montag Proteste von den Sicherheitskräften sofort verunmöglicht. In Mogiljow im Osten des Landes wurde ein Opponent Lukaschenkos mit dem Transparent „Ich will eine Wende“ innerhalb von 15 Minuten überwältigt und abgeführt. In der westlichen Kleinstadt Scherbinka wurde hingegen das Begräbnis eines im nahen Brest von den Sicherheitskräften erschossenen Demonstranten nicht gestört. Das Begräbnis fand im Kreis der Familie statt, weiß-rot-weiße Flaggen waren auf den Telegram-Videos nicht zu sehen.

Bis Montagnachmittag kam es laut der Menschenrechtsorganisation Wjasna zu mindestens fünf weiteren Festnahmen. Gegen 79 Demonstranten vom Sonntag wurde laut Innenministerium Strafanzeige erstattet, die mit hohen Bußen oder Gefängnis geahndet wird. An der Minsker U-Bahn-Haltestelle Puschkinskaja fanden den ganzen Tag über kleinere regierungskritische Proteste statt. In der Innenstadt gelang es den Sicherheitskräften allerdings wieder, mit bloßer Präsenz ihrer schwarz verglasten Mannschaftsbusse eine Solidaritätskette gegen Gewalt von weiß gekleideten Frauen zu vertreiben. Es scheint, als kehre die Angst langsam wieder zurück.

Regime-Unterstützung aus Österreich

In Österreich sorgte der Auftritt eines weiteren Vorstandsmitglieds der Österreichisch-Weißrussischen Gesellschaft (ÖWG) im Staats-TV für Empörung: Der als Politologe vorgestellte David Kainrath prangerte auf Belarus 1 die westliche Berichterstattung als „sehr einseitig“ an. „Der Grund dafür ist, dass unsere Medien keine Sympathien für ihren Staatschef und ihre Regierung empfinden“, sagte er. Über die Wahl und die Polizeigewalt äußerte er sich nicht. Kainrath ist der zweite Österreicher innerhalb weniger Tage, der vom Lukaschenko-Regime instrumentalisiert wurde. Bereits am 15. August hatte der niederösterreichische SPÖ-Politiker und ÖWG-Vizepräsident David Stockinger im Minsker TV zentrale Botschaften von Propagandisten des Regimes wiederholt.

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