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„Hillbilly Elegy“: Warum J. D. Vance Hinterwäldler (nicht) mag

Hillbilly Elegy
Hillbilly ElegyLacey Terrell/NETFLIX
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Das Netflix-Drama „Hillbilly Elegy“ erzählt auf Basis des autobiografischen Bestsellers von Trumps Vize-Kandidat J. D. Vance vom sozialen Aufstieg eines jungen Landeis. Der Blick auf das ländliche Prekariat der USA ist zugleich mitleidig und herablassend.

Dieser Text erschien zuerst in der „Presse“-Print-Ausgabe vom 25. 11. 2020 und wurde am 18. 7. 2024 leicht aktualisiert. „Hillbilly Elegy“ kann auf Netflix gestreamt werden.

Hinterwäldler: So nannte man bei uns einst, in Bezug auf das englische Wort „backwoodsman“, die ersten Besiedler Nordamerikas. Das hatte einen mitleidigen Beiklang, kündete von Armut und Entbehrung. Inzwischen sind die USA eine globale Supermacht. Und haben ihre eigenen Hinterwäldler hervorgebracht: „hillbillies“. Ein Begriff, der sich vornehmlich auf Bewohner der Regionen um die Appalachen bezieht. Wer im Schatten dieser „Hügel“ haust, ist rückständig, raubeinig, rüde – aber auch urwüchsig, erdig und ehrlich.

Ein Mythos, der tief wurzelt. Eine der beliebtesten US-Sitcoms der 1960er hieß „The Beverly Hillbillies“. Sie handelte von einem lieben Bauerntölpel-Clan, der neureich nach Kalifornien zieht und die City-Schickeria vor den Kopf stößt. Schon hier saßen die Kernklischees fest: Hillbillies sind zwar taktlos, aber pfiffig und anständig. Ein relativ harmloses Bild. Doch mit keimender Gegenkultur wuchs auch die Angst vor dem konservativen, wirtschaftlich verwahrlosten Hinterland. Befeuert wurde sie von Horrorfilmen wie „The Texas Chainsaw Massacre“ und „The Hills Have Eyes“, oder von Thrillern wie „Deliverance“, in denen liberale (Vor-)Städter ländlichen Ungeheuern zum Opfer fallen.

Recht so! Würden wohl die Ungeheuer sagen. Vieles vom gegenseitigen Argwohn hält sich bis heute. Und trägt zur politischen Stadt-Land-Spaltung der Vereinigten Staaten bei, die auch der Wahlsieg Joe Bidens nicht kitten wird. Immerhin: Spätestens seit Hillary Clintons Schmähung von Trump-Anhängern als „basket of deplorables“ (sprich: Ausschussware) und dem darauffolgenden Backlash ist das Bewusstsein für die Entfremdungsgefühle weißer Amerikaner aus prekarisierten Gebieten und Gesellschaftsschichten gestiegen. Auch in Hollywood.

Wie man es schafft? Mit Ehrgeiz!

Genau davon zeugt Ron Howards Filmdrama „Hillbilly Elegy“, zu sehen auf Netflix. Statt zu gaffen oder sich zu gruseln, will es Menschen, die oscartaugliche Prestigefilmkunst meist geflissentlich vernachlässigt, würdigen – ohne das eigentliche (sub-)urbane Zielpublikum zu vergraulen. Als Vorlage dient ein Bestseller-Memoir des selbsterklärten Landeis J. D. Vance, worin der heutige Kapitalmanager – und jüngst auch Vizepräsidentschaftskandidat Donald Trumps – auf seine Kindheit als „White Trash“ zurückblickt.

Im Film ist er ein pummeliger Bub mit Herz und Hirn (Owen Asztalos), der verwundete Schildkröten aufklaubt. „Schau, wie weit du sie werfen kannst!“, meint ein Altersgenosse. J. D. lässt das Tier laufen. Ein Sensibelchen. Seine Familie bietet ihm Obhut: Hillbillies halten zusammen. Leider ist Mutter Bev (Amy Adams), eine Krankenschwester, mehr Bürde als Stütze. Sie hat sich nicht im Griff, wird ständig gefeuert, stolpert von Zweckbeziehung zu Zweckbeziehung. Bald kommen Drogen dazu: erst Schmerzmittel, dann Heroin. Auch als junger Mann, der kurz vor dem Jus-Abschluss in Yale steht (Gabriel Basso), muss sich J. D. mit ihr herumschlagen.

Wie er es überhaupt so weit bringen konnte, interessiert den Film mehr als alles andere. Die Antwort? Mit Ehrgeiz! Und mit Unterstützung seiner von der Depressionsära abgebrühten Oma aus Kentucky: Glenn Close darf in Altersarmutsmaskerade farbenfroh schimpfen und wichtige Lektionen erteilen. Ihr Credo? Nur nicht aufgeben! Wer aufgibt, ist selbst schuld, ein Loser wie Bev, deren dreckigen Griffeln die Großmutter ihren Enkel nach langem Erdulden entreißt. Sie kappt seinen schlechten Umgang, zwingt ihn auf Erfolgskurs – und kämpft mit den Tränen, als der Bengel Klassenbester wird.

Herkunftsscham bei Dinnerparty

Mit Pathos, sorgfältiger Ausstattung, Hans Zimmers aufgekratztem Soundtrack und einem überzeugenden Ensemble verkauft uns der Film das als unleugbare – und letztlich erbauliche – Strebsamkeitswahrheit. Dabei ist seine Parabel nichts anderes als der altbekannte (und jedes Jahr altbackener anmutende) amerikanische Traum. Bezeichnend: Wo vergleichbare Klassenfluchtstorys aus Frankreich („Rückkehr nach Reims“, „Das Ende von Eddy“) zum Rundumschlag gegen als unfair empfundene Verhältnisse ausholen, singt „Hillbilly Elegy“ verbissen das Hohelied der sozialen Mobilität.

Die Umstände, denen der Protagonist entrinnt, sind hier kein Grund zur Aufregung. Nur die Umstände, die sie ihm später im Leben bereiten: J. D.s Herkunftsscham bei einer karrierefördernden Dinnerparty, die schmerzhafte Abnabelung von seiner untragbaren Mutter. „Hillbilly Elegy“ ist ein Film für jene, die es geschafft haben, nicht für die Zurückgebliebenen. Und somit auch kein Film für „hillbillies“. Sondern einer gegen sie. So gut gemeint er auch sein mag, macht er doch eines deutlich: Der Paternalismus Hollywoods findet immer einen Weg.

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