Der Kreml-Kritiker muss zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis, zehn Monate hat er bereits abgesessen. Um den Einfluss des Politikers zu beschränken, biegt sich der Staatsapparat das Recht zurecht, greift zu Willkür und Repression. 1.400 Leute wurden gestern festgenommen.
Alle Urteile, auch die erwarteten, müssen erst von konkreten Personen gefällt werden. Im Falle Alexej Nawalnys war es eine Richterin namens Natalia Repnikowa, die am Dienstag um 20:20 Uhr Ortszeit im Saal 635 des Moskauer Stadtgerichts entschied, dass der russische Politiker für dreieinhalb Jahre hinter Gitter muss. Real erwartet ihn wegen eines früheren Hausarrests eine Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten - bis Oktober 2023.
Hätte Richterin Repnikowa anders entschieden, wäre es eine Sensation gewesen. So aber stimmte das Gericht mit der Staatsanwaltschaft überein, die ihrerseits die Strafvollzugsbehörde in ihrer Forderung unterstützt hatte, Nawalnys bereits abgelaufene Bewährungsstrafe in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln. Es war eine Entscheidung, die auch den Kreml zufrieden gestellt haben dürfte. Seine Machtvertikale funktionierte gestern reibungslos, wenn auch nicht besonders überzeugend.
Bis zuletzt hatten Nawalnys Anhänger auf eine Freilassung gehofft. Doch zu wichtig ist die Sache für den Kreml. Zu groß sind die Verrenkungen, die der Staatsapparat schon bisher angestellt hat, um Wladimir Putins kompromisslosesten Kritiker hinter Gitter zu bekommen. Nawalny nannte den Fall „fabriziert“. Seine Anhänger riefen nach der Urteilsverkündung zu sofortigen Demonstrationen auf. Später zeigten Videos in sozialen Netzwerken, wie Menschen im Zentrum der russischen Hauptstadt von Sicherheitskräfte abgeführt und zu Polizeibussen gebracht wurden. Nach Informationen der Nichtregierungsorganisation OWD-Info wurden allein in Moskau 1.116 Protestierende festgenommen, landesweit seien es mehr als 1.400.
Kanzler Kurz bezeichnet das Urteil als „inakzeptabel"
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Aufrollung eines alten Falles
Tatsächlich ist die Argumentation der Behörden in der Causa sehr fragwürdig. Die Strafvollzugsbehörde hat den sogenannten „Yves Rocher“-Fall von 2014 neu aufgerollt. Damals warf die russische Justiz Alexej und seinem Bruder Oleg Nawalny Betrug und Geldwäsche in ihrer Zusammenarbeit mit der Kosmetikfirma „Yves Rocher“ vor. Oleg verbüßte dreieinhalb Jahre Haft, Alexej erhielt eine mehrjährige Bewährungsstrafe. „Yves Rocher“ sieht sich durch die Nawalnys nicht geschädigt.