Wie kann Wohlstand vergleichbar gemessen werden? Und: Wem kommt der Wert des öffentlichen Vermögens besonders zugute? Zu einem umfassenden Bild der Verteilung ist es noch ein langer Weg.
Durch eine Reform der öffentlichen Haushaltsführung in Österreich sind Länder und Gemeinden seit kurzem verpflichtet, einen Vermögenshaushalt zu erstellen. Detailreiche regionale Daten sind öffentlich zugänglich. Sie geben Aufschluss über das Vermögen im Besitz von Österreichs Gemeinden. Darunter fallen zum Beispiel Kulturgüter, öffentliche Gärten und Wälder, Verkehrsinfrastruktur, Gebäude, aber auch Beteiligungen an Unternehmen und vieles mehr. Regionale Unterschiede in den öffentlichen Vermögen stellt die Messung von Ungleichheit vor Herausforderungen: Wie kann Wohlstand vergleichbar zwischen Personen gemessen werden? Wem kommt der Wert des öffentlichen Vermögens besonders zugute?
Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.
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Öffentliches und privates Vermögen – Äpfel und Birnen?
Wie öffentliches und privates Vermögen gemeinsam betrachtet werden können beschäftigt auch ein Forschungsteam rund um den Starökonomen Thomas Piketty. Die Gruppe arbeitet an international vergleichbaren Ungleichheitsindikatoren. In manchen Ländern befinden sich wichtige Teile des Nationalvermögens in öffentlicher Hand. Die Bewohner/innen Wiens beispielsweise würden im Durchschnitt deshalb weniger wohlhabend aussehen, wenn gemeinschaftliches Vermögen wie der soziale Wohnbau nicht berücksichtigt wird. In solchen Fällen könnten öffentliche Vermögen rechnerisch auf das private Vermögen aufgeschlagen werden, so das Forschungsteam.
„Weil Vermögen eng mit politischem Einfluss, aber auch mit Lebenserwartung, Gesundheit und gesellschaftlicher Teilhabe zusammenhängt, ist seine Verteilung ein zentrales Thema“, schreiben Franziska Disslbacher und Kollegen am 26.4.2021 im NOeG-Blog der Presse. Da öffentliches Vermögen für große Teile der Bevölkerung hinsichtlich des Lebensstandards von großer Bedeutung ist, liegt dessen Berücksichtigung nahe. Auch generiert Vermögen in Form des sozialen Wohnbaus beispielsweise ähnlich wie privates Vermögen de facto ein individuelles Einkommen – in Form der vergünstigten Wohnkosten. Während allgemeine Effekte des sozialen Wohnbaus auf das Niveau der privaten Mieten denkbar sind, profitieren die Bewohner/innen der Gemeindewohnungen besonders von den vergünstigten Mieten. Dennoch gibt es wichtige Unterschiede zum Privatvermögen, zum Beispiel bei den Verfügungsrechten. Ein Vergleich von öffentlichem und privatem Vermögen muss daher vorsichtig vorgenommen werden.
Kommunaler Wohnbau verteilt um
In einer kürzlich erschienenen Studie zu Vermögen in Wien wird anhand des kommunalen Wohnbaus beispielhaft illustriert, wie ein Schritt in Richtung einer solchen gemeinsamen Betrachtung aussehen könnte. Laut Studie lebt ungefähr ein Viertel der Haushalte in Wien im öffentlichen Wohnbau. Gemeinsam mit den Genossenschaftswohnungen ergibt dies eine Abdeckung des geförderten Wohnbaus von fast 45 Prozent. Im Durchschnitt sind die Mieten in diesen Wohnobjekten niedriger als in vergleichbaren Objekten am privaten Mietmarkt. Das de facto Einkommen liegt demnach bei Mieten in Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen vor. Aus diesem Einkommen errechnet die Studie die Höhe eines hypothetischen Vermögens, das in der Lage ist ein solches Einkommen zu einer bestimmten Rendite zu erzeugen. So können die Verteilungswirkungen gemessen werden.
Die Ergebnisse bestätigen, dass insbesondere Menschen in Haushalten mit geringem Vermögen von der Bereitstellung des öffentlichen Vermögens in Form des sozialen Wohnbaus profitieren. Das gilt auch für Frauen und Haushalte mit Alleinerzieher/innen. Die Effekte auf die Verteilung sind in Wien aufgrund des umfangreichen sozialen Wohnbaus im Vergleich mit den anderen Bundesländern besonders ausgeprägt. Trotz der Berücksichtigung des sozialen Wohnbaus bleibt die Vermögensungleichheit insgesamt sehr hoch. Würde man die besonders verteilungswirksamen Elemente des kommunalen Wohnbaus einfach zum Privatvermögen hinzurechnen, besäße das vermögendste Fünftel der Wiener Haushalte immer noch etwa drei Viertel des Gesamtvermögens (gegenüber 84% ohne Hinzurechnung).
Langer Weg zum umfassenden Bild der Verteilung
Die erhöhte Transparenz der öffentlichen Finanzgebarung lädt dazu ein, auch den öffentlichen Teil des Nationalvermögens in der Verteilungsanalyse zu berücksichtigen. Der soziale Wohnbau beispielsweise wird besonders von wenig vermögenden Personen in Anspruch genommen. So kann geringes Privatvermögen vieler Haushalte teilweise kompensiert werden. Dennoch bleibt es ein langer Weg bis zur konsistenten und umfassenden Zurechnung der öffentlichen Vermögen. Verschiedene Bevölkerungsgruppen werden beispielsweise je nach Vermögenstyp unterschiedliche Nutzungsverhalten aufweisen, die es zu berücksichtigen gilt. Gleichzeitig sollte mit einem besseren Verständnis von den Wirkungen des öffentlichen Vermögens auch eine Verbesserung der Datenlage zu den privaten Vermögen einhergehen. Nur so kann ein umfassendes Bild der Verteilung entstehen.
>>> Zur Studie „Vermögen in Wien“ (Dabrowski, Lasser, Lechinger Rapp, 2021)
Der Autor:
Severin Rapp ist Doktorand am Institut für Makroökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien und arbeitet als Ökonom für das Forschungsinstitut Economics of Inequality.