Studium beinhart: Die US-Elite der Militärakademien

(c) AP (Steve Kohls)
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Die Unis von Army und Co. fordern geistige und körperliche Spitzenleistungen. Die Ausbildung ist international gefragt.

Der Hudson River im Bundesstaat New York ist einer der schönsten Flüsse der USA. Ästhetisch schlängeln sich die Wassermassen von Norden in Richtung Manhattan, steile Felswände ragen hunderte Meter in die Luft, an manchen Stellen ist der Fluss über einen Kilometer breit. Inmitten des Hudson finden sich kleine Inseln mit Schlössern, Burgen oder Ruinen. Reiche Amerikaner auf ihren Luxusjachten teilen sich den schönen Ausblick mit Kajakfahrern, Fischern und Seglern.

Etwa 80 Kilometer nördlich der Metropole New York, an einer der schönsten Stellen des malerischen Flusses, ragen mehrstöckige Gebäude, unmittelbar neben den steilen Felswänden, in die Luft. Sie geben 4500 Studenten Heimat, die Universität West Point ist die größte und beeindruckendste Militärakademie des Landes. Die Studierenden genießen nicht nur den tollen Ausblick. Sie können sich beruhigt zur künftigen Elite der Vereinigten Staaten zählen – wenn sie die Ausbildung schaffen.

„West Point ist eine einzigartige Akademie, eine führende, progressive Institution der höheren Ausbildung“, heißt es in den Anmeldeformularen wenig bescheiden. Tatsächlich werden nur zehn Prozent der Kandidaten zugelassen. Und das, obwohl jene, die zur Aufnahmeprüfung antreten, bereits eine persönliche Empfehlung durch den US-Präsidenten oder einen Abgeordneten zum Kongress vorweisen müssen.

Diskussion um Homosexuelle

Weitere Voraussetzungen: unverheiratet, kinderlos, heterosexuell. Einzig die letzte dieser drei Bedingungen bietet etwas Spielraum. Unter der von Bill Clinton propagierten „Don't ask, don't tell“-Politik werden Schwule und Lesben zumindest geduldet, sofern sie ihre sexuelle Präferenz nicht exponieren. Es ist exakt dieser Punkt, der zuletzt in den USA für Aufregung gesorgt hat. Präsident Barack Obama versprach den Homosexuellen, ihnen gleiche Rechte zu gewähren, auch in der Armee. Bislang ohne Erfolg.

Trotzdem: Von dem Bild, das in Kriegsfilmen wie „Full Metal Jacket“ gezeichnet wird, sind die Militärakademien in den USA meilenweit entfernt. Zwar ist die körperliche Fitness ein entscheidendes Kriterium. Wer ein etwa fünf Meter hohes Tau nicht in weniger als 15 Sekunden hochklettern kann, hat keine Chance. Doch besonderen Wert wird auf die akademische Ausbildung gelegt. Nicht umsonst listet das Magazin „Forbes“ West Point unter den 100 besten Universitäten der Welt auf.

Ein Blick auf die Liste der Absolventen bestätigt diese Einschätzung. Zwei ehemalige Präsidenten, Dwight Eisenhower und Ulysses Grant, die Strategen der Kriege im Irak und Afghanistan, David Petraeus und Stanley McChrystal, aber auch viele New Yorker Anwälte, Banker, Lokalpolitiker und Manager von Hedgefonds: Sie alle absolvierten ihre Ausbildung an der Akademie in West Point.

Fünf Jahre in der Pflicht

Während Harvard, Princeton und andere Eliteuniversitäten ihren Studenten (beziehungsweise deren Eltern) bis zu 50.000 Dollar pro Jahr an Studiengebühren abknöpfen, ist die Eliteausbildung an den Militärakademien gratis. Der Preis dafür ist die persönliche Freiheit: Zumindest fünf Jahre müssen alle Absolventen der Armee dienen.

„Es öffnet einem die Tür zur Welt“, sagt Kris Fuhr, die in West Point studiert, dann fünf Jahre an einer US-Basis in Deutschland gearbeitet hat und nun eine Führungsposition beim Lebensmittelkonzern Kraft Foods in New York innehat. „Es nimmt einem die Chance, sich frei zu entscheiden“, sagen vor allem linke Aktivisten wie die Mitglieder der Organisation „Codepink“.

Das Prinzip einer Topausbildung mit anschließender Verpflichtung ist allen fünf föderalen Militärakademien gleich: West Point, der „Naval Academy“ in Annapolis (Maryland), der „Coast Guard Academy“ in New London (Connecticut), der „Marine Academy“ in Kings Point (New York) und der „Air Force Academy“ in Colorado Springs (Colorado).

In einem Punkt aber unterscheidet sich die Schmiede für künftige Armeemitglieder in West Point von ihren vier Pendants: Die Zahl der Selbstmorde ist höher. Gegen Ende des Vorjahres nahmen sich zwei Studenten das Leben, zwei weitere wurden im Frühjahr rechtzeitig gerettet. „Keine Frage, der Druck ist in Zeiten des Krieges höher“, sagte General Peter Chiarelli, der für die Ausbildung in West Point zuständig ist, nach den Vorfällen.

Jene Studierenden, die ihre Ausbildung abschließen, können zwar eine Präferenz ihres Einsatzortes während der fünfjährigen Pflichtzeit angeben, eine Berücksichtigung wird aber nicht garantiert, eine Entsendung nach Afghanistan oder Irak ist möglich. „Deshalb setzen wir die Auswahlkriterien sehr streng an. Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sind ebenso wichtig wie psychische Stabilität“, sagte Chiarelli.

Die „Washington Post“ veröffentlichte nach den Selbstmorden im Vorjahr einen Bericht, in dem Studienkollegen der Selbstmörder über die Bedingungen in den mehrstöckigen Gebäuden am malerischen Flussufer des Hudson River sprachen. „Es gibt Präventionsprogramme, aber keiner traut sich hinzugehen“, sagte ein Student im ersten Studienjahr. „Jeder fürchtet, es könnte seiner Karriere schaden.“

Preis für Bildung: 500.000 $

Das Militär bestreitet das. „Wir kümmern uns um jeden einzelnen Fall“, erklärt General Chiarelli. „Es ist völlig klar, dass manche mit dem Druck nicht umgehen können. Wenn wir das feststellen, finden wir eine Lösung.“ So gebe es durchaus Möglichkeiten, von dem Pflichtdienst nach Abschluss der Ausbildung befreit zu werden oder eine Bürotätigkeit zu übernehmen.

Doch auch ohne Zustimmung des Militärs entscheiden sich immer mehr Absolventen, statt in den Krieg in die Privatwirtschaft zu ziehen. Aufgrund der ausgezeichneten Ausbildung werben Arbeitgeber die ehemaligen Studenten ab und entschädigen die Armee für die Ausbildung. Kostenpunkt: bis zu 500.000 Dollar.

US-Militärakademien

Das Militär der USA betreibt über Army, Navy und Airforce gleich mehrere Kaderschmieden.

Die berühmteste ist West Point der US Army, weitere Eliteschmieden und Universitäten sind die Naval Academy (Anapolis, Maryland), die Coast Guard Academy (New London, Connecticut), die Marine Academy in Kings Point (New York) und die Air Force Academy in Colorado Springs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2010)

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