Die einst erfolgreichen roten Parteien stellen in Europa inzwischen nur noch sechs Regierungschefs und stecken in Umfragetiefs fest. Wo liegen die Ursachen der Krise?
Der 1. Mai wird für Europas Sozialdemokraten ein einsames Fest mit viel Stoff zum Nachdenken – und nicht nur wegen Covid. Denn blickt man auf die politische Landkarte der EU, muss man die roten Tupfer erst suchen. Nur sechs Mitgliedstaaten haben Sozialdemokraten (oder Sozialisten) an ihrer Spitze. Weit entfernt sind die Zeiten um die Jahrtausendwende, als doppelt so viele der aktuell 27 EU-Länder und Großbritannien rot gefärbt waren und Sozialdemokraten mit Gerhard Schröder oder Tony Blair Polit-Popstars stellten.
Je weiter das 21. Jahrhundert mit seinen politischen, ökonomischen und gesundheitlichen Krisen voranschreitet, desto schneller scheint sich die Abwärtsspirale für Sozialdemokraten zu drehen. Desaströs war das letzte Jahrzehnt. Einst mächtige Parteien in Deutschland oder Frankreich stecken im Umfragetief fest: Die SPD wurde längst von den Grünen überholt. Noch tragischer ergeht es der französischen PS, deren Zustimmungswerte inzwischen einstellig sind. „Abspalter“ – Emmanuel Macrons Zentristen und die Linke Jean-Luc Mélenchons – schnappten sich ihre Wähler. Die britische Labour verwirrt indes mit Zickzack-Kursen. In den Visegrád-Ländern drängten Rechtsnationalisten die Linken an den Rand, in Rumänien oder der Slowakei wurden sie von Skandalen erschüttert, in früheren Bastionen wie den Niederlanden oder Griechenland pulverisiert.