Mediziner und Vertreter der katholischen Kirche äußern "große Sorge und Betroffenheit" über den vom Höchstgericht getätigten "Dammbruch“.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat das Verbot der Sterbehilfe einen Spalt breit geöffnet: Es müsse erlaubt sein, aus freien Stücken die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, um sich selbst töten zu können, entschied das Höchstgericht. Aber: Das Verbot der Verleitung eines anderen zum Suizid bleibt nach dem Spruch des VfGH ebenso unangetastet wie die Tötung auf Verlangen. Eine Entscheidung, die am Samstag zu äußert kritischen Wortmeldungen aus der Kirche und Ärztekreisen nach sich zog.
Für das "Salzburger Ärzteforum für das Leben" ist diese Entscheidung des VfGH ein "Dammbruch", der weitreichende negative Folgen haben könnte. Die Bischöfe Josef Marketz und Wilhelm Krautwaschl unterstrichen die Betroffenheit der katholischen Kirche angesichts der Legalisierung der assistierten Selbsttötung.
"Große Sorge und Betroffenheit“ äußerte das Salzburger Ärzteforum in einer Aussendung. Mit diesem "Dammbruch" werde eine "schiefe Ebene betreten, deren Dynamik man in den Benelux-Staaten, der Schweiz oder Kanada in verschiedensten Variationen vor Augen geführt bekommt". Der ersten Ausnahmeregelung zur Tötung eines Menschen unter Mitwirkung eines anderen könnten weitere folgen. Es liege in der Verantwortung der Politik, dies zu verhindern. Die Vereinigung von mehr als 350 deutschsprachigen Ärzten richtete an den Gesetzgeber "einen eindringlichen Appell, jede rechtliche Möglichkeit auszuschöpfen, um die Folgen dieses VfGH-Urteils zu minimieren".
Mitreden bei der Sterbehilfe
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Auch Kärntens Bischof Josef Marketz forderte die Politik auf, unmissverständlich den Missbrauch des nötigen neuen Gesetzes - für das der VfGH bis Ende 2021 Zeit gelassen hat - zu verhindern. Er plädierte vehement für den weiteren Ausbau und die noch intensivere Stärkung von Hospiz- und Palliativeinrichtungen sowie der Suizidprävention.
"Menschliche Leben schützenswert - von Anfang bis Ende"
Heftige Kritik am VfGH-Entscheid übte der steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl: "Das menschliche Leben ist schützenswert - von Anfang bis zum Ende. Diese grundlegende Botschaft unseres Glaubens und damit auch des Verständnisses vom Menschen und dem Miteinander in der Gesellschaft wird durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ausgehebelt", meinte er laut Kathpress. Er sieht den "Dammbruch eingeleitet: menschliches Leben und damit auch Leiden, Behinderung und Sterben werden verhandelbar. Das schmerzt mich und wohl viele, die das Leben als Geschenk aus Gottes Hand betrachten, zutiefst."
Für den Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner zeigt die Debatte über den assistierten Selbstmord eine "in der Tiefe der Kultur" vorhandene gesellschaftliche Polarisierung. Auf den Gesetzgeber komme jetzt eine "Heidenarbeit" zu: Er müsse etwa erst klären, was unter "menschenwürdigem Sterben" in einer solidarischen Kultur und unter "unerträglichen Schmerzen" in einer Zeit der Hightechmedizin zu verstehen sei. Und es müsse verhindert werden, dass Sekundärinteressen wie etwa Belastung durch Pflege oder Kosten des oft langen Sterbens das hehre Argument freier Selbstbestimmung unterwandern.
(APA/Red.)