Geschichte

Habsburgs Armee auf dem Reißbrett

Schloss Schönbrunn
Schloss SchönbrunnClemens Fabry
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Der Keim der österreichischen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde schon lang davor gelegt.

Auf dem Papier, das bekanntlich höchst geduldig ist, hat sich die Streitmacht der Habsburgermonarchie vor 1914 stattlich präsentiert. Christian Ortner, ausgewiesener Experte und Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, führt uns in seinem neuesten Werk die Gliederungen der Armee Franz Josephs vor: die Heeresinfanterie, Feldjägerbataillone, Kavallerie, Feld- und Gebirgsartillerie, Sappeur- und Verkehrstruppen. Dazu die unterstützende Sanitätsorganisation, letztlich die Feldkuraten. Bis zur Verteilung der Tragtiere für die Gebirgstruppen schien alles bestens organisiert.

Auf dem Papier, wie gesagt.

Hinter den Kulissen spielten viel zu viele Akteure mit. Unter dem Oberbefehl des Allerhöchsten Kriegsherrn regierten der Kriegsminister und der Generalstabschef. Zusätzlich diente die Militärkanzlei Seiner Majestät zur Koordination. In dieses System der „Doppelhierarchie“ an der Spitze der Streitkräfte trat ab 1898 mit dem neuen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, ein dritter bestimmender Akteur ein.

Ab 1908 war die Militärkanzlei des ehrgeizigen Thronfolgers in jeden Erlass, in jedes Dienststück eingebunden. Erschwerend fügte sich hinzu, dass es wegen der Intransigenz der Ungarn zu einer Dreiteilung der Armee gekommen war: Das „gemeinsame“ kaiserliche und königliche k.u.k. Heer, die kaiserlich-königliche Landwehr und die königlich-ungarische Landwehr (Honved).

In der Theorie gab es ab 1912 die Wehrpflicht für jeden männlichen Staatsbürger vom 19. bis zum 42. Lebensjahr. Die tatsächliche aktive Dienstpflicht begann mit 21 für zwei Jahre (Kavallerie und reitende Artillerie drei Jahre, Marine vier Jahre). Daran schlossen sich zehn Jahre in der aktiven Reserve, während derer mehrere Truppenübungen zu absolvieren waren. Davor und danach konnte man zu Hilfsdiensten eingeteilt werden. Und trotz dieser umfangreichen Pläne wurde bis 1914 nur jeder Dritte der Stellungspflichtigen eines Jahrgangs (220.000) tatsächlich eingezogen. Da waren einmal die Untauglichen (die eine „Wehrersatztaxe“ für jedes der nicht abgeleisteten zwölf Jahre zu entrichten hatten) – und dann gab es die „Ersatzreserve“, also all jene, die lediglich zehn Wochen ausgebildet wurden. Und das waren viele. Ein Fehler, wie sich weisen sollte, als diese Ersatzreservisten schlecht ausgebildet zum Einsatz in die vordersten Linien geworfen wurden.

Kaisers Unterschrift in Bad Ischl

Ortner führt nun vor, welch schlimmes Erwachen es für die Verantwortlichen gab, als der Kaiser mit seiner Unterschrift in Bad Ischl den Krieg gegen Serbien erklärte und damit die Katastrophe auslöste. Schon Ortners Amtsvorgänger im HGM, Manfried Rauchensteiner, hat darauf hingewiesen, dass die Habsburgermonarchie schon ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn ohne Hilfe der deutschen Armee am Ende gewesen wäre.

So entwirft Ortner ein eindrucksvolles Dokument über den Kriegsverlauf, über die Änderungen bei den Uniformen, über den Einsatz der Frauen in der Verwundetenpflege, übergeht aber auch nicht die haarsträubenden Berichte über wahllose Hinrichtungen in eroberten Gebieten, hauptsächlich im Osten. Die „Kriegsartikel“ sahen für bestimmte Vergehen, egal, ob Soldat oder Zivilist, nicht einmal ein Standgericht vor; Betreffende waren an Ort und Stelle zu justifizieren.

Buch

M. Christian Ortner
„Die k.u.k. Armee und ihr letzter Krieg“

Kral-Verlag,
372 Seiten Großformat,
39,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2020)

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